30
Sep
2010

Noch drei Monate zu leben

Robi vom Dorf fragt mich: "Sag, was würdest Du tun, wenn Du nur noch drei Monate zu leben hättest?" Wir sitzen beim Feierabend-Apero in der Beiz. Es ist nicht die richtige Zeit und nicht der richtige Ort für Tiefsinn. Aber Robi muss man ernst nehmen, wenn er sowas fragt. Robi ist ein bisschen speziell. Er steht früh morgens auf, um die Bibel zu lesen. Und tagsüber ist er ein leidenschaftlicher Schreiber und scharfsinniger Satiriker.

Ich nehme einen Schluck von meinem gespritzten Weissen. "Da erwischst Du mich jetzt wirklich auf dem falschen Fuss", sage ich, "Ich bereite mich nämlich auf etwas vor, was ich mir ein bisschen wie das Gegenteil vorstelle. Ich meine: Ich habe einen tiefen Blutdruck und wahrscheinlich ein gutes Herz. Ich kann 90 werden." An dieser Stelle klopfe ich dreimal an meinen Holzstuhl. "Aber es ist möglich, dass ich in zehn Jahren nichts mehr höre und mich dann noch 35 Jahre lang taub durchs Leben schlage."

Da nimmt Robi einen Schluck von seinem Bier und sagt eine Weile gar nichts. Dann erzählt er, was er tun würde.

Dazu passt Sound von einem, den man so etwas nicht zu fragen gebraucht hätte.



Eddie Cochran schrieb schnell ein paar Hits, bevor er mit 21 Jahren bei einem Autounfall zu Tode kam. Das war 1960. Hier der Text des Songs. Köstlich in Stil der späten fünfziger Jahre.

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https://froggblog.twoday.net/stories/8370902/modTrackback

katiza - 30. Sep, 18:34

Vera Birkenbihl erklärt in einem ihrer Seminare, dass es seltsam ist, dass wir uns fragen, was wir tun würden, wenn wir nur mehr drei Monate zu leben hätten; dabei wüssten wir gar nicht, ob wir überhaupt noch ein Monat zu leben haben. Jeder von uns kann morgen sterben. Ich versuche mittlerweile so zu leben, als hätte ich nur mehr drei Monate, was Lebensart, Lebensquälität, Jobs und Menschen anlangt. Gerade habe ich eine sehr schwere Entscheidung unter Zuhilfenahme dieses Gedanken gefällt.

diefrogg - 30. Sep, 22:04

Oh, da wäre es jetzt...

interessant, mehr zu wissen!

Um ehrlich zu sein: Unterdessen habe ich die Antwort auf die Frage gefunden. Und sie geht die Sache von einem ganz anderen Gesichtspunkt aus an als Ihre, Frau katiza. Aber sie braucht einen eigenen Eintrag. Hier nur schon mal der Trailer: Wenn jemand weiss, dass er nur noch drei Monate zu leben hat, wird vor allem Zeit brauchen, sich zu verabschieden.

Die Antworten, die wir auf diese Frage geben, wenn wir mitten im Leben stehen, haben aber sehr viel mit der Frage zu tun, was wir uns unter einem "gelebten Leben" vorstellen. Die Frage danach, was "gelebtes Leben" ist, stelle ich mir in letzter Zeit sehr oft. Es hat durchaus mit all den Dingen zu tun, die Sie erwähnen. Aber auch damit, wo wir im Leben stehen. Was wir leisten wollen. Und/oder können. Was wir erleben wollen. Seit ich krank bin, komme ich zu erstaunlich anderen Antworten als früher.

Natürlich hat Frau Birkenbihl recht: Wir können nie wissen, wie lange wir noch leben. Aber rein statistisch betrachtet haben die meisten von uns noch SEHR viel Zeit.
creature - 1. Okt, 09:58

ich habe es selbst erlebt, ein unachtsamer augenblick beim autofahren, mit den gedanken bereits in der zukunft wie es meist ist, bei manchen auch im gestern, plötzlich ein lkw vor dir, notbremsung, schleudern, wagen ausser kontrolle, vor dir eine brücke nachdem du schon links und rechts in die leitplanken donnerst..........
ich hab gelernt mich hauptsächlich auf das jetzt zu focusieren, alles andere ist zweitrangig.
ich liebe das schauen, der himmel, die bäume, kann nicht genug davon bekommen, das leben aufzusaugen mit allen mitteln die ich hab, so tät ich auch meine letzten stunden verbringen.
so sagen auch alle bekannten meister die je hier waren, das versuchen sie ihren schülern zu vermitteln.
diefrogg - 1. Okt, 13:53

Ja, im Jetzt keben...

das ist schon ok. Und schnell gesagt. Und schwer gelernt. Und hat nichts mit dem zu tun, was wir durchmachen, wenn wir wissen, dass wir schon sehr bald sterben werden.
steppenhund - 30. Sep, 22:41

Seit meiner Mittelschulzeit habe ich eine Liste von Lieblingsbüchern (oder Lieblings-Sujets) gesammelt, in denen der Tod eine ziemlich starke Rolle spielt. Man wird mir glauben, dass ich nicht nur solche Bücher gelesen habe, doch die Affinität zum Thema scheint unbewusst immer vorhanden gewesen zu sein.
Hier ein kurzer Teilausschnitt:
"Das Spiel ist aus." Jean-Paul Sartre
"Das Ende einer Affäre" Graham Greene
"Steppenwolf" Hermann Hesse
...
"Master und Margarita" Michail Bulgakov
..
..
Das zuletzt zitierte Werk beinhaltet schon auf Seite 2 oder 3 eine wunderbare Szene. Der Teufel (Voland) diskutiiert mit dem atheistischen Literaturkritiker Berlioz (bei den Patriarchenteichen) über die Existenz Gottes und des Teufels. Berlioz: "Alles kann der Mensch planen, er braucht dazu weder Gott noch Teufel." Voland lacht ihn aus: "Wie soll der Mensch etwas planen, wenn er nicht einmal den Zeitpunkt seines eigenen Todes kennt. Und flugs rechnet er ihm vor, dass sein Kopf noch am gleichen Abend von einer Komsomolzin fein säuberlich abgetrennt würde. So unwahrscheinlich dieses klingt, passiert es genau so.
Ich konnte mich der Dringlichkeit dieser Darstellung nie entziehen.
Deswegen agiere ich mitunter spontan und unüberlegt, um nichts zu versäumen. Und ich glaube, dass ich zwar unendlich leben werde, aber morgen schon tot sein werde.
Und im Gegensatz zu George Clooney im Film (the American) glaube ich daran, dass sich Gott für mich interessiert. Ich fühle es trotz meiner Ablehnung sämtlicher kirchlicher Darstellungsarten, ich spüre es in Form eines "es passiert etwas mit mir". Ich weiß nicht, ob ich das mit der gleichen Leichtigkeit behaupten könnte, wenn ich Meniere hätte, doch ich vermute es fast.
Ich fürchte mich absolut nicht vor dem Tod, doch ich fürchte mich vor Schmerzen, Schmerzen einer Krankheit, die mein Lebensgefühl aussagt.
Noch ist es Gott sei Dank nicht so weit.
Ich würde mein Leben in Beantwortung der gestellten Frage nicht ändern. Doch - vielleicht schon. Ich würde jeden Tag Sex haben wollen. Nicht belanglos, doch mit allen Frauen, die mir etwas bedeuten. Soviel ich nur kann. Den Tod würde ich nicht spüren, wenn ich ihn so oft in kleiner Form erleben könnte. Quasi die 2-3 Monate Lauftraining vor Absolvierung eines Marathon.

diefrogg - 1. Okt, 13:58

Bei mir ist es umgekehrt...

Ich versäume heute spontan und unüberlegt Dinge - genau deshalb, weil ich weiss, dass ich für viele andere Dinge vielleicht nicht mehr viel Zeit habe.

Dass sich Gott für mich interessiert, glaube ich gelegentlich zu ahnen. Aber erst, seit ich Meniere auf beiden Ohren habe.

Ich fürchte mich sehr vor dem Tod. Weniger vor den ihn begleitetenden Schmerzen.

Ich würde mein Leben ändern. Ich werde bald erklären, wie.

Ihren Kommentar finde ich sehr anregend, auch wenn ich es genau anders halten würde als Sie, Herr Steppenhund. Danke.
nuss - 1. Okt, 11:32

Gute Frage

Den ganzen Tag mit Leuten in der Beiz sitzen und reden. Abends Sachen aufschreiben. (Moment, das mache ich ja jetzt schon. Erkenntnis!)

diefrogg - 1. Okt, 13:54

:))

Schön. Gut! Ich glaube, in der Beiz sitzen und reden, das würde ich auch tun. So oft wie ich noch könnte. Das ist wichtig, egal, wie viel Zeit man noch vor sich hat.
walküre - 1. Okt, 17:42

Eine harte Nuss, dieser Text mit seinen Kommentaren. Aber eine, die es sich zu knacken lohnt.

Auch ich bin derzeit angesichts des Dahinsiechens meiner Mutter mit dieser Frage ständig konfrontiert; für mich sehe ich darin eine große Chance, mein Leben bewusster zu leben als sie es je getan hat (Ihr Lebensmotto lautete stets "verdrängen, was das Zeug hält" und sich nie einer Konfrontation - weder mit sich selbst geschweige denn mit anderen Menschen - stellen). Mehr kann ich dazu momentan nicht schreiben, weil sich in meinem Kopf noch sehr viel ordnen muss, wobei ich diese Phase keinesfalls als unangenehm empfinde, sondern mein Unterbewusstsein und meine Emotionen arbeiten lasse und mir zwischendurch immer wieder mal die Zwischenergebnisse ansehe, sozusagen. Überflüssig zu erwähnen, dass ich darauf achte, möglichst in mir selber zu ruhen und meinen Akku nicht leer werden zu lassen.

diefrogg - 1. Okt, 20:08

Ich fühle mich da...

ganz im Einklang mit ihnen, Frau Walküre. Wenn sie sagen, "ich muss in meinem Kopf noch viel ordnen", dann deckt sich das sehr genau mit einer Erfahrung, die im letzten Jahr gemacht habe: Lebensfragen brauchen Zeit. Man kann sie nicht von heute auf morgen beantworten. Ich wünsche ihnen gute Tage, die nötige Ruhe und ein paar stets geöffnete Tankstellen für Ihren Akku!
la-mamma - 1. Okt, 19:31

wenn sie den nicht kennen,

empfehle ich ihnen den film "mein leben ohne mich", eine der gelungensten antworten auf genau diese frage.

diefrogg - 1. Okt, 20:05

Na, den werde ich mir...

bei Gelegenheit gerne - und mit dem nötigen Misstrauen - ansehen.
la-mamma - 1. Okt, 20:34

da freu ich mich über ein feedback -

bei mir finden nämlich nur extrem wenige filme gnade. im grunde kann ich die sogar alle aufzählen,so wenige sind das;-)
steppenhund - 2. Okt, 11:37

Also dann bitte: Aufzählung!
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