Kurdischer Teppichverkäufer
Herr T. steht an der Strassenkreuzung und dreht den Stadtplan von Istanbul in der Hand herum. Wir stehen irgendwo zwischen dem grossen Markt (Kapalı Çarşı) und der blauen Moschee. Mitten im Touristenland. Und doch sind wir schon seit mindestens zwei Minuten von keinem Lederwarenhändler und keinem Wirt, von keinem Teppichhändler, keinem Kioskhalter und keinem Silberschmied mehr angemacht worden. Ich prüfe vorsichtig meine Kleidung. Vielleicht stimmt etwas nicht mit uns. Da fragt jemand*: "Haben Sie sich sich verirrt?"* Ein grossgewachsener Türke in Jeans und T-Shirt steht da.
Frau F., (abwehrend): "Oh nein, nein!"
Der Türke (grinst): "Sie Sie auch ganz sicher, dass Sie sich nicht ein ganz klein wenig verirrt haben?"
Frau F: "Ja, ganz sicher." (Deutet auf Herrn T.) "Er weiss, wo's langgeht."
Herr T. nickt.
Der Türke: "Woher kommen Sie?"
Frau F.: "Aus der Schweiz."
Der Türke: "Oh, aus der Schweiz kenne ich jemanden. Jean Ziegler. Kennen Sie ihn auch?"
Frau F. (freut sich): "Oh ja, den kenne ich." (Und in einem leicht ironischen Tonfall): "Haben Sie mit ihm gesprochen?"
Der Türke (grinst): "Ja, er ist mein Freund. Er besucht mich manchmal. Aber Schweizer halten ihn für einen Spinner, oder?"
Frau F.: "Ja, das stimmt. Aber ich nicht. Ich finde, viele Schweizer haben keine Ahnung, was in der Welt so vor sich geht. Es ist gut, wenn jemand es ab und zu sagt."
Herr T. bringt das Gespräch auf Fussball. Es ist zwei Tage nach dem Spiel der Spiele.
Der Türke: "Ach, wissen Sie... Ich schaue mir keine Fussballspiele an. Ich bin auch nicht für die Türken.Ich bin nämlich Kurde. Ausserdem finde ich das einfach wahnsinnig. Fath Terim verdient 15 Mal mehr als unser Staatspräsident. Finden Sie nicht auch, dass das nicht normal ist?"
Herr T. und Frau F. nicken.
Der Kurde: "Wissen Sie, in diesem Land ist sowieso vieles nicht normal. Vorneherum sieht ja alles nett aus. Aber wenn man hier lebt... ach, übrigens, wollen Sie nicht auf eine Tasse Tee zu mir kommen? Ich habe einen hübschen, kleinen Teppichladen gleich dort drüben."
Frau F. lacht: "Das habe ich mir doch gedacht! Ich habe mich schon gefragt, wo Ihr Laden wohl ist. Nein, tut uns Leid, wir brauchen keinen Teppich."
Der Kurde insistiert. Herr T. wird unsicher.
Frau F.: "Oh, nein, vielen Dank. Aber wir können leider wirklich keinen Teppich gebrauchen. Wir reisen morgen weiter nach Çanakkale."
Der Kurde: "Oh wirklich! Was wollen Sie denn in Çanakkale? Etwa Troja besuchen?"
Herr T. und Frau F. nicken.
Der Kurde: "Oh, in Troja können Sie etwas lernen! Da können Sie lernen, wie hier im Osten betrogen wird. Ich meine, die Sache mit dem Pferd..."
Frau F.: Aber das Pferd haben doch die Griechen gebaut, und die kamen aus dem Westen!
Der Kurde: "Ja, aber die waren zehn Jahre hier in der Gegend gewesen. Die hatten etwas gelernt! Jetzt kommen Sie aber in meinen Laden! Sie müssen ja nichts kaufen!"
Frau F. (augenzwinkernd): "Eben haben Sie doch gesagt, hier wird man ständig betrogen! Nein, nein, es tut mir leid, wir müssen weiter."
Wir verabschieden uns freundlich und gehen. Ich habe mich später mehr als einmal gefragt, ob wir nicht doch hätten mitgehen sollen. Es war eines der spannendsten Gespräche, die ich in der Türkei geführt habe. Vielleicht hätten wir tatsächlich keinen Teppich kaufen müssen.
* Die Konversation spielte sich in ausgesprochen flüssigem Englisch ab.
Frau F., (abwehrend): "Oh nein, nein!"
Der Türke (grinst): "Sie Sie auch ganz sicher, dass Sie sich nicht ein ganz klein wenig verirrt haben?"
Frau F: "Ja, ganz sicher." (Deutet auf Herrn T.) "Er weiss, wo's langgeht."
Herr T. nickt.
Der Türke: "Woher kommen Sie?"
Frau F.: "Aus der Schweiz."
Der Türke: "Oh, aus der Schweiz kenne ich jemanden. Jean Ziegler. Kennen Sie ihn auch?"
Frau F. (freut sich): "Oh ja, den kenne ich." (Und in einem leicht ironischen Tonfall): "Haben Sie mit ihm gesprochen?"
Der Türke (grinst): "Ja, er ist mein Freund. Er besucht mich manchmal. Aber Schweizer halten ihn für einen Spinner, oder?"
Frau F.: "Ja, das stimmt. Aber ich nicht. Ich finde, viele Schweizer haben keine Ahnung, was in der Welt so vor sich geht. Es ist gut, wenn jemand es ab und zu sagt."
Herr T. bringt das Gespräch auf Fussball. Es ist zwei Tage nach dem Spiel der Spiele.
Der Türke: "Ach, wissen Sie... Ich schaue mir keine Fussballspiele an. Ich bin auch nicht für die Türken.Ich bin nämlich Kurde. Ausserdem finde ich das einfach wahnsinnig. Fath Terim verdient 15 Mal mehr als unser Staatspräsident. Finden Sie nicht auch, dass das nicht normal ist?"
Herr T. und Frau F. nicken.
Der Kurde: "Wissen Sie, in diesem Land ist sowieso vieles nicht normal. Vorneherum sieht ja alles nett aus. Aber wenn man hier lebt... ach, übrigens, wollen Sie nicht auf eine Tasse Tee zu mir kommen? Ich habe einen hübschen, kleinen Teppichladen gleich dort drüben."
Frau F. lacht: "Das habe ich mir doch gedacht! Ich habe mich schon gefragt, wo Ihr Laden wohl ist. Nein, tut uns Leid, wir brauchen keinen Teppich."
Der Kurde insistiert. Herr T. wird unsicher.
Frau F.: "Oh, nein, vielen Dank. Aber wir können leider wirklich keinen Teppich gebrauchen. Wir reisen morgen weiter nach Çanakkale."
Der Kurde: "Oh wirklich! Was wollen Sie denn in Çanakkale? Etwa Troja besuchen?"
Herr T. und Frau F. nicken.
Der Kurde: "Oh, in Troja können Sie etwas lernen! Da können Sie lernen, wie hier im Osten betrogen wird. Ich meine, die Sache mit dem Pferd..."
Frau F.: Aber das Pferd haben doch die Griechen gebaut, und die kamen aus dem Westen!
Der Kurde: "Ja, aber die waren zehn Jahre hier in der Gegend gewesen. Die hatten etwas gelernt! Jetzt kommen Sie aber in meinen Laden! Sie müssen ja nichts kaufen!"
Frau F. (augenzwinkernd): "Eben haben Sie doch gesagt, hier wird man ständig betrogen! Nein, nein, es tut mir leid, wir müssen weiter."
Wir verabschieden uns freundlich und gehen. Ich habe mich später mehr als einmal gefragt, ob wir nicht doch hätten mitgehen sollen. Es war eines der spannendsten Gespräche, die ich in der Türkei geführt habe. Vielleicht hätten wir tatsächlich keinen Teppich kaufen müssen.
* Die Konversation spielte sich in ausgesprochen flüssigem Englisch ab.
diefrogg - 16. Jul, 12:06
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walküre - 16. Jul, 13:38
Mein Gefühl
sagt mir, dass Sie hätten mitgehen sollen. Da Herr Ziegler ein gemeinsamer Bekannter ist, hätte es mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Verstoss gegen den Ehrenkodex des Geschäftsmannes dargestellt, Sie in irgendeiner Weise zu übervorteilen.
Kennen Sie die Geschichte, in der ein Mann überlegt, seinen Nachbarn leihweise um einen Hammer zu bitten und auf dem Weg zu ebendiesem Nachbarn überlegt, auf welche Arten der Nachbar seine Bitte ablehnen könnte und dabei immer grimmiger wird ? Als der Nachbar die Tür öffnet, schmettert ihm der Bittsteller augenblicklich zornig ins Gesicht, der Nachbar möge doch seinen blöden Hammer behalten ...
Kennen Sie die Geschichte, in der ein Mann überlegt, seinen Nachbarn leihweise um einen Hammer zu bitten und auf dem Weg zu ebendiesem Nachbarn überlegt, auf welche Arten der Nachbar seine Bitte ablehnen könnte und dabei immer grimmiger wird ? Als der Nachbar die Tür öffnet, schmettert ihm der Bittsteller augenblicklich zornig ins Gesicht, der Nachbar möge doch seinen blöden Hammer behalten ...
diefrogg - 16. Jul, 14:53
Nein, haben...
wir nicht. War dumm von uns. Übrigens, @walküre: Natürlich kannten weder der Kurde noch wir Jean Ziegler persönlich. Ziegler ist ein Wirtschaftsprofessor und Uno-Sonderbotschafter, der in der Schweiz immer mal wieder für Polemiken sorgt. Ich glaube nicht, dass er Zeit gehabt hätte, sich für uns einzusetzen, nur weil ein Teppichhändler uns gegen unseren Willen einen Teppich aufschwätzt.
walküre - 16. Jul, 15:32
Frau Frogg,
Sie sind im journalistischen Bereich tätig. Woher soll ich wissen, dass Sie Herrn Ziegler nicht persönlich kennen ? Wobei auch eine gewisse sprachliche Tücke hinter diesem "kennen" steckt, denn in Österreich ist mit "kennen" vorwiegend eine persönliche Bekanntschaft, auch wenn sie nur flüchtig sein sollte, gemeint.
diefrogg - 16. Jul, 15:47
Entschuldigung,
Frau Walküre! Ich hatte gedacht, mit einem Link sei die Sache erledigt. Aber sie haben Recht. Der Text ist an der Stelle missverständlich. Eigentlich hätte man den Dialog filmen müssen. Er war geradezu verwinkelt vor Ironie. Man hätte das besser wiedergeben können, wenn man auch Gesichtsausdrücke zeigen könnte. Gestatten Sie mir noch eine Frage: Wie heisst es in Österreich, wenn man jemanden aus der Zeitung oder vom Fernsehen "kennt"?
walküre - 16. Jul, 16:05
In meinem
Umfeld fragt man in solch einem Fall sein Gegenüber (um beim Beispiel zu bleiben): "Weißt du, wer Jean Ziegler ist ?" oder auch "Ist dir der Name xxx ein Begriff ?"
Sun-ray - 16. Jul, 16:11
also ich finde das teetrink-plauder-ritual so faszinierend,
dass ich anlässlich eines kurdischen solchen
vor zwei jahren zwei handtaschen und eine riesige decke erstand.
in der folgenacht fiel mir dann auf, dass ich die decke
gar nicht brauchen kann. also beschloss ich,
das ritual nochmal zu genießen und brachte sie
am nächsten tag zurück. stundenlanges verhandeln -
danach hatte ich dann statt einer riesendecke
drei mindestens so schwere kleinere wandbehänge.
die konnte ich brauchen, die handtaschen sowieso.
und das schönste: der sehr amüsierte kurdenmann
lud mich anschließend zu wundervollem nachtausflug
ins landesinnere ein, woselbst ich unvergessliches erlebte -
den verspeis der besten forelle meines lebens
am riesigen kamin eines uralten steinhauses,
serviert von einem ganz bezaubernden menschen,
der sich nach einer stunde beschnuppern als
perfekt deutsch sprechender freigeist outete,
welcher vom veröffentlichen romantischer lyrik lebt.
die erste hälfte der nacht verbrachte ich köstlich
philosophierend am großen feuer, die zweite damit,
vom romantischen schein entfachte kurdische flammen
mit gebührender höflichkeit auf abstand zu halten.
erlebnis, an das ich mich sehr gerne erinnere.
ich würde jederzeit wieder mitgehen -
sonst blieben ja nur touristenwege zu gehen.
wirklich schade, dass eure angst überwog -
wär bestimmt faszinierendes gespräch geworden.
dass ich anlässlich eines kurdischen solchen
vor zwei jahren zwei handtaschen und eine riesige decke erstand.
in der folgenacht fiel mir dann auf, dass ich die decke
gar nicht brauchen kann. also beschloss ich,
das ritual nochmal zu genießen und brachte sie
am nächsten tag zurück. stundenlanges verhandeln -
danach hatte ich dann statt einer riesendecke
drei mindestens so schwere kleinere wandbehänge.
die konnte ich brauchen, die handtaschen sowieso.
und das schönste: der sehr amüsierte kurdenmann
lud mich anschließend zu wundervollem nachtausflug
ins landesinnere ein, woselbst ich unvergessliches erlebte -
den verspeis der besten forelle meines lebens
am riesigen kamin eines uralten steinhauses,
serviert von einem ganz bezaubernden menschen,
der sich nach einer stunde beschnuppern als
perfekt deutsch sprechender freigeist outete,
welcher vom veröffentlichen romantischer lyrik lebt.
die erste hälfte der nacht verbrachte ich köstlich
philosophierend am großen feuer, die zweite damit,
vom romantischen schein entfachte kurdische flammen
mit gebührender höflichkeit auf abstand zu halten.
erlebnis, an das ich mich sehr gerne erinnere.
ich würde jederzeit wieder mitgehen -
sonst blieben ja nur touristenwege zu gehen.
wirklich schade, dass eure angst überwog -
wär bestimmt faszinierendes gespräch geworden.
diefrogg - 16. Jul, 21:09
Danke für diesen...
wunderbaren Beitrag. Nächstes Mal werde ich mich zum Teetrinken und Teppiche betrachten verführen lassen!
Sun-ray - 16. Jul, 22:23
wenn du dann doch kaufst,
tust du es, weil du so entscheidest.
falls heiter nicht, verdienst du dir anderen respekt.
am genuss des teetrinkplauderns
kratzt weder das eine, noch das andere.
so oder so gut für unterhaltende kurzweil .....
lach
tust du es, weil du so entscheidest.
falls heiter nicht, verdienst du dir anderen respekt.
am genuss des teetrinkplauderns
kratzt weder das eine, noch das andere.
so oder so gut für unterhaltende kurzweil .....
lach
nanou - 16. Jul, 21:32
Ich wäre mitgegangen - und ich würde mitgehen, allein schon wegen des Gesprächs ...
eloquente Männer .... was soll ich sagen ...
eloquente Männer .... was soll ich sagen ...
diefrogg - 16. Jul, 22:21
Jaja, Ihr könnt...
schon sagen, so aus sicherer Distanz!!!
Sun-ray - 16. Jul, 22:24
also DIE hab ich nicht gefühlt,
als ich kurzsichtig ohne brille mit wildem kurden
unterm sternezelt ins nowhereland fuhr ..... :o)
als ich kurzsichtig ohne brille mit wildem kurden
unterm sternezelt ins nowhereland fuhr ..... :o)
nanou - 17. Jul, 19:14
Stimmt, können wir ... aber es war durchaus ernst gemeint ...
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