24
Aug
2008

Vor dem Spiegel

Meine ersten Fältchen bekam ich zwischen den Augenbrauen. Senkrecht. Zornesfalten nennt man sie, ich aber nenne sie die Falten des Beharrungsvermögens. Meine Mutter hat sie auch, und ich mag sie. Inzwischen sind sie ziemlich tief.

Dann, in den dreissigern, bekam ich Fältchen in den Augenwinkeln. Es waren Lachfältchen, und ich mag sie.

Jetzt sehe ich meiner Mutter immer ähnlicher. Wie sie bekomme ich in den Mundwinkeln tiefe Furchen. Sie zeigen nach unten. Bei meiner Mutter sind diese Gräben stark ausgebildet. Manchmal, wenn ihr sonst so lebhaftes Gesicht plötzlich schlaff wird, sieht man sie deutlich. Sie graben sich in die Haut neben ihrem Kinn wie vertrocknete Rinnsale in eine Sandwüste. Ihr ganzes Gesicht sieht dann für Momente aus wie eine Maske der Bitterkeit. Bis sie wieder zu lächeln, zu gestikulieren und zu erzählen beginnt.

Ich kenne meine Mutter. Ich kenne ihre Geheimnisse. Gerade deshalb weiss ich nicht, welches ihr echtes Gesicht ist: das lebhafte Gesicht oder die Maske der Bitterkeit.

Als ich ein junges Mädchen war, hatte ich einmal einen Religionslehrer, der zu sagen pflegte: "Wenn ihr wissen wollt, ob jemand glücklich ist, seht ihm auf die Mundwinkel. Wenn sie nach oben zeigen, habt Ihr einen glücklichen Menschen vor Euch." Damals schien mir das allzu simpel.

Jetzt aber schaue ich reiferen Frauen immer öfter auf die Mundwinkel. Achte darauf, ob sie diese Furchen haben. Nicht alle haben sie. Ich schon. So sind meine Mundwinkel zwar mehr oder weniger horizontal. Ich glaube, sie zeigen sogar ein wenig nach oben. Aber diese Furchen! Sie zeigen abwärts, und sie werden tiefer.

Manchmal frage ich mich dann: Heisst das, dass ich kein glücklicher Mensch bin?

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steppenhund - 24. Aug, 20:51

Ich sollte diesen Kommentar wohl besser unterlassen, doch ist das Thema einfach zu drängend. Eigentlich schaue ich mehr auf Mund und Mundwinkel. Dünne Lippen bei Männern und heruntergezogene Mundwinkel bei Frauen gehören zu den echten Abschreckungsfaktoren. Kürzlich habe ich im Zug eine Frau beobachtet, die immer wenn sie nachgedacht hat, die Mundwinkel stark nach unter verzogen hat. Über die Furchen kann ich nichts aussagen. Bei mir selbst könnte ich sie gar nicht sehen, weil da der Bart davor ist:)
Oft liest man ja auch, dass beim Lachen nur 17 Muskeln angespannt werden, während ein ernster oder missmutiger Gesichtsausdruck mehr als 50 davon beansprucht.
Ich konnte jedenfalls feststellen, dass selbst bei einer Deutschrussin, die über 50 Jahre in Arbeitslagern festgehalten wurde, die Mundwinkel nach oben gingen.
Ich kann also nur raten: lächeln, lächeln, lachen und sich selbst dabei ertappen, wenn man ein missmutiges Gesicht macht. Falten an sich stören überhaupt nicht. Manche machen ein Gesicht erst wirklich interessant, selbst bei Frauen. Wenn aber abzusehen ist, dass das Gesicht öfters missmutig als zufrieden war, hat das leider eine abschreckende Wirkung.
Die Maske der Bitterkeit ist nie schön, weder bei der Frau noch beim Mann.

diefrogg - 24. Aug, 21:59

Sie raten mir also...

ernsthaft zu lachen, auch wenn mir nicht danach zumute ist? Dan bin ich froh, dass ich Ihnen nicht gefallen muss. Denn das ist mir, ehrlich gesagt, noch unsympathischer als nach unten gezogene Mundwinkel!
steppenhund - 24. Aug, 22:10

Sie müssen partout nicht mir gefallen sondern sich selbst. Wenn Sie sich lieber mit hängenden Mundwinkeln sehen, ist das ihre Sache.
Ich kannte Leute, denen war beileibe nicht nach Lachen zumute, doch ein Lächeln brachten sie immer noch zustande. Wenn Sie das aber für sich nicht für möglich halten, ist das ausschließlich Ihre Sache.
Dass es Ihnen so unangenehm ist, mir gefallen zu müssen, verwundert mich zwar etwas, aber vor Überraschungen ist man ja nie gefeit;)
Adieu.
katiza - 25. Aug, 08:48

Die Beharrungsfalte habe ich auch -Leberfalte nennt sie der Liebste, der sich mit Shiatsu und so auskennt. Manchmal stört sie mich, weil die Menschen sie mit Zorn assoziieren und manchmal ist sie ein ganz tiefer Keil, der meine Stirn zerschneidet. Auch bei mir ist sie Spur der Mutter. Als ich vor zwei Jahren aus dem Naikan zurückkam war sie sogar weg. "Endlich du auch Botox", hat sich mein schwuler Freund gefreut. Nach 10 Tagen war sie wieder an ihrem gewohnten Ort.
Ich glaube, Sie haben den Steppenhund ein wenig missverstanden. Er hat Ihnenen nicht geraten zu lächeln, auch wenn Ihnen nicht danach zu mute ist. Sein Rat lautete;lächeln, lächeln, lachen und sich selbst dabei ertappen, wenn man ein missmutiges Gesicht macht. Vielleicht sollte man sich einfach nicht von seinen Mundwinkeln nach unten ziehen lassen und wenn man die Wahl hat (und die hat man öfter als man denkt) lieber lächeln als zwider schauen...

diefrogg - 25. Aug, 09:56

@Herrn Steppenhund und Frau katiza!

Im Moment kein Kommentar, da keine Zeit. Ausführliche Antwort folgt!

twoblogs - 25. Aug, 19:54

Bei Maennern, liebe frogg, mag ich Falten; bei Frauen nicht (so sehr)!

Es geht auch etwas diffiziler: ich mag keine duennen Maenner; bei den etwas festeren sind oft die Falten nicht das Problem (fuer sie). Anders gesagt: bei Maennern kann ich mich sogar fuer ein Eidechsengesicht begeistern, wenn ein geistreicher Kopf dahintersteckt.

Ich mag (bei Maennern) diese doppelte Denkfalte; dazu noch (bei einem rasierten Kopf), wenn kraeuselnde Adern (nicht nur an den Schlaefen) hervortreten, als wuerden sie jeden Augenblick aufspringen.

Ich schaue gern einem Mann ins Gesicht, wenn er sich anstrengt: da breitet sich Roete aus; da treten die Augen etwas hervor; da sieht man Halsfleisch und Halssehnen usw. – also etwas Greifbares, Markantes und Unverwechselbares.

Markantheit, wohinter markiert auftaucht. Vom Leben markiert, aber keine Maske. Ja, es gibt nichts Schlimmeres als diese ewige Maske, die Menschen vor sich hertragen muessen, um das Gesicht nicht zu verlieren.

Also Maenner, die nichts zu verbergen haben, freimuetig, sich selber und ihren Ideen treu, konsequent bei aller notwendigen Konfusion etc. – deren Falten und Gefaeltel kann ich lieben.

An mir selbst beobachte ich sehr streng die Augenfalten; und die zwei Falten neben dem Mund. Nicht die Mundwinkel, weil ich (nicht wenn ich arbeite (schreibe)) immer darauf achte, dass ich lachen kann. Ich lache etwa im Durchschnitt alle 10 Minuten, zum Beispiel jetzt! ;-)))

À bientôt! Audrii

PS: Ich wollte eigentlich ueber Frauen schreiben. Daher noch zu meiner Freundin Edith: an ihr kenne ich so ziemlich alle Falten (etwa in der Kinngegend), ueber die ich mit ihr aber nicht reden wuerde. Sie ist da sehr sensibel und empfindet die Altersdifferenz als krass. Aber sie verschwinden wieder unter dem Filter ihrer unwiderstehlichen Schoenheit.

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