November im Herzen
Diese Woche habe ich schon zweimal den Internationalen Tag des Selbstmitleids ausgerufen. Ich habe mir beide Male geschworen, nach intensivem Suhlen wieder tapfer wie immer voranzuschreiten. Aber es geht nicht. Ich habe den November im Herzen, und er streckt mich nieder.
Ich denke viel ans Geschäft. Dort reden Männer aus dem fernen Zürich über Module, Synergien und Gewinnerwartungen und Luft, die irgendwo drin sein soll. Klingt alles abstrakt, aber jeder weiss: Es geht um meinen Arbeitsplatz. Ich höre mir das alles an und meine Ohren dröhnen. Ich komme mir vor wie ein kaputtes Spielzeug. Ein Bäbi* ohne Arm, sagen wir mal. Und bei diesem Spielchen spielen grössere Buben mit als sonst. Keine Ahnung, was die mit einem Bäbi ohne Arm machen.
Schlimmer noch ist das Alter. Ich bin 48 und ich weiss jetzt: Das Klimakterium ist wie eine zweite Pubertät. Und ich meine nicht die Wehwehchen. Ich meine die Identität. Ich gehe hinein in eine Dunkelkammer. Ich weiss nicht, wie ich herauskommen werde. Was ist eine alte Frau, die keine Grossmutter ist und keine Kapazität in ihrem Beruf? Wo steht sie? Manchmal denke ich, ich werde herauskommen wie jene Künstlerin mit den flatternden Röcken und den irren Augen, die jeder bei uns ein Original nennt. Das macht mich hoffnungsfroh - aber dann fällt mir ein, dass ich dazu viel zu konventionell bin.
In der Dämmerung schleiche ich hinein in unsere grosse, leere Kirche. Drin spielt die Orgel. Hier gibt es oft grandiose Konzerte, Orgelorgien, Orgelgewitter. Aber diesmal spielt der Organist verhalten. Plötzlich setzt er zu Yesterday von den Beatles an. Er spielt es wie ein Hammondorgelmann auf einer Ü70-Singleparty. Gähn! Vielleicht übt er für eine Beerdigung. Plötzlich geht mir die Songzeile durch den Kopf:
"Suddenly, I'm not half the man I used to be,
there's a shadow hanging over me."
Hey, das sind Zeilen über mich! Nur halb so gross wie früher, und der Schatten hängt nicht nur über mir - ich bin der Schatten!
Dennoch: Ich bin getröstet. Was gibt es besseres, als die Erkenntnis, dass der gute alte Paul McCartney schon 1965 mein Problem gekannt hat?!
* Schweizerdeutsch: Puppe
Ich denke viel ans Geschäft. Dort reden Männer aus dem fernen Zürich über Module, Synergien und Gewinnerwartungen und Luft, die irgendwo drin sein soll. Klingt alles abstrakt, aber jeder weiss: Es geht um meinen Arbeitsplatz. Ich höre mir das alles an und meine Ohren dröhnen. Ich komme mir vor wie ein kaputtes Spielzeug. Ein Bäbi* ohne Arm, sagen wir mal. Und bei diesem Spielchen spielen grössere Buben mit als sonst. Keine Ahnung, was die mit einem Bäbi ohne Arm machen.
Schlimmer noch ist das Alter. Ich bin 48 und ich weiss jetzt: Das Klimakterium ist wie eine zweite Pubertät. Und ich meine nicht die Wehwehchen. Ich meine die Identität. Ich gehe hinein in eine Dunkelkammer. Ich weiss nicht, wie ich herauskommen werde. Was ist eine alte Frau, die keine Grossmutter ist und keine Kapazität in ihrem Beruf? Wo steht sie? Manchmal denke ich, ich werde herauskommen wie jene Künstlerin mit den flatternden Röcken und den irren Augen, die jeder bei uns ein Original nennt. Das macht mich hoffnungsfroh - aber dann fällt mir ein, dass ich dazu viel zu konventionell bin.
In der Dämmerung schleiche ich hinein in unsere grosse, leere Kirche. Drin spielt die Orgel. Hier gibt es oft grandiose Konzerte, Orgelorgien, Orgelgewitter. Aber diesmal spielt der Organist verhalten. Plötzlich setzt er zu Yesterday von den Beatles an. Er spielt es wie ein Hammondorgelmann auf einer Ü70-Singleparty. Gähn! Vielleicht übt er für eine Beerdigung. Plötzlich geht mir die Songzeile durch den Kopf:
"Suddenly, I'm not half the man I used to be,
there's a shadow hanging over me."
Hey, das sind Zeilen über mich! Nur halb so gross wie früher, und der Schatten hängt nicht nur über mir - ich bin der Schatten!
Dennoch: Ich bin getröstet. Was gibt es besseres, als die Erkenntnis, dass der gute alte Paul McCartney schon 1965 mein Problem gekannt hat?!
* Schweizerdeutsch: Puppe
diefrogg - 16. Nov, 15:09
11 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
hotcha - 17. Nov, 09:27
Die Hormone sind's!
Ich habe irgendwie gehört, die hormonelle Umstellung führe dazu, dass die Ausschläge im Befinden vorübergehend extrem sein können. Aufpassen ;-)
Aber der Einbruch der Erbsenzähler, der Controller, der Cost Cutter, das ist die Seuche unserer Zeit. Wenigstens rafft sie nicht hinweg, sie schiebt nur zur Seite. Den Satz "Aber dort kann es auch ganz schön sein" habe ich jetzt aber gelöscht, bin schliesslich kein Pfarrer hehehe.
Aber der Einbruch der Erbsenzähler, der Controller, der Cost Cutter, das ist die Seuche unserer Zeit. Wenigstens rafft sie nicht hinweg, sie schiebt nur zur Seite. Den Satz "Aber dort kann es auch ganz schön sein" habe ich jetzt aber gelöscht, bin schliesslich kein Pfarrer hehehe.
diefrogg - 17. Nov, 19:52
"Aber dort kann es...
ganz schön sein." Das könnte ich selbst von einem Pfarrer akzeptieren ;) Ich über mich jetzt schon ein paar Jahre im halb weggewischt sein. Gelegentlich bin ich sogar ganz gut damit zurechtgekommen. Aber die derzeitigen Perspektiven sind etwas gewöhnungsbedürftig.
bonanzaMARGOT - 19. Nov, 09:40
ich ließ die pubertät beinahe übergangslos in die midlifecrisis übergehen. nun bin ich fünfzig. es war nie wirklich anders. an die schatten habe ich mich gewöhnt. keine kinder, keine enkelkinder und einen job, in dem ich mich zu oft frage, was ich da eigentlich mache.
ich werde einfach nur alt. heul.
ich werde einfach nur alt. heul.
diefrogg - 20. Nov, 15:31
Oje! ;)
Deine Arbeit scheint mir aber keineswegs sinnlos. Ich meine: Alte Menschen zu betreuen, kann doch nicht sinnlos sein. Da sieht man doch, dass man gebraucht wird. Oder nicht?
bonanzaMARGOT - 23. Nov, 14:19
sinnlos ist die arbeit nicht - wenn man die energie und die zeit hätte, den job auch halbwegs gut zu machen. so bleibt nur frust. herbeigeführt durch zu hohe maßstäbe trotz unterbesetzung.
ich bin inzwischen nur noch müde. mich machen die menschen, die alles ständig wiederholen, die genau wissen, wo die defizite sind, aber nichts unternehmen, wütend, trübsinnig und frustriert.
klar fühle ich mich manchmal gebraucht - weil kein anderer diesen scheiß job machen will ...
ich bin inzwischen nur noch müde. mich machen die menschen, die alles ständig wiederholen, die genau wissen, wo die defizite sind, aber nichts unternehmen, wütend, trübsinnig und frustriert.
klar fühle ich mich manchmal gebraucht - weil kein anderer diesen scheiß job machen will ...
Jossele - 19. Nov, 11:37
Über´s Klimakterium zu schreiben wäre jetzt ein bisserl vermessen von mir, kenn ich es doch eher vom Mitgehen.
Allerdings, auch Männer altern, und ich hab ja schon beinahe zehn Jahre Vorsprung.
Was ich sagen kann ist, es kommt noch Einiges.
Sich in Schatten zu suhlen ist gut für die Seele, aber als Dauerzustand ist es nicht zu empfehlen.
Na ja gut, jetzt ist November, da gehört das quasi dazu, aber ich tät mir einmal so grob eine Liste machen, was "noch" alles gelebt werden will.
Solche Listen können ganz schön lang werden...
Die Zeit, meingott, erst einmal sind wir da, und daraus läßt sich in jedem Zustand etwas machen.
Allerdings, auch Männer altern, und ich hab ja schon beinahe zehn Jahre Vorsprung.
Was ich sagen kann ist, es kommt noch Einiges.
Sich in Schatten zu suhlen ist gut für die Seele, aber als Dauerzustand ist es nicht zu empfehlen.
Na ja gut, jetzt ist November, da gehört das quasi dazu, aber ich tät mir einmal so grob eine Liste machen, was "noch" alles gelebt werden will.
Solche Listen können ganz schön lang werden...
Die Zeit, meingott, erst einmal sind wir da, und daraus läßt sich in jedem Zustand etwas machen.
diefrogg - 20. Nov, 15:33
Gute Idee,
Herr Jossele, das mit der Liste. Spontan übersprudle ich zwar nicht gerade vor Einfällen. Es ist ja eher so: Momentan habe ich keine dringenden Probleme - da hat man Zeit zu grübeln. Bestimmt fällt mir bald etwas ein.
Jedenfalls wünsche ich mir, so gelassen zu werden wie Sie.
Jedenfalls wünsche ich mir, so gelassen zu werden wie Sie.
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