Schlaraffenland
Übers Wochenende habe ich meine Freundin Helga in Deutschland besucht.
Ich reiste am Freitag und bin erst heute nach Hause gekommen. „Du kannst auch länger kommen“, forderte Helga mich auf, aber ich hörte auch die warnende Stimme der Frogg: „Du kennst doch das Sprichwort: Gäste sind wie Fische. Nach drei Tagen fangen sie an zu stinken. Bleib also nicht zu lange.“
Ich entschied auf vier Tage.
Helga lebt in einem winzigen Haus in einem kleinen Dorf in der Pfalz. Das Häuschen erweist sich als Materie gewordener Traum von Fülle, als kleines Schlaraffenland. Ihre Wohnung quillt über von Bildern in wärmenden Orange- und Gelbtönen. Kaum hat man sich hingesetzt, streichen einem zwei schnurrende Kater um die Füsse. Helgas Kühlschrank ist zum Bersten voll. Da gibt’s pfälzische Wurstspezialitäten, Käse (den sie mich bringen hiess), Sahne und Kürbissuppe, Pumpernickel, so viel Salat, man könnte ein Silo damit füllen, Pumpernickel und Serrano-Schinken, und überall auf den Tischen liegt Schokolade, für das grosse Fest am Samstag.
Das gewaltigste aber ist Helgas Bibliothek. Sie hortet in ihrem Häuschen einen Bücherschatz, der eine mittelgrosse Gemeindebibliothek füllen würde – wobei ihre Interessen von der deutschen Klassik über Jane Austen via Harry Potter bis hin zu Robert Schneiders neuem Roman reichen. Und im Esszimmer prangt eine Wand mit Kunstbänden. Etwas Klimt zum Frühstück? Kein Problem. Oder doch lieber Schweizer Frühbarock oder Wiener Secession? Nur zu. Und sonst gibt’s immer noch die Wände mit Philosophie und Weltgeschichte im ersten Stock. Und abends zückt sie eine DVD aus einem der drei Koffern in der grossen, alten Bauernkommode in der Stube
A propos alte Bauernmöbel… nein, das spare ich mir. Auch davon hat Helga jede Menge. Und Porzellan.
Ich lasse es mir gutgehen bei Helga.
Am Samstag kommen ihre Freunde. Sie hat wunderbare Freunde, kennt sie alle seit 20 Jahren. Wir lassen es uns alle gutgehen.
Aber schon am Montag wird klar: Helga selber geht es nicht so gut. Mit ihrer Jobsituation steht es nicht zum besten. Aber sie will nicht drüber reden. Sie ist noch fülliger als vor einem Jahr. Und vor ein paar Monaten hatte sie eine schwere Operation.
Am Montag Abend schliesslich lässt sie mich mit ihren Büchern, den DVDs und einem immer noch vollen Kühlschrank allein. Sie ist erkältet und kann nicht mehr sprechen. Mir machen DVDs und Bücher plötzlich weniger Spass als auch schon.
Heute Mittag hat sie mich zum Bahnhof in Mannheim gefahren. Es gab einen kurzen, geflüsterten Abschied.
Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen. Bin ich doch zu lange geblieben? Habe ich genervt? Habe ich etwas falsch gemacht? Ich weiss es nicht. Und ich glaube nicht, dass sie es zugegeben hätte, wenn ich gefragt hätte.
Ich reiste am Freitag und bin erst heute nach Hause gekommen. „Du kannst auch länger kommen“, forderte Helga mich auf, aber ich hörte auch die warnende Stimme der Frogg: „Du kennst doch das Sprichwort: Gäste sind wie Fische. Nach drei Tagen fangen sie an zu stinken. Bleib also nicht zu lange.“
Ich entschied auf vier Tage.
Helga lebt in einem winzigen Haus in einem kleinen Dorf in der Pfalz. Das Häuschen erweist sich als Materie gewordener Traum von Fülle, als kleines Schlaraffenland. Ihre Wohnung quillt über von Bildern in wärmenden Orange- und Gelbtönen. Kaum hat man sich hingesetzt, streichen einem zwei schnurrende Kater um die Füsse. Helgas Kühlschrank ist zum Bersten voll. Da gibt’s pfälzische Wurstspezialitäten, Käse (den sie mich bringen hiess), Sahne und Kürbissuppe, Pumpernickel, so viel Salat, man könnte ein Silo damit füllen, Pumpernickel und Serrano-Schinken, und überall auf den Tischen liegt Schokolade, für das grosse Fest am Samstag.
Das gewaltigste aber ist Helgas Bibliothek. Sie hortet in ihrem Häuschen einen Bücherschatz, der eine mittelgrosse Gemeindebibliothek füllen würde – wobei ihre Interessen von der deutschen Klassik über Jane Austen via Harry Potter bis hin zu Robert Schneiders neuem Roman reichen. Und im Esszimmer prangt eine Wand mit Kunstbänden. Etwas Klimt zum Frühstück? Kein Problem. Oder doch lieber Schweizer Frühbarock oder Wiener Secession? Nur zu. Und sonst gibt’s immer noch die Wände mit Philosophie und Weltgeschichte im ersten Stock. Und abends zückt sie eine DVD aus einem der drei Koffern in der grossen, alten Bauernkommode in der Stube
A propos alte Bauernmöbel… nein, das spare ich mir. Auch davon hat Helga jede Menge. Und Porzellan.
Ich lasse es mir gutgehen bei Helga.
Am Samstag kommen ihre Freunde. Sie hat wunderbare Freunde, kennt sie alle seit 20 Jahren. Wir lassen es uns alle gutgehen.
Aber schon am Montag wird klar: Helga selber geht es nicht so gut. Mit ihrer Jobsituation steht es nicht zum besten. Aber sie will nicht drüber reden. Sie ist noch fülliger als vor einem Jahr. Und vor ein paar Monaten hatte sie eine schwere Operation.
Am Montag Abend schliesslich lässt sie mich mit ihren Büchern, den DVDs und einem immer noch vollen Kühlschrank allein. Sie ist erkältet und kann nicht mehr sprechen. Mir machen DVDs und Bücher plötzlich weniger Spass als auch schon.
Heute Mittag hat sie mich zum Bahnhof in Mannheim gefahren. Es gab einen kurzen, geflüsterten Abschied.
Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen. Bin ich doch zu lange geblieben? Habe ich genervt? Habe ich etwas falsch gemacht? Ich weiss es nicht. Und ich glaube nicht, dass sie es zugegeben hätte, wenn ich gefragt hätte.
diefrogg - 30. Okt, 21:46
3 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
walküre - 31. Okt, 12:47
Sie braucht
die Gewissheit, Freunde zu haben, die für sie da sind, wenn sie den Zeitpunkt für gekommen erachtet. Dann wird sie auch über das sprechen, was sie belastet.
(Warum ich da so sicher bin ? Helga könnte vom Wesen her meine Schwester sein.)
(Warum ich da so sicher bin ? Helga könnte vom Wesen her meine Schwester sein.)
diefrogg - 4. Nov, 14:21
Dann teilen Sie...
auch diese Freude an der Fülle mit Helga? Sie ist etwas, was mich immer wieder fasziniert, neige ich doch selber bei meiner Wohnungseinrichtung eher zur Askese. Ich bin eine Nestflüchterin und muss das Gefühl haben, alle meine Besitztümer möglichst schnell von A nach B tragen zu können.
walküre - 6. Nov, 09:35
Ja, durchaus,
obwohl sich meine Freude an der Fülle zum Teil anders manifestiert. Ich horte zwar ebenfalls Bücher, CDs und DVDs (und teile diese Vorliebe mit den besten aller Ehemänner), kann jedoch beispielsweise Nippes nicht ausstehen. Eine schöne Vitrine mit alten Porzellanfundstücken vom Flohmarkt wäre für mich bereits das höchste der Gefühle. Was ich an Fülle noch brauche, betrifft das Leben selber - ich war nie ein Landmensch (habe allerdings ca. 30 Jahre gebraucht, um das zu erkennen) und liebe es, in der Stadt in der Menge sozusagen unterzutauchen, ich mag eine florierende Lokalszene und attraktive Architektur um mich herum, möchte aber genauso in Reichweite relativ unberührte Natur vorfinden können. Die Fülle der Wahlmöglichkeiten ist es, in der ich mich wohlfühle. Und (Gast-)Freundschaft besitzt für mich ohenhin einen extrem hohen Stellenwert, dazu gehört auch die entsprechende Bewirtung. Kein Problem, innerhalb einer Woche ein Gartenfest für 25 Personen (+ Unterbringung) zu organisieren - ohne Hilfe von außen wie Cateringservice oder ähnlichem !
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