Die Frau, die lächelt
Am nächsten Tag führte unsere Reise weiter Richtung Izmir. Im Bus sassen auf unserer Höhe in der Sitzreihe nebenan zwei Frauen, wohl Mutter und Tochter. Die Mutter trug ein Kopftuch. Die Tochter blätterte mit ihrer guten Hand in einem Langendscheidt Türkisch-Deutsch. Ihre schlechte Hand hing seltsam abgewinkelt an ihrer Seite. Auf derselben Seite hatte sie auch ein schlechtes Bein, das sie beim Gehen nachzog.
Bei einem Zwischenhalt stand sie in der Schlange zu den Toiletten hinter mir. Dort sprach ich sie an, denn ich hatte ein Problem: Die Türkin vor mir beklagte sich gerade laut gestikulierend über den Zustand der Toiletten, die meines Erachtens keinen Anlass zur Klage gaben. Ich wollte wieder einmal wissen, was los war. "Sprechen Sie Deutsch?" fragte ich. Sie nickte und schenkte mir ein wunderschönes Lächeln. Ein Lächeln, das aus einer warmen Quelle tief hinter der Stirn kam. Doch sie sagte nichts auf Deutsch. Vielmehr zeigte sie mir irgendetwas in der Toilette und stiess dabei ein paar Laute aus. Wohl doch türkisch, dachte ich und fragte nicht weiter. Ich hatte mich ja schon daran gewöhnt, nur halb zu verstehen, was um mich herum vor sich ging. Und die Toilette war sowieso in Ordnung.
Als wir beide vom Waschbecken kamen, streckte sie mir ihren guten Arm hin. Sie trug mehrere goldene Armringe, und einer hatte sich gelöst. Mit dem Kinn zeigte sie mir, dass ich den Verschluss befestigen solle.
Wieder im Bus ging unser Gespräch auf dieselbe seltsame Weise weiter: Ich fragte sie, wo sie denn herkäme, und sie streckte mir ihre Ausweise unter die Nase. So erfuhr ich, dass sie in Nürnberg wohnte und Taxifahrerin war. Dann zeigte sie mir, besonders stolz, noch einen weiteren Eintrag auf ihrem Ausweis: Sie konnte auch Lastwagen fahren.
Unterdessen zeigte die Mutter mit dem Kopftuch die ganze Zeit mal auf ihre Tochter, mal ihren Mund. Endlich begriff ich: Die Tochter war stumm, die Mutter konnte nur Türkisch.
Da geschah etwas Merkwürdiges: Unser Gespräch kam ins Stocken. Ich wusste nicht weiter. Ich meine: Ich hätte ihr meine Ausweise zeigen können. Oder ich hätte sagen können: "Ach wissen Sie, wir werden schon zurecht kommen. Ich höre ja sowieso nicht so gut", und ihr mein Hörgerät zeigen können. Aber irgend etwas hinderte mich daran. Ein bisschen genierte ich mich davor, vor Herrn T. meine Ausweise über den Gang zu strecken. Ein bisschen genierte ich mich überhaupt, etwas so Unerhörtes zu tun. Es war merkwürdig.
Ausserdem schienen beiden Frauen auch gar nicht zu erwarten, dass wir weiter mit ihnen sprechen wollten. Als wir in Izmir ausstiegen und ihnen eine gute Reise wünschten, schienen sie uns schon längst vergessen zu haben.
Aber ich habe noch oft an die beiden gedacht. Sollte jemand von Euch in Nürnberg einer stummen, halbseitig gelähmten türkischen Taxifahrerin begegnen, so möge er ihr bitte ausrichten: Ich habe mich gefreut, sie kennenzulernen und ich danke ihr für ihr Lächeln.
* Über das Lächeln der Türken könnte man einen ganzen Eintrag schreiben. Ich neige nicht zum Romantisieren, aber es muss doch einmal gesagt sein: Türken (viele von ihnen jedenfalls) lächeln selbst im Umgang mit Kunden anders als die Westler: Echter. Ihr Lächeln kommt tief aus dem Gesicht. Es ist freundlich, ja, fast zärtlich manchmal. Oder amüsiert, hilflos, schlau oder zufrieden. Doch viel weniger oft als im Westen bekommt man in der Türkei diese professionelle Darstellung von Freundlichkeit, die wir Westler als Lächeln bezeichnen.
Bei einem Zwischenhalt stand sie in der Schlange zu den Toiletten hinter mir. Dort sprach ich sie an, denn ich hatte ein Problem: Die Türkin vor mir beklagte sich gerade laut gestikulierend über den Zustand der Toiletten, die meines Erachtens keinen Anlass zur Klage gaben. Ich wollte wieder einmal wissen, was los war. "Sprechen Sie Deutsch?" fragte ich. Sie nickte und schenkte mir ein wunderschönes Lächeln. Ein Lächeln, das aus einer warmen Quelle tief hinter der Stirn kam. Doch sie sagte nichts auf Deutsch. Vielmehr zeigte sie mir irgendetwas in der Toilette und stiess dabei ein paar Laute aus. Wohl doch türkisch, dachte ich und fragte nicht weiter. Ich hatte mich ja schon daran gewöhnt, nur halb zu verstehen, was um mich herum vor sich ging. Und die Toilette war sowieso in Ordnung.
Als wir beide vom Waschbecken kamen, streckte sie mir ihren guten Arm hin. Sie trug mehrere goldene Armringe, und einer hatte sich gelöst. Mit dem Kinn zeigte sie mir, dass ich den Verschluss befestigen solle.
Wieder im Bus ging unser Gespräch auf dieselbe seltsame Weise weiter: Ich fragte sie, wo sie denn herkäme, und sie streckte mir ihre Ausweise unter die Nase. So erfuhr ich, dass sie in Nürnberg wohnte und Taxifahrerin war. Dann zeigte sie mir, besonders stolz, noch einen weiteren Eintrag auf ihrem Ausweis: Sie konnte auch Lastwagen fahren.
Unterdessen zeigte die Mutter mit dem Kopftuch die ganze Zeit mal auf ihre Tochter, mal ihren Mund. Endlich begriff ich: Die Tochter war stumm, die Mutter konnte nur Türkisch.
Da geschah etwas Merkwürdiges: Unser Gespräch kam ins Stocken. Ich wusste nicht weiter. Ich meine: Ich hätte ihr meine Ausweise zeigen können. Oder ich hätte sagen können: "Ach wissen Sie, wir werden schon zurecht kommen. Ich höre ja sowieso nicht so gut", und ihr mein Hörgerät zeigen können. Aber irgend etwas hinderte mich daran. Ein bisschen genierte ich mich davor, vor Herrn T. meine Ausweise über den Gang zu strecken. Ein bisschen genierte ich mich überhaupt, etwas so Unerhörtes zu tun. Es war merkwürdig.
Ausserdem schienen beiden Frauen auch gar nicht zu erwarten, dass wir weiter mit ihnen sprechen wollten. Als wir in Izmir ausstiegen und ihnen eine gute Reise wünschten, schienen sie uns schon längst vergessen zu haben.
Aber ich habe noch oft an die beiden gedacht. Sollte jemand von Euch in Nürnberg einer stummen, halbseitig gelähmten türkischen Taxifahrerin begegnen, so möge er ihr bitte ausrichten: Ich habe mich gefreut, sie kennenzulernen und ich danke ihr für ihr Lächeln.
* Über das Lächeln der Türken könnte man einen ganzen Eintrag schreiben. Ich neige nicht zum Romantisieren, aber es muss doch einmal gesagt sein: Türken (viele von ihnen jedenfalls) lächeln selbst im Umgang mit Kunden anders als die Westler: Echter. Ihr Lächeln kommt tief aus dem Gesicht. Es ist freundlich, ja, fast zärtlich manchmal. Oder amüsiert, hilflos, schlau oder zufrieden. Doch viel weniger oft als im Westen bekommt man in der Türkei diese professionelle Darstellung von Freundlichkeit, die wir Westler als Lächeln bezeichnen.
diefrogg - 29. Jul, 11:04
3 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
nanou - 29. Jul, 14:08
Ich würde gerne noch mehr über das "Lächeln der Türken" von Ihnen lesen, liebe frogg. Ab und an bin ich tatsächlich in jener Stadt unterwegs - und wenn ich ihr begegnen sollte, dann richte ich Ihre Grüße gerne aus. ( Die Frage wäre nur die, wie ich Sie beschreiben soll ...)
Mir selbst ist aufgefallen ,dass ich dunkle lächelnde Augen oft 'intensiver' und auch 'wärmer' wahrnehme als helle Augen. Vielleicht hängt es auch damit zusammen ...?
Mir selbst ist aufgefallen ,dass ich dunkle lächelnde Augen oft 'intensiver' und auch 'wärmer' wahrnehme als helle Augen. Vielleicht hängt es auch damit zusammen ...?
diefrogg - 30. Jul, 11:20
Sie werden,
geschätzte Madame Nanou. Sie werden mehr über das Lächeln der Türken lesen! Sollten sie der Taxifahrerin in Nürnberg tatsächlich begegnen, so sagen sie ihr einfach einen Gruss von der Frau, die sie im Juni im Bus nach Izmir getroffen hat. Vielleicht erinnert sie sich.
walküre - 30. Jul, 19:06
Was mir
hier in Mitteleuropa auffällt, ist, dass viele Menschen lächeln, ohne dass die Augen beteiligt sind. Die Augen sind der Spiegel der Seele; wenn dem so ist (was ich nicht bezweifle), leben viele tote Seelen unter uns.
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