20
Sep
2009

Flüsternde Bücher

Meine Bankrott-Erklärung meinem Krimi gegenüber hat auch ihr Gutes: Sie macht Platz für Neues. Ich gehe öfter aus, lerne Karate und weiss besser mit meinem Handy und meinem Computer umzugehen. Ich muss nicht immer sagen "das interessiert mich nicht", oder "das geht mich nichts an", um mir Dinge vom Hals zu halten, die normale Leute schon lange angepackt haben.

Den ganzen Sommer über habe ich mir überlegt, ob ich je wieder etwas schreiben werde (ausser meinen Blog). Inzwischen weiss ich: Ja, ich werde wieder etwas anderes schreiben. Ich weiss ja jetzt, dass ich die Disziplin dafür habe. Und vielleicht bringe ich ja eines Tages etwas zu Stande, was mich selber überzeugt.

Jetzt hat eine neue Phase begonnen: Jetzt überlege ich mir mit grosser Dringlichkeit, was ich eigentlich schreiben will. So sehr, dass ich manchmal Herrn T. nicht zuhöre, wenn er mir etwas erzählt. Bis vor ein paar Tagen war es mir klar: Ich beisse die Zähne zusammen. Ich setze mich hin und lege die Trümmer meines Krimis vor mich hin. Ich sortiere sie aus und setze sie zu einer neuen Arbeit zusammen. Die Grundidee dafür habe ich schon. Sie überzeugt mich. Wenn ich mich am Riemen reisse, habe ich in einem Monat einen neuen Plot beisammen. In einem Jahr habe ich ein neues Werk geschrieben. Und dann... dann werde ich ihn vielleicht veröffentlichen können und endlich etwas Geld verdienen.

Aber immer öfter fällt mir dieses Bild ein.

filomena reading

Es zeigt mich beim Lesen auf dem Balkon unserer Sommerferienwohnung in Trogir. Ich lese dieses Buch:

Ich lese es so vertieft, dass ich nicht einmal merke, dass Herr T. ein Bild von mir macht. Und derweil ich lese, flüstert die ganze Zeit eine Stimme zu mir. Sie sagt: "Steh auf, setz Dich an einen Schreibtisch und schreib. So solltest Du schreiben. Solche Dinge solltest Du sagen. Steh auf und tu es, bevor es zu spät ist."

Ich habe diese Stimme nicht ernst genommen. Denn könnte ich eine derart hypnotisierende Prosa schreiben wie Anne Enright? Nein, wahrscheinlich nicht. Und überhaupt: Man sollte keine Bücher schreiben, weil man Bücher schreiben möchte wie ein grosses Vorbild. Das ist lächerlich. Man sollte seine eigene Stimme finden. Und überhaupt: So stark ist das Buch gar nicht! Die Sprache mag mir gefallen, aber der Plot? Was will die mir eigentlich erzählen?! Zudem habe ich mir vorgenommen, einen Krimi zu schreiben. Ich kann doch nicht ständig etwas Neues anfangen!

Doch zur Zeit lese ich ein Buch, aus dem mich wieder genau dieselbe Stimme beflüstert. Dieses hier:



Was ist es, was mich an diesen Büchern reizt? Beide sind doch in einem gewissen Sinne unvollständig. Sie gehören keinem klaren Genre an. Sie beschreiben keine weltbewegenden Vorfälle. Es geht um ganz gewöhnliche Frauen, die ganz gewöhnliche Existenzen führen, relativ gewöhnliche Dinge erleben. Doch beide Bücher stellen Fragen. Beide forschen nach den Wurzeln des Bewusstseins dieser Frauen.

Ist es das, was ich will?

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brigitte - 20. Sep, 20:06

(Be)schreiben können wie Alice Munro, das darf doch auf jeden Fall ein Ziel sein. Ich würde aber auch deinen Krimi kaufen :-).

diefrogg - 20. Sep, 20:08

In der Tat!

Munro schreibt hervorragend! Und ich bin froh, dass Du mich nicht auf etwas festlegen willst, Brigitte!
brigitte - 20. Sep, 20:11

was ich festgestellt habe: bei krimis achte ich weniger auf die schreibkunst als auf den plot, die spannung. ein wirklich gut geschriebener krimi mit einer nicht ganz so guten geschichte hat es bei mir sehr schwer. aber das geht wahrscheinlich den meisten so.
diefrogg - 20. Sep, 20:30

Ja, das geht mir...

auch so. Deshalb lese ich am liebsten Krimis, wenn ich Sorgen habe: Ich verlasse mich dann darauf, dass der Plot mich durch das Buch rasen und alles andere vergessen lässt. Bücher wie die beiden oben genannten lese ich mehr zur Erbauung: an der Sprache, an der Erkenntnis, am Wiedererkennen. Aber da bin ich dann auch weit kritischer. Wenn ich da einem Charakter etwas nicht abnehme, dann schauderts mich. Deshalb lese ich so selten Schweizer Romane. Meistens befriedigen sie mich dann doch nicht.
steppenhund - 20. Sep, 20:38

Merkwürdig: Frisch, Muschg, Widmer konnten mich außerordentlich packen.
Ich kenne kaum einen Kriminalroman, der wirklich spannend ist. Entweder ist der Plot zu durchsichtig oder erscheint am Ende zu unlogisch. Aber da bin ich wohl ein Sonderfall.
Der Krimi, an den ich mich erinnern kann, war Asimovs "Caves of Steel", der einen Kriminalfall in einem SF-Ambiente geschildert hat. (Der Roman stammt aus der Roboter-Gruppe mit den entsprechenden Problembehandlungen, wie Menschen auf Roboter reagieren.)
Schuld und Sühne würde ich ja z.B. nicht als Krimi einordnen;)
diefrogg - 20. Sep, 20:55

Nun ja,

Frisch nehme ich aus, wenn ich sage, dass ich keine Schweizer Romane lese. Der ist eine Liga für sich. Und ausserdem meinte ich "zeitgenössische Literatur". Muschg... naja, was soll ich sagen... schreiben möchte ich so jedenfalls nicht. Auch wenn ich seine Arbeit durchaus als Literatur respektiere. Zentnerschwere Literatur, finde ich zuweilen. Widmer... nein, Widmer hat mich dann jeweils doch nicht richtig glücklich gemacht. Aber es ist lange her, dass ich einen Roman von ihm gelesen habe. Deshalb kann ich jetzt nicht mehr sagen, weshalb.
"Caves of Steel" habe ich nicht gelesen. Aber es ist ja nicht das erste Mal, dass wir feststellen, dass unsere Geschmäcker verschieden sind, nicht wahr, Herr Steppenhund?
steppenhund - 20. Sep, 21:27

"Caves of Steel" haben wohl die wenigsten gelesen. Genauso wenig wie der fiebernde Planet vom gleichen Autor. Den "Schnupfen" von Stanislav Lem kennen schon mehrere "Du bist spät, Eikan" war eines der letzten Werke, die ich von Muschg gelesen hab. Das fand ich nicht so schwer. bei Widmer denke ich an das Vater und Mutter-Buch. Die sprechen mich natürlich an, weil die Beschäftigung mit den Eltern doch ein zentrales Thema in unserem Leben ist, wie sich das ja auch bei einigen Bloggerinnen herausstellt. (Das i ganz bewusst klein geschrieben:)
Wissen Sie, dass es schon etwas Besonderes ist, wenn jemand einen anderen Geschmack hat. Denn ich lese so viel, wenn auch nicht mehr so viel wie früher, dass es schon ein Wunder ist, wenn da nicht gemeinsame Bücher auftauchen, die allen gefallen.
Ganz versteckt geht es mir ja um etwas anderes. Ich spüre die Suche nach dem Stoff, der geschrieben wird. Das finde ich authentisch und gut und viel überzeugender als der Wunsch, das Werk einer bestimmten Gattung zu schreiben.
Ich werde daher aufmerksam verfolgen, wohin Sie diese Suche führt.
diefrogg - 23. Sep, 13:32

Darüber freue ich mich,

Herr Steppenhund! Der Vorteil eines Romans in einem bestimmten Genre ist der: Man hat bessere Chancen, ihn verkaufen zu können. Und das ist ein matchentscheidender Vorteil, wenn man in einem Berufsfeld arbeitet, in dem die Perspektiven so düster sind wie im Moment bei den Printmedien. Ob Romane sich allerdings in fünf Jahren noch verkaufen... wer weiss!
acqua - 20. Sep, 20:09

In etwa so eine Haltung, wie du sie in diesem Beitrag an den Tag legst, meinte ich mit meinem letzten Kommentar. Ich habe mich aber wohl nicht so gut ausgedrückt.

diefrogg - 20. Sep, 20:34

Eben habe ich...

Deinen Kommentar nochmal gelesen. Ja, stimmt. So kann man ihn auch lesen. Ich hatte ihn beim ersten Mal mehr auf mein "hauptberufliches" Leben bezogen. Aber so kann ich Deinen Kommentar zum Thema Karriere auch besser einordnen!
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