6
Jan
2009

Somalia: Ich bin empört

Somalische Piraten überfallen schweizerische Handelsschiffe. Wenn das kein gefundenes Fressen für uns Medienschaffende ist! Ich meine: Piraten! Grusel! Und seit Johnny Depp sind Piraten sowieso schwer im Trend!

Und dann bedrohen diese somalischen Kerle auch noch unsere Neutralität! Die stellen uns vor eine gewissermassen existenzielles Frage: Sollen wir Schweizer Soldaten an den Golf von Aden, also definitiv ins Ausland, schicken? Sollen Soldaten unsere Schiffe im Ausland schützen? Uiuiuiui! Bei so einem Thema können Linke und Rechte einander wieder monatelang und unter viel medialer Aufmerksamkeit in die Waden beissen!

Eins empört mich aber an dieser Diskussion: Dass niemand darüber nachdenkt, ob und wie man das Problem bei der Wurzel packen könnte.

Ich meine: Ursprünglich waren diese Piraten doch Fischer, die aus schierer Not fremde Schiffe überfielen und plünderten. Fischkutter aus dem Westen hatten nämlich ihre Fischgründe leergeplündert. Und Banker konnten diese Fischer ohne Fische nicht werden, denn in Somalia gibt es keine Banken und keine Banker. Nur eine Mafia. Die entdeckte dann die Piraterie und machte ein lukratives Geschäft daraus.

Sicher haben wir alle auch Fisch aus Somalia gegessen (also, ich ja vielleicht eher weniger, aber trotzdem!) Deshalb stört es mich, mit welcher Gleichmut all das zur Kenntnis genommen wird. Dass niemand wenigstens heuchelt, man könnte doch etwas Humanitäres gegen die Piraterie tun. Oder darauf aufmerksam macht, dass es die Piraterie fördert, wenn man Fischgründe leerplündert.

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https://froggblog.twoday.net/stories/5428149/modTrackback

jonash - 7. Jan, 02:21

«Dass niemand wenigstens heuchelt, man könnte doch etwas Humanitäres gegen die Piraterie tun.»

hm, das wird wohl niemand tun. eher, dass «etwas Humanitäres» getan werden kann, um nicht mehr Fischer in die Piraterie zu treiben.
…sind Piraten Kriminelle? Aber dann…wenn ein Somalischer Fischer alles verliert und keine Aussicht mehr hat, wenn gar die westliche (Fisch-)Industrie 'daran Schuld ist', ist dann der Griff zur Waffe, um sich ein Einkommen zu sichern, nicht eine Art Selbstverteidigung? Wieviel Aggression erträgt dann Selbstverteidigung?

Kann «etwas Humanitäres» getan werden gegen Terrorismus? Gegen fundamentalistische Indoktrination Jugendlicher in Flüchtlingslager?
Kann «etwas Humanitäres» getan werden gegen Taschendiebstahl im Hauptbahnhof?

Gäbe es weniger gewaltsame Mittel für Somalische Fischer, ihr Überleben zu sichern?
Gäbe es weniger gewaltsame Mittel für Israel, sein «Überleben» zu sichern?
Gibt es für die USA weniger gewaltsame Mittel als den Krieg gegen den Terror, um ihr Überleben zu sichern?

Hat vielleicht sogar «etwas Humanitäres» dazu beigetragen, dass Fischer sich die Augenklappe umbinden?
Auch schon wurde die Bevölkerung eines Landes mit Moskitonetzen ausgestattet. Darauf gingen erstmal die Leute Pleite, die Moskitonetze knüpften und verkauften. Als es dann viel zu viele Moskitonetze gab, wurden diese zu Fischernetzen umfunktioniert. Die Zahl der Fischer stieg, die Zahl der Fische aber natürlich nicht…

Interessiert es, im Ausverkauf, jemanden?

diefrogg - 7. Jan, 10:23

Danke für den...

klugen Kommentar, Jonas. Ja natürlich, so habe ich es gemeint: Etwas Humanitäres tun, damit Piraterie gar nicht entstehen kann!

Den Vergleich von Piraterie mit Terrorismus halte ich für etwas problematisch. Schliesslich geht es Terroristen um die Verbreitung von Angst und Schrecken. Piraten aber geht es nur ums Geld. Aber er ist ein guter Denkanstoss. Er legt nahe, dass Piraterie und Terrorismus die gleichen Wurzeln haben: Verzweiflung und Perspektivelosigkeit. Soweit ich gelesen habe (so wird es in Schweizer Medien dargestellt) hat die Mafia die Einzelaktionen der Fischer erst richtig durchorganisiert. Und sie somit näher zur Kriminalität gerückt

Ich habe den Eindruck bekommen, dass die Piraterie aber aufhören würde, wenn Somalia ein funktionierender Staat wäre der seinen Bewohnern eine, sagen wir mal, ehrbare Existenz ermöglicht. Aber bis dahin ist es ein weiter Weg.

Deshalb auch die Ratlosigkeit dieses Eintrags. Unterdessen ist mir aber eingefallen, was ich in Schweizer Medien zu dem Thema lesen möchte: Jemand soll mir bitte erklären, was das für Flotten sind, die da ganze Küstenstreifen leerfischen. Und was die fischen. Damit ich mich entscheiden kann, welchen Fisch ich in Zukunft noch esse und welchen nicht.
jonash - 7. Jan, 15:25

hm, also ich weiss nicht...die Definition von Terrorist war schon immer unklar, und wurde wohl in den letzten Jahren noch schwammiger. Ich erinnere mich vage, dass sie mal so ungefähr lautete: Terrorist ist, wer durch Androhung oder Verbreitung von Terror ein bestimmtes, ideelles/politisches, Ziel erreichen will. Terroristen richten ihre Taten gerne gegen die Bevölkerung eines Landes, um damit eine bestimmte Wirkung zu erzielen. Einerseits soll die jeweilige Regierung dadurch zu etwas gezwungen werden, andererseits soll der Bevölkerung eines Landes damit gezeigt werden, dass ihr Staat nicht in der Lage ist, sie zu schützen.
Aber sind nun die Kidnapper im Irak und anderswo Terroristen oder gewöhnliche Kriminelle?
(http://news.bbc.co.uk/2/hi/americas/4716957.stm)

Sieht so aus, als sei der Unterschied ein subjektiver. Terroristen wollen mit kriminellen Mitteln ein ideelles Ziel erreichen.
Wenn nun die kleinen Somalischen Fischer durch den Weltmarkt in die Kriminalität gezwungen werden, führen sie dann nicht ihren ganz persönlichen Befreiungskampf gegen die grossen Fischer?
Einen guten Artikel habe ich im Spiegel gelesen: http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,594302,00.html

Dass nun jeder das Piratenproblem lösen will, ist ja irgendwie lustig. Es gäbe im Prinzip dringendere Herausforderungen...
acqua - 7. Jan, 16:21

Für das Piratenproblem habe ich auch keine Lösung, aber welchen Fisch du mit wie vielen Bedenken essen kannst oder musst, kann dir der Fischführer des WWF sagen. (Über Balchen und Albeli sagt er zwar nichts, aber dafür über Felchen im Allgemeinen.)
diefrogg - 7. Jan, 18:50

@jonas

Das Piratenproblem ist halt gerade aktuell (andere, mindestens so dringende Probleme sind es vielleicht im Moment weniger. Oder man kann es nicht mehr hören. Zum Beispiel: Finanzkrise). Und dann ist halt Piraterie irgendwie schon ein fast unwiderstehlicher Medienstoff: Etwas, was unsereiner im letzten Jahrhundert überwunden glaubte. Etwas, was durch Piratenfilme Glamour hat. Und dann ist es ja auch international wirklich relevant: Der Suezkanal ist höchst wahrscheinlich die wichtigste Schifffahrtsstrasse der Welt.

Danke für den Spiegel-Link. Der beantwortet eine Menge Fragen, die ich in Schweizer Medien bislang nicht beantwortet gefunden habe.

Den Streifen zum Terrorismus werde ich mir ansehen. Klingt interessant.

@acqua: Auch Dir danke! Nachdem ich den Dok-Film We Feed the World gesehen hatte, gab ich es auf, darauf zu achten, was ich ass und kaufte. Alles einerlei, dachte ich. Wir machen unseren Planeten sowieso kaputt. Ich bin froh zu sehen, dass der WWF da eine andere Herangehensweise hat!
walküre - 7. Jan, 18:11

Im weiteren Kontext eine dringende Empfehlung meinerseits: "Darwin's Nightmare" ist ein mittlerweile auch auf DVD erhältlicher Film, der sich mit der Problematik der menschlichen Einmischung in das ökologische System des Viktoriasees beschäftigt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Darwins_Alptraum

Viktoriabarsch gibt es nach wie vor speziell im Großhandel an allen Ecken und Enden zu kaufen; der neueste ökologische Wahnsinn heißt "Pangasiusfilet" und kommt mehr oder weniger vom anderen Ende der Welt.
Zum Kotzen, das. (Man verzeihe meine Empörung).

diefrogg - 7. Jan, 18:42

Danke für den Tipp...

Frau Walküre! Das ist ein hervorragender Film. Ich habe ihn vor einer Weile schon gesehen. Eigentlich wundert einen gar nichts mehr, wenn man den gesehen hat!
jonash - 7. Jan, 18:44

auch sehr anschaulich, kurz und schön gemacht:
http://www.storyofstuff.com/

lieber gruss
walküre - 7. Jan, 18:51

The Story of Stuff ist großartig, allerdings hauen einen die Zahlen zeitweise vom Hocker - salopp formuliert. Aber das ist ja schließlich auch der Sinn der Sache.
diefrogg - 7. Jan, 20:40

Grossartig...

das Filmchen! Könnte einen zur Terroristin machen... wenn da nicht diese Schlussbotschaft mit dieser typisch amerikanisch optimistischen Note wäre!
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