8
Nov
2013

Die Schweiz existiert nicht

Der Chauffeur unseres Palm-Express hiess Mischke. Das ist ein ausgesprochen deutscher Name - wie alle Namen mit der Endung "-ke". So vermuteten wir in ihm einen Deutschen.

Herr Mischke aber war kein Deutscher. Er sprach Deutsch mit einem dicken lateinischen Akzent. Er hatte schwarze Haare und eine italienisch gestylte Brille. Und wenn er seinem Verdruss über den täglichen Stau in Lugano Ausdruck gab, machte er dabei eine geradezu mediterrane Grimasse.

"Müssen Sie heute noch zurück nach St. Moritz fahren?" fragte ich ihn am Ende unserer Fahrt. "Nein, wir Chauffeure übernachten hier im Hotel. Wir fahren am nächsten Tag zurück", sagte er.

Ich hätte ihn gern gefragt, wo er eigentlich wohne. Wohl nicht im Tessin. Sonst hätte er ja nicht im Hotel übernacht. Eher doch im Bündnerland. Oder vielleicht im Veltlin? In Italien? Aber ich traute mich nicht. Wir Schweizer sind in solchen Dingen zurückhaltend. Für mich wird er immer der rätselhafte Busfahrer bleiben - oder einfach: ein Schweizer.

Ein typischer Schweizer eigentlich. So viele von uns haben doch eine irgendwie zusammengesetzte Identität.



"La Suisse n'existe pas", hiess das Motto, mit dem die Schweiz 1992 an die Weltausstellung von Sevilla zog. Die Schweiz existiert nicht. Der Slogan stammte vom dadaistischen Künstler Ben Vautier. Er war so leicht und luftig, wie man solche Dinge damals machte - und doch liess er ein paar patriotische Augenbrauen missbilligend in die Höhe schnellen.

Gott, ist das lange her!

Seither scheint man uns die ganze Zeit erklären zu wollen, dass die Schweiz sehr wohl existiert. Seither haben die Touristiker den Begriff Swissness erfunden. Swissness, das sind weisse Gletscher und blauer Himmel in rotweissem Rahmen. Swissness, das ist, wenn es teuer ist.

Seither sind die Rechtsnationalen erstarkt, und, weiss Gott: Sie sie sagen uns, was die Schweiz ist und wer ein Schweizer ist und überhaupt wo der Bartli den Most holt. Sie wollen uns auch sagen, dass nicht wir Schweizer schuld sind an den vollen Trams und den hohen Mieten und jedem anderen Unbehagen, das uns befällt. Sondern die Ausländer.

Von solchem Gerede bekomme ich Platzangst.

Lieber stelle ich mir vor, dass die Schweiz nicht existiert. Oder dass sie ganz von rätselhaften Busfahrern bevölkert ist.
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Journal einer Kussbereiten

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