Wo nachts die Huren stehen
Die Riedstrasse liegt keine 500 Meter von unserem Haus entfernt - aber bis vor kurzer Zeit kannte ich sie so gut wie gar nicht. Das hat zwei Gründe: Erstens war sie lange Zeit fest in der Hand der Schreber..., pardon, Familiengärtner. Und diese wissen Fremdlingen gut zu verstehen zu geben, dass sie hier nichts verloren haben. Zum Beispiel mit blickdichten Hecken wie im Mittelgrund des Bildes:
Zweitens liegt die Gegend hinter einem mit Fussgängerstreifen nur sehr spärlich bestückten Autobahnzubringer. Aber in letzter Zeit hat auch der Verkehr die Gärtner nicht vor Unruhe bewahrt. Vor einiger Zeit zog gar der Strassenstrich vom neuen Mittelstandsquartier Tribschenstadt hierher. Als ich das in der Zeitung las, erwachte mein Interesse. Ich wollte die Gegend sehen - nicht mit den Augen der argwöhnischen Anwohnerin. Auch nicht als Voyeurin - weshalb ich einen verregneten Sonntagnachmittag für meinen Ausflug wählte. Ich ging einfach als Flaneurin mit offenen Augen hin. Und fand einen menschenleeren Stadtteil voller düsterer Wunder.
Etwa diesen riesigen Tunnel. Ein Bekannter von mir behauptet, es handle sich um einen Lärmschutztunnel-Prototyp für die Autobahn. Aus den siebziger Jahren. Soll sich als völlig nutzlos erwiesen haben. Ich weiss nicht, ob das stimmt. Mich erinnert der Bau eher an die mächtigen Gewächshäuser in den Kew Gardens von London - die allerdings wohl erst nach der Apokalypse so aussehen werden.
Der Bau, umgeben von Komposthaufen, liegt am Reuss-Rotsee Kanal - unter dem man sich aber kein schiffbares Gewässer vorstellen sollte.
Er ist vielmehr ein munterer Bach, der lediglich der künstlichen Bewässerung des Rotsees dient. Der See liegt auf der besseren Seite des Autobahnzubringers und ist bei Spaziergängern sehr beliebt. Was man vom Kanal nicht behaupten kann. Es gibt hier zwar ein paar Naturpfad-Tafeln, die Flora und Geographie erklären. Doch bin ich wahrscheinlich die erste Spaziergängerin, die diese Tafel überhaupt gesehen hat. Schade, denn da stehen ein paar interessante Dinge. Zum Beispiel: Vor der letzten Eiszeit floss die Reuss hier Richtung Aargau. Aber am Ende der letzten Eiszeit blieb Toteis wie ein Deckel über dem Tal liegen. Deshalb suchte sich der Fluss einen anderen Weg. Feucht ists geblieben. Davon zeugt schon der Name "Riedstrasse".
Ebenfalls am Kanal liegen die WCs der Familiengärtner. Dass man sie nicht für die Weltöffentlichkeit gebaut hat, legen die Schildchen auf der Tür nahe - sie müssen aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts stammen.
Am Häuschen hängt auch dieser Cartoon:
Er ist beredtes Zeugnis dafür, dass die Familiengärtner hier nicht nur gute Zeiten gesehen haben. Offenbar war hier früher eine Mülldeponie. Die Stadt hat zwar die Böden einmal saniert. Das heisst: "Sie haben einfach einen halben Meter Erde über den alten Boden gekippt", hat mir einmal ein Familiengärtner erzählt. Kommt noch dazu, dass einige der Gärtner bald weichen müssen. Denn die Stadt will hier bauen. Die Rede ist von einem Park mit durchgehendem Spazierweg bis zur Reuss.
Ja, und zuhinterst im Tal liegt das ferne Ende des Friedhofs - ein malerischer Ort mit gepflegtem Rasen und asphaltierten Wegen. Aber ebenfalls vollkommen still, mit vergessenen Grabsteinen aus den siebziger Jahren - im Hintergrund weiden Schafe.
Neben dem Friedhof gibt es einen Parkplatz, wahrscheinlich der einzige, der oft so gut wie leer ist. Das weiss ich, weil ich hier meine erste Fahrstunden hatte. Motor anmachen, Fuss von der Kupplung, Gas geben. Heute ist er wahrscheinlich Hauptschauplatz des neuen Nachtbetriebs. Das legt jedenfalls dieses Bild nahe:
Aufgenommen an der Riedstrasse in der Nähe des Friedhof-Parkplatzes.
Nicht nur die Familiengärtner sind über den Einzug der Prostitution in "ihr" Areal irritiert. Auch die städtische Linke findet den Ort für solche Geschäfte ungeeignet: Die Frauen seien in dieser verlassenen und schwer zugänglichen Gegend weniger sicher als in der Innenstadt und müssten sich von Zuhältern herfahren und "beschützen" lassen. Ein Argument, das ich gut nachvollziehen kann.
Zweitens liegt die Gegend hinter einem mit Fussgängerstreifen nur sehr spärlich bestückten Autobahnzubringer. Aber in letzter Zeit hat auch der Verkehr die Gärtner nicht vor Unruhe bewahrt. Vor einiger Zeit zog gar der Strassenstrich vom neuen Mittelstandsquartier Tribschenstadt hierher. Als ich das in der Zeitung las, erwachte mein Interesse. Ich wollte die Gegend sehen - nicht mit den Augen der argwöhnischen Anwohnerin. Auch nicht als Voyeurin - weshalb ich einen verregneten Sonntagnachmittag für meinen Ausflug wählte. Ich ging einfach als Flaneurin mit offenen Augen hin. Und fand einen menschenleeren Stadtteil voller düsterer Wunder.
Etwa diesen riesigen Tunnel. Ein Bekannter von mir behauptet, es handle sich um einen Lärmschutztunnel-Prototyp für die Autobahn. Aus den siebziger Jahren. Soll sich als völlig nutzlos erwiesen haben. Ich weiss nicht, ob das stimmt. Mich erinnert der Bau eher an die mächtigen Gewächshäuser in den Kew Gardens von London - die allerdings wohl erst nach der Apokalypse so aussehen werden.
Der Bau, umgeben von Komposthaufen, liegt am Reuss-Rotsee Kanal - unter dem man sich aber kein schiffbares Gewässer vorstellen sollte.
Er ist vielmehr ein munterer Bach, der lediglich der künstlichen Bewässerung des Rotsees dient. Der See liegt auf der besseren Seite des Autobahnzubringers und ist bei Spaziergängern sehr beliebt. Was man vom Kanal nicht behaupten kann. Es gibt hier zwar ein paar Naturpfad-Tafeln, die Flora und Geographie erklären. Doch bin ich wahrscheinlich die erste Spaziergängerin, die diese Tafel überhaupt gesehen hat. Schade, denn da stehen ein paar interessante Dinge. Zum Beispiel: Vor der letzten Eiszeit floss die Reuss hier Richtung Aargau. Aber am Ende der letzten Eiszeit blieb Toteis wie ein Deckel über dem Tal liegen. Deshalb suchte sich der Fluss einen anderen Weg. Feucht ists geblieben. Davon zeugt schon der Name "Riedstrasse".
Ebenfalls am Kanal liegen die WCs der Familiengärtner. Dass man sie nicht für die Weltöffentlichkeit gebaut hat, legen die Schildchen auf der Tür nahe - sie müssen aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts stammen.
Am Häuschen hängt auch dieser Cartoon:
Er ist beredtes Zeugnis dafür, dass die Familiengärtner hier nicht nur gute Zeiten gesehen haben. Offenbar war hier früher eine Mülldeponie. Die Stadt hat zwar die Böden einmal saniert. Das heisst: "Sie haben einfach einen halben Meter Erde über den alten Boden gekippt", hat mir einmal ein Familiengärtner erzählt. Kommt noch dazu, dass einige der Gärtner bald weichen müssen. Denn die Stadt will hier bauen. Die Rede ist von einem Park mit durchgehendem Spazierweg bis zur Reuss.
Ja, und zuhinterst im Tal liegt das ferne Ende des Friedhofs - ein malerischer Ort mit gepflegtem Rasen und asphaltierten Wegen. Aber ebenfalls vollkommen still, mit vergessenen Grabsteinen aus den siebziger Jahren - im Hintergrund weiden Schafe.
Neben dem Friedhof gibt es einen Parkplatz, wahrscheinlich der einzige, der oft so gut wie leer ist. Das weiss ich, weil ich hier meine erste Fahrstunden hatte. Motor anmachen, Fuss von der Kupplung, Gas geben. Heute ist er wahrscheinlich Hauptschauplatz des neuen Nachtbetriebs. Das legt jedenfalls dieses Bild nahe:
Aufgenommen an der Riedstrasse in der Nähe des Friedhof-Parkplatzes.
Nicht nur die Familiengärtner sind über den Einzug der Prostitution in "ihr" Areal irritiert. Auch die städtische Linke findet den Ort für solche Geschäfte ungeeignet: Die Frauen seien in dieser verlassenen und schwer zugänglichen Gegend weniger sicher als in der Innenstadt und müssten sich von Zuhältern herfahren und "beschützen" lassen. Ein Argument, das ich gut nachvollziehen kann.
diefrogg - 17. Mai, 15:14
3 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
walküre - 18. Mai, 12:02
Erstaunlicherweise arbeitet man auch hier in Wien daran, die Sexarbeiterinnen aus den Wohngebieten zu verdrängen. Derzeit befindet sich der einzige offizielle Wiener Straßenstrich beim Prater, und auch hier, da ein großer Teil dieses Areals aus Wald und Wiesen besteht (und nicht nur aus dem bekannten Vergnügungspark), ist die Gefahr für die Frauen meines Erachtens sehr groß. Mich stößt diese Art der Doppelmoral extrem ab.
diefrogg - 18. Mai, 15:03
Sie sprechen mir...
aus der Seele, Frau Walküre! Nie habe ich die Bedeutung des Wortes "Doppelmoral" besser begriffen als beim Verfassen dieses Beitrags. Mir wurde fast übel beim Gedanken an die Empörung über den Strich im Wohlstandsquartier, die bei uns von gewissen Politikern monatelang immer wieder hochgekocht wurde. Vor allem von Politikern übrigens, die sonst gerne die Gesetze von Angebot und Nachfrage als etwas Gottgegebenes betrachten.
Bei diesem Geschäft stört es aber offensichtlich nicht, dass die Anbieterinnen bestraft werden.
Übrigens erinnere ich mich sehr gerne an die Grünflächen rund um den Prater, die wir während unseres letzten Besuchs in Wien ausgiebig durchstreift haben. Die Situation ist tatsächlich bis zu einem gewissen Grad vergleichbar.
Bei diesem Geschäft stört es aber offensichtlich nicht, dass die Anbieterinnen bestraft werden.
Übrigens erinnere ich mich sehr gerne an die Grünflächen rund um den Prater, die wir während unseres letzten Besuchs in Wien ausgiebig durchstreift haben. Die Situation ist tatsächlich bis zu einem gewissen Grad vergleichbar.
Jossele - 27. Mai, 16:18
Neuerdings sind die Damen des Gewerbes in die (Wien) Randbezirke verbannt worden, was sehr skurile Ausmaße angenommen hat.
Weg von den Straßen, hinaus an den Stadtrand, wie hier nach Auhof, was ein kleines Einkaufszentrum- und Industriegebiet ist.
Prostitution wird offensichtlich begehrt, aber wir wollen nichts davon wissen.
Doppelmoral zum Quadrat.
Frauen die sich dort anbieten sind ziemlich weit weg der relativ schützenden Stadt, aber offensichtlich ist die vordergründige Moral wichtiger.
Weg von den Straßen, hinaus an den Stadtrand, wie hier nach Auhof, was ein kleines Einkaufszentrum- und Industriegebiet ist.
Prostitution wird offensichtlich begehrt, aber wir wollen nichts davon wissen.
Doppelmoral zum Quadrat.
Frauen die sich dort anbieten sind ziemlich weit weg der relativ schützenden Stadt, aber offensichtlich ist die vordergründige Moral wichtiger.
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