9
Jul
2013

Dreimal Dresden

Wir standen auf der Kuppel der Frauenkirche in Dresden. Der Atem der Geschichte hauchte uns über den Rücken. Ich habe noch nie auf einem Gebäude gestanden, das so heftig den historischen Extremwetterlagen des 20. Jahrhunderts ausgesetzt gewesen ist wie die barocke Kirche hier links im Bild.


(im Vordergrund die ramponierten Zeugen der meteorologischen Extremwetterlage von Anfang Juni)

In ihrem Innenraum ist es, als hätte man dem Schaudern mit einer gemütlichen Innendekoration begegnen wollen. Zu gemütlich für ein Gotteshaus, finde ich. Aber wer auf sie hinaufsteigt, begreift beim Blick auf die Stadt die grossen Zusammenhänge: Wie die Kirche am 13./14. Februar 1945 auf Dresden im Bombenhagel und Feuerinferno blickte und standhielt - nur um einen Tag später wie vor Schmerz in sich zusammenzufallen. Wie die Ruine zu DDR-Zeiten Gedenkstätte und Mahnmal für den Frieden wurde - und (ab hier edit): ab 1982 zu einem Austragungsort jener Friedens-Demonstrationen, die das Ende der DDR herbeiführten (edit Ende). Und dann der glorreiche Wiederaufbau...

Müsste ich den kürzesten und besten Rundgang um Dresden beschreiben - er würde der Balustrade des Frauenkirchenturms entlangführen.

Auch begeistert war ich vom Zwinger - seiner unendlichen, russgeschwärzten Barock-Spielerei (meine besten Bilder und mehr beim kulturflaneur).

Und auf dem Weg zurück in die Neustadt grüssten wir August den Starken, den Star unter den sächsischen Fürsten. Er hat viel von dieser Pracht überhaupt erst erschaffen lassen.



Danke August!

Alles andere mussten wir links liegen lassen - vielleicht kommen wir ja wieder. Nur dem Blauen Wunder statteten wir noch einen Besuch ab. Darüber später.

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arboretum - 9. Jul, 22:29

Geburtsort jener Demonstrationen

Geburtsort? Das war doch die Nikolaikirche in Leipzig.

diefrogg - 10. Jul, 09:55

Danke für den Einwand,

Frau Arboretum. Da bringen Sie mich natürlich in Verlegenheit. Ich habe aber nochmals Christine von Brühl konsultiert, und die schreibt (verzeihen Sie die Länge, die Frau hat einen ausladenden Stil): "Wenn die Bombennacht sich jährte, versammelten sich die Dresdner zu einem Gedenkgottesdienst in der Kreuzkirche am Altmarkt. In den Achtzigerjahren gewann die Ruine der Frauenkriche neu an Bedeutung. Das friedliche Gedenken in der Kreuzkirche hatte sich allmählich zu Unmutsbezeugungen und Kritik am System gewandelt. Am 13. Februar 1982 gingen die Dresdner nach dem Gottesdienst nicht nach Hause, sondern wanderten mit Kerzen in den Händen gemeinsam zu Neumarkt. An der Ruine der Frauenkirche tropften sie ein wenig Wachs auf die Steine und steckten ihre Kerzen fest.
Das wiederholte sich. Jahr für Jahr gingen die Menschen schweigend zur Ruine, immer mehr beteiligten sich an dem Marsch,... Der Schweigemarsch weitete sich zunehmend zur politischen Aktion aus. Er wurde zum Vorläufer der Leipziger Montagsdemonstration, zum Ausruck von Protest, Kritik, Solidarität mit den Ausreisenden." Christine von Brühl: "Gebrauchsanweisung für Dresden"; Piper Verlag, Münschen 2005 und 2012, Seiten 71-2, Einfettung von mir.

Es ist dieser Text, auf den ich mich stützte, als ich meinen schrieb. Wie verlässlich Frau von Brühl als Quelle in dieser Sache ist, kann ich selber schwer beurteilen. Aber ich denke mal drüber nach, ob ich meinen Text ändern sollte. Ich lasse mich da auch gerne von kundigen LeserInnen beraten.

Vielleicht verhält es sich mit den Demonstrationen in der DDR wie mit so vielen Dingen, die später Erfolg brachten: Jeder will sie nachher erfunden haben.
arboretum - 10. Jul, 11:32

Johanna Kalex (geborene Annette Ebischbach, Jahrgang 1964) organisierte 1982 diesen Schweigemarsch am Jahrestag der Bombardierung von Dresden am 13. Februar 1945. Damit wollten sie und andere Jugendliche gegen die zunehmende Militarisierung der Gesellschaft protestieren. Es kamen dann sehr viel mehr Leute als erwartet, nämlich 8.000, nicht nur aus Dresden, sondern aus der ganzen DDR. Es war eine der größten Aktionen der DDR-Friedensbewegung. Ob man deshalb die Frauenkirche - die damals ja eh nur eine Ruine war - als Geburtsort der Demos von 1989 bezeichnen kann ... hmm. Weiß ich nicht. Protestmärsche gab es auch vorher immer wieder einmal, zum Beispiel 1965 in Leipzig nach Ulbrichts "Beatverbot". Dort wurden einige tausend Jugendliche zusammengeknüppelt. Danach begann in den Medien eine Kampagne gegen "Gammler", junge Christen und alle, die politisch anders dachten.

Die montäglichen Friedensgebete in der Leipziger Nikolaikirche gab es ebenfalls schon 1982 als feste, wöchentliche Einrichtung. In Jena und Ost-Berlin gab es auch sehr aktive Leute, um nur ein zwei andere bekannte Beispiele zu nennen. Meines Wissens waren die unterschiedlichen Gruppen der DDR-Friedens- und Umweltbewegung, die Ende der 1970er entstand, untereinander ganz gut vernetzt.
diefrogg - 10. Jul, 16:45

Na, diese Johanna Kalex...

hat ja etwas geleistet, als unsereiner sich noch gar nichts traute... sehr beeindruckend.

Ich denke, ich werde den Text mal etwas unverfänglicher umformulieren.

Danke für die Ausführungen zur Friedensbewegung. Sehr erhellend.
arboretum - 10. Jul, 18:49

Sie hat sich so einiges getraut. Zum Beispiel ihr FDJ-Hemd öffentlich verbrannt und außerdem in der Schule den Wehrkundeunterricht verweigert, in dem den Schülern eine vormilitärische Ausbildung verpasst wurde. Jungen übten im GST-Lager (GST = Gesellschaft für Sport und Technik) beispielsweise Handgranatenweitwurf und wurden auf der Sturmbahn geschunden. Mädchen übten Verbände anlegen usw. Die GST bot Jugendlichen aber auch die Möglichkeit, den Führerschein zu machen, was nicht unattraktiv war bei den sonst so langen Wartezeiten. Segeln, tauchen und funken konnte man bei der GST auch lernen.

Zurück zu Johanna - den Namen gaben ihr Freunde aus der Dresdner Hippieszene als sie 13 war. Sie pflegte da schon Kontakte zur Jungen Gemeinde und ließ sich mit 14 taufen. Damit durften ihre Chancen, Abitur an der Erweiterten Oberschule (EOS) machen zu können, drastisch gesunken und später gleich Null gewesen sein. Nach der Schule hat sie in der Ausbildung wieder die vormilitärische Ausbildung verweigert, dafür flog sie prompt raus. Später kritisierte sie die Kirche, weil die eben auch Kompromisse mit den SED-Oberen einging (gezwungenermaßen, würde ich sagen). Ihre Gruppe vertrat hingegen radikalpazifistische Positionen. Der evangelische Landesbischof nannte sie und die anderen Jugendlichen deshalb "Wölfe im Schafspelz", woraufhin die Gruppe sich "Wolfpelz" nannte, schließlich seien sie "Schafe im Wolfspelz".

Kurzum, sie dürfte auch eine ziemlich dicke Stasi-Akte gehabt haben. Wegen des Schweigemarsches wurde sie vorab von der Stasi massiv bedroht.

Nach der Wende engagierte sich Johanna Kalex gegen die Neonazis - die übrigens den 13. Februar gern für ihre Zwecke nutzen und an dem Tag auch demonstrieren. Nach einem Überfall von Neonazis ging sie dann Anfang der 1990 mit Mann und Kindern für einige Zeit ins Ausland.
diefrogg - 10. Jul, 19:25

Frau arboretum,

Sie bekommen von mir den Hermione Granger-Award für kluge Kommentare! Sie wissen schon: Hermione ist das blitzgescheite Mädchen in Harry Potter, das die Freunde immer wieder durch ihr verblüffend reiches Wissen vor Ungemach rettet. Ich hoffe, Sie mochten damals Harry Potter, sonst müssen wir uns etwas anderes überlegen.

Die Geschichte von Johanna Kalex ist toll. Das Mädchen hatte ja Berge von Zivilcourage! Sollte ich je wieder nach Dresden kommen, werde ich ihrem Lokal "Trotzdem" einen Respektsbesuch machen.

Die Story von den Neonazis habe ich ja auch gelesen. Ich habe sie allerdings etwas verschämt verschwiegen - in der Hoffnung, dass die Neonazis keine allzu bedrohliche historische Extremwetterlage werden.
arboretum - 11. Jul, 19:22

Sie werden lachen, ich habe Harry Potter nie gelesen. Den ersten Film sah ich nur im Kino, weil mich eine Freundin reinschleppte. Ich erinnere mich aber noch dunkel an Hermione - und daran, dass ich die Musik zu bombastisch und den gesamten Ton viel zu laut fand. Aber das Problem mit der Lautstärke habe ich oft im Kino, ich muss mir immer Ohrenstöpsel aus Papiertaschentuch basteln, damit mir meine Ohren nicht wegfliegen.
diefrogg - 12. Jul, 10:52

Nun ja, es gibt...

schlimmere Bildungslücken ;) Wobei Ihnen das Buch wohl besser gefallen hätte als der Film. Aber lassen wirs. Das Gebastel mit den Ohrenstöpseln habe ich auch immer im Kino. Schlimmer aber ists im Theater. Da ists mir mit Ohrenstöpseln oft zu leise, ohne zu laut. Ich brauche heute wirklich gut Gründe, ins Theater zu gehen!

Noch zu Ihren Ausführungen über die ehemalige DDR: Nach zweimaligem Lesen ist bei mir dann auch eingesunken, dass ob solcher Verhältnisse zu viel Ostalgie restlos unangebracht ist.

Auch unsere Gesellschaft war damals auch noch ziemlich stark militarisiert. Aber dass in Jugendvereinigungen Granatenwerfen geübt wurde... das hätte man wohl damals selbst bei uns daneben gefunden.

Wobei: Irrtum vorbehalten. Ich war nie in einer solchen Jugendvereinigung, immer ein bisschen eigenbrötlerisch veranlagt. Aber ich kann mir das bei unseren Pfadis schlicht nicht vorstellen. Da liess man Jugendliche Jugendliche sein.
Grünäuglein - 10. Jul, 08:40

Schatzkammer

Ich hoffe, ihr habt euch das grüne Gewölbe nicht entgehen lassen? Eine absolut sehenswerte Ausstellung wahrer Schätze ;-)

diefrogg - 10. Jul, 09:58

Ja, das grüne Gewölbe...

Es muss tatsächlich eine Menge wahrer Schätze enthalten - am Tag, an dem wir kamen, konnte es jedenfalls nicht mehr besichtigt werden. Ausverkauft. Und am nächsten Tag... aber das erzähle ich morgen.
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