Roman-Monument
Sie haben mich neulich ziemlich ultimativ auf "Die vierzig Tage des Musa Dagh" von Franz Werfel verwiesen, geschätzter Herr Steppenhund. Meine Neugier hat daraufhin gesiegt. Ich habe begonnen, mir das Werk zur Brust zu nehmen. Nachdem ich 195 von 975 Seiten gelesen habe, kann ich so viel sagen: Ich bereue es keineswegs. Im Gegenteil: Das Werk hat nicht nur grosse Verdienste, sondern eine beeindruckende Wirkungsgeschichte. Schon deshalb lohnt sich die Lektüre.
Werfel schildert unglaublich differenziert und mit sehr viel Einfühlungsvermögen, was mit Menschen passiert, die zu einer ethnischen Minderheit gehören und deswegen verfolgt werden. Kein Wunder, dass es für die Juden des Dritten Reiches ein so wichtiges Buch wurde! Hier lässt sich nachlesen, was das in Deutschland schon bei seinem Ersterscheinen 1933 verbotene Buch bewirkte: "Die Juden haben Werfels Roman gerade in den dreissiger Jahren geschätzt, weil sie in ihm eine Art Spiegelbild der eigenen unsicheren Situation sahen. Und in der Zeit der Ghetto-Aufstände in Osteuropa wurde Werfels 'Musa Dagh' geradezu zum Symbol des Widerstandes."
Das Werk ist also wahrlich ein Monument, Herr Steppenhund. Leider eines, das seine Aktualität wohl noch lange nicht verlieren wird. In einem gewissen Sinne verstehe ich angesichts von all dem sogar, weshalb Sie der Meinung sind, dass sich nach der Lektüre von "Musa Dagh" die Lektüre eines jeden anderen Armenier-Romans erübrige (ausser vielleicht desjenigen von Hilsenrath).
Aber damit verwerfen Sie Shafaks Buch mit allzu viel Leichtigkeit. Denn Shafak steht an einem ganz anderen Ort: Sie zeigt, dass die Greuel der Geschichte auch bei den Nachgeborenen Wunden hinterlassen. Auch bei den Tätern. Und dass diese Wunden nur dann heilen können, wenn man hinschaut und ernst nimmt, was man sieht. Bevor ich diese Lektion auch in Werfels Buch finde, bin ich nicht bereit, Shafak dafür aufs Altpapier zu legen!
Werfel schildert unglaublich differenziert und mit sehr viel Einfühlungsvermögen, was mit Menschen passiert, die zu einer ethnischen Minderheit gehören und deswegen verfolgt werden. Kein Wunder, dass es für die Juden des Dritten Reiches ein so wichtiges Buch wurde! Hier lässt sich nachlesen, was das in Deutschland schon bei seinem Ersterscheinen 1933 verbotene Buch bewirkte: "Die Juden haben Werfels Roman gerade in den dreissiger Jahren geschätzt, weil sie in ihm eine Art Spiegelbild der eigenen unsicheren Situation sahen. Und in der Zeit der Ghetto-Aufstände in Osteuropa wurde Werfels 'Musa Dagh' geradezu zum Symbol des Widerstandes."
Das Werk ist also wahrlich ein Monument, Herr Steppenhund. Leider eines, das seine Aktualität wohl noch lange nicht verlieren wird. In einem gewissen Sinne verstehe ich angesichts von all dem sogar, weshalb Sie der Meinung sind, dass sich nach der Lektüre von "Musa Dagh" die Lektüre eines jeden anderen Armenier-Romans erübrige (ausser vielleicht desjenigen von Hilsenrath).
Aber damit verwerfen Sie Shafaks Buch mit allzu viel Leichtigkeit. Denn Shafak steht an einem ganz anderen Ort: Sie zeigt, dass die Greuel der Geschichte auch bei den Nachgeborenen Wunden hinterlassen. Auch bei den Tätern. Und dass diese Wunden nur dann heilen können, wenn man hinschaut und ernst nimmt, was man sieht. Bevor ich diese Lektion auch in Werfels Buch finde, bin ich nicht bereit, Shafak dafür aufs Altpapier zu legen!
diefrogg - 15. Dez, 14:01
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la-mamma - 15. Dez, 21:46
jetzt bin ich aber schon sehr gespannt
die 40 tage hab ich verschlungen - ist ein wirklich starkes buch. und the bastard of istambul liegt am nachtkastel. eingetroffen ist es ihretwegen also schon;-)
diefrogg - 15. Dez, 22:43
Hoffentlich...
sind Sie dann nicht enttäuscht! Es ist schon sehr anders als Musa Dagh. Ich werde fast ein bisschen unruhig bei der Vorstellung, so viel Vorfreude geweckt zu haben!
steppenhund - 16. Dez, 00:03
Also ultimativ war mein Ansinnen nicht. Da hätten Sie mich gründlich missverstanden. Ich kann ja auch schwer behaupten dass Shafaks Buch ein Plagiat ist. Es behandelt den Stoff offensichtlich ganz anders. Es mag vielleicht etwas überheblich rüber gekommen sein, wenn ich meine, dass frau - wenn sie sich von einer Thematik begeistert zeigt - zuerst zum Schmied statt zum Schmiedl gehen sollte. Und wer weiß? Vielleicht hätten Ihnen die 40 Tage nicht gefallen und Sie könnten argumentieren, dass Ihnen Shafak die Armeniensituation nahe bringen konnte, während es vielleicht Werfel nicht geschafft hätte. In mein Ansinnen haben Sie etwas zu viel Vorwurf hineininterpretiert.
Vor zehn Jahren hätten Sie mich damit auch richtig verstanden, heute nicht mehr:)
Als ich ein Kind war, war ich von Readers Digest begeistert. Später konnte ich mich nur mehr über mich selbst wundern. Trotzdem erfüllt RD einen Zweck und gar keinen schlechten.
Das alles gehört aber zum Thema Ungeduld und das ist nächstens einmal dran.
Hauptsache ist jetzt, dass es Ihnen gefallen hat. Dass man nach MusaDagh kein anderes Armenierbuch mehr lesen kann, legen Sie mir hoffentlich als rhetorische Übertreibung aus.
Vor zehn Jahren hätten Sie mich damit auch richtig verstanden, heute nicht mehr:)
Als ich ein Kind war, war ich von Readers Digest begeistert. Später konnte ich mich nur mehr über mich selbst wundern. Trotzdem erfüllt RD einen Zweck und gar keinen schlechten.
Das alles gehört aber zum Thema Ungeduld und das ist nächstens einmal dran.
Hauptsache ist jetzt, dass es Ihnen gefallen hat. Dass man nach MusaDagh kein anderes Armenierbuch mehr lesen kann, legen Sie mir hoffentlich als rhetorische Übertreibung aus.
diefrogg - 16. Dez, 10:40
Geschätzter Herr Steppenhund
Betrachten Sie etwa die Shafak automatisch als "Schmiedl", weil sie eine Frau ist? Gelesen haben Sie das Shafak-Buch ja nicht! Also können Sie Ihr Urteil unmöglich aus der literarischen Qualität des Werkes ableiten. Im übrigen hat es auch schon eine Wirkungsgeschichte. Immerhin musste Shafak des Buches wegen in der Türkei vor Gericht.
Im übrigen: Ich streite mich nun mal gern mit Ihnen. Also lese ich Sätze wie "Ich werde interessiert dieses Blog verfolgen und eine allfällige Stellungnahme zu Werfel erwarten" als "ultimativ" - ohne Ihnen deswegen böse zu sein, Herr Steppenhund.
Im übrigen habe ich ja den "Bastard von Istanbul" nicht gelesen, weil mich die Armenier-Frage besonders interessiert. Vielmehr interessiert mich zeitgenössische Literatur aus der Türkei. Da bin ich überhaupt nicht die einzige: Immerhin war die Türkei Gast an der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt. Da das Buch aktuell ist und es mir gefallen hat, schien es mir angezeigt, es weiter zu empfehlen.
Im übrigen: Ich streite mich nun mal gern mit Ihnen. Also lese ich Sätze wie "Ich werde interessiert dieses Blog verfolgen und eine allfällige Stellungnahme zu Werfel erwarten" als "ultimativ" - ohne Ihnen deswegen böse zu sein, Herr Steppenhund.
Im übrigen habe ich ja den "Bastard von Istanbul" nicht gelesen, weil mich die Armenier-Frage besonders interessiert. Vielmehr interessiert mich zeitgenössische Literatur aus der Türkei. Da bin ich überhaupt nicht die einzige: Immerhin war die Türkei Gast an der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt. Da das Buch aktuell ist und es mir gefallen hat, schien es mir angezeigt, es weiter zu empfehlen.
trox - 16. Dez, 00:55
zum ersten mal ferien...
...machen kann der gehilfe des baufachmanns meines vertrauens. dieser gehilfe ist Armenier, gelernter schweisser und hat lange jahre illegal in Holland gelebt und gearbeitet. erst vor kurzem wurde er "begnadigt", legalisiert. er macht jetzt einen schweisser-kurs, um wieder schweisser sein zu können. und er geht zum ersten mal nach über 10 jahren in die ferien: nach Israel.
diefrogg - 16. Dez, 10:41
Bauleute...
können einen doch immer wieder überraschen! Da ist es ihnen nach fünf Wochen ganz unerwartet doch noch gelungen, die Arbeiten an den Balkonen unseres Hauses zu beenden. Sie haben sogar die Gerüste entfernt, die mir schon ans Herz gewachsen waren. Und dann reist einer von ihnen nach Israel, ein Armenier auch noch! Fragen über Fragen! Zum Beispiel: Warum in aller Welt tut er das?
trox - 17. Dez, 01:33
warum in aller welt
er das tut, weiss ich so genau auch nicht. frappierend war für mich die parallele der geschichten, die sich dann einerseits -- in meiner interpretation zumindest -- so ergibt und andererseits in zufälligen einzelschicksalen (und ich entschuldige mich auch gleich für das wort) auf einmal wieder auftaucht. serendipity?
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