Experten mit kurzem Gedächtnis
Dieser Tage bin ich in der New York Times* einer Analyse von Elif Shafak begegnet. Titel: "Wie sich die Türkei dem Netz in die Arme wirft". Ein Zitat daraus: Politik-Experten sagen voraus, dass der verbreitete Gebrauch des Internet und anderer Kommunikationsmittel dem Mittleren Osten und dem Balkan eine vertiefte Sensibilität für Menschenrechte, die Zivilgesellschaft und die pluralistische Demokratie bringen werden. Eine global und digital vernetzte Bevölkerung ist weniger anfällig für extremistische Diskurse. "
Ich stutzte. Waren nicht noch vor wenigen Wochen die Medien voll von Experten-Meinungen über Anders Breivik? Und von solchen über die Rolle, die das Internet bei der Entwicklung seines rechtsextremistischen Wahns gespielt hat? Die verbreitete Auffassung von Experten war damals: Das Internet macht den Diskurs von Extremisten extremer. Es habe Breivik sicher nicht gebremst - sondern senem Wahn zusätzliche Nahrung geliefert. Kurz: Sie sagten ungefähr das Gegenteil von dem, was Shafak schreibt.
Womit ich keinesfalls sagen will, dass der Mittlere Osten künftig mehr Gewalt und Extremismus im Stil von Anders Breivik fürchten muss. Das kann ich schlicht nicht beurteilen.
Ich will lediglich sagen: Ich habe endlich verstanden, weshalb mich diese medial zubereiteten Instant-Thesen von so genannten Gesellschaftsexperten über das Internet so misstrauisch machen. Weil sie sich immer an einzelnen Vorfällen festmachen. Weil sie ein Gedächtnis von ungefähr zwei Wochen haben. Weil sie einen Einfluss des Internet sehen müssen - auch wenn er vielleicht gar nicht gegeben ist.
Statt Theoretiker-Geschwafel deshalb hier lieber einen Türkentango:
* Um ehrlich zu sein: Natürlich habe ich nicht die New York Times (NYT) selber gelesen. Sondern einen Zusammenschnitt der NYT, die jeweils der Print-Ausgabe des Tagesanzeigers beiliegt. Sie ist englischsprachig. Die Übersetzungen von Titel und Text sind von mir.
Ich stutzte. Waren nicht noch vor wenigen Wochen die Medien voll von Experten-Meinungen über Anders Breivik? Und von solchen über die Rolle, die das Internet bei der Entwicklung seines rechtsextremistischen Wahns gespielt hat? Die verbreitete Auffassung von Experten war damals: Das Internet macht den Diskurs von Extremisten extremer. Es habe Breivik sicher nicht gebremst - sondern senem Wahn zusätzliche Nahrung geliefert. Kurz: Sie sagten ungefähr das Gegenteil von dem, was Shafak schreibt.
Womit ich keinesfalls sagen will, dass der Mittlere Osten künftig mehr Gewalt und Extremismus im Stil von Anders Breivik fürchten muss. Das kann ich schlicht nicht beurteilen.
Ich will lediglich sagen: Ich habe endlich verstanden, weshalb mich diese medial zubereiteten Instant-Thesen von so genannten Gesellschaftsexperten über das Internet so misstrauisch machen. Weil sie sich immer an einzelnen Vorfällen festmachen. Weil sie ein Gedächtnis von ungefähr zwei Wochen haben. Weil sie einen Einfluss des Internet sehen müssen - auch wenn er vielleicht gar nicht gegeben ist.
Statt Theoretiker-Geschwafel deshalb hier lieber einen Türkentango:
* Um ehrlich zu sein: Natürlich habe ich nicht die New York Times (NYT) selber gelesen. Sondern einen Zusammenschnitt der NYT, die jeweils der Print-Ausgabe des Tagesanzeigers beiliegt. Sie ist englischsprachig. Die Übersetzungen von Titel und Text sind von mir.
diefrogg - 31. Aug, 11:03
7 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
steppenhund - 31. Aug, 15:39
Das Gedächtnis reicht oft nicht einmal zwei Tage. Und dieser Umstand verleitet mich zu äußerstem Zynismus bzw. Sarkasmus.
Wenn ich heute höre, dass ein Experte etwas gesagt hat, könnte ich kotzen. Das ist in einer gewissen Weise selbstbeschädigend, denn ich selbst bin auch Experte.
Und so sage ich offen, ich bin ein Consultant, aber Consultants sind die größten Arschlöcher. Prostituierte sind dagegen recht anständige Menschen.
Wenn ich heute höre, dass ein Experte etwas gesagt hat, könnte ich kotzen. Das ist in einer gewissen Weise selbstbeschädigend, denn ich selbst bin auch Experte.
Und so sage ich offen, ich bin ein Consultant, aber Consultants sind die größten Arschlöcher. Prostituierte sind dagegen recht anständige Menschen.
diefrogg - 1. Sep, 12:42
Also...
an diesem Phänomen des öffentlichen Experten-Geschwafels sind die Experten natürlich nicht allein schuld. Ich sage es ja ungern, denn alle anderen sind sagen es sowieso und bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. Aber in diesem Fall stimmt es: Auch die Medien sind daran schuld. Jedenfalls jene, die zu jedem passenden und unpassenden Phänomen Experten-blabla abfragen. Das hat zum Teil auch mit geschrumpften Ressourcen zu tun. Nicht jedes Medium kann zu jedem Thema aufwändige Recherchen vor Ort betreiben.
Rockhound - 31. Aug, 17:56
Angesichts dessen, dass fast JEDER Schweizer zuhause Internet hat, frage ich mich, wo der Extremismus bleibt...
Angesichts dessen, wieviel Menschen Ego-Shooter spielen, frage ich mich, wo all die erwarteten Amokläufe bleiben...
Angesichts dessen, wieviele Platten Marilyn Manson (den ich selber auch gerne höre!) verkauft, wundert es mich, dass es nicht mehr Selbstmorde bei Jugendlichen, die Rockmusik hören, gibt...
Verteufelung eines Produkts/Mediums ist schon immer ein Mittel gewesen, das Volk gegen irgendetwas aufzuhetzen. Wichtig finde ich, dass man sich nicht aufhetzen lässt und selber überlegt. Du brauchst das Internet auch öfters. Und, planst Du schon ein Attentat?
Angesichts dessen, wieviel Menschen Ego-Shooter spielen, frage ich mich, wo all die erwarteten Amokläufe bleiben...
Angesichts dessen, wieviele Platten Marilyn Manson (den ich selber auch gerne höre!) verkauft, wundert es mich, dass es nicht mehr Selbstmorde bei Jugendlichen, die Rockmusik hören, gibt...
Verteufelung eines Produkts/Mediums ist schon immer ein Mittel gewesen, das Volk gegen irgendetwas aufzuhetzen. Wichtig finde ich, dass man sich nicht aufhetzen lässt und selber überlegt. Du brauchst das Internet auch öfters. Und, planst Du schon ein Attentat?
diefrogg - 1. Sep, 12:44
Nein, eigentlich nicht...
Aber ich gehöre wahrscheinlich zu jener von Experten postulierten Gruppe, die eigentlich nicht so zum Extremen tendiert.
Übrigens: Du solltest da arbeiten, wo ich arbeite. Ich sehe VIEL Extremismus. Täglich. Manchmal erstaunt es mich, dass es so wenige Amokläufe gibt.
Übrigens: Du solltest da arbeiten, wo ich arbeite. Ich sehe VIEL Extremismus. Täglich. Manchmal erstaunt es mich, dass es so wenige Amokläufe gibt.
Rockhound - 1. Sep, 19:07
Ich sah schon viel Extremismus, da wo ich arbeitete und es ist nichts passiert. Ich sehe Extremismus täglich in den Nachrichten, aber am extremsten finde ich irgendwie immer die Politiker und Wirtschaftsbosse, zB. Exxon und Putin, die zusammen den Südpol ausbeuten werden. Putin erinnert mich immer ein wenig an Mr. Burns aus "Die Simpsons". Diese Exemplare sind aber sowieso extrem, mit oder ohne Internet. Genauso, wie ich niemals gewalttätig werde, obwohl ich ständig und am liebsten Krimis gucke und lese, oder ab und an mal GTA Vice City spiele und fast ständig Heavy Metal höre. Und mich erstaunt es auch, dass nicht mehr Menschen Amok laufen, ehrlich gesagt, vorallem, weil ich einige kenne, die ständig damit drohen und speziell einer davon hat gar keinen Internetanschluss und keinen Fernseher... ;-)
acqua - 1. Sep, 13:24
Wahrscheinlich verhält es sich mit dem Internet wie mit dem Fernsehen. Letzteres soll ja die Dummen noch dümmer und Gescheiten noch gescheiter machen. Möglicherweise macht also das Internet die Extremen noch extremer und die Humanen noch humaner? Ich glaube schon, dass das Internet einen Einfluss auf Gesellschaften hat; es hat ziemlich sicher sogar sehr grossen Einfluss auf sie. Nur ist die Sache halt wieder einmal komplizierter als dass man sie in 20'' erörtern könnte und differenzierter als dass für alle das selbe gelten würde. Zugang zu Information und Bildung bieten jedenfalls sowohl Fernsehen als auch Internet.
diefrogg - 1. Sep, 15:20
Das erinnert an das,...
was ich einmal den Schriftsteller Emil Zopfi über Facebook, Blogs etc. habe sagen hören: "Wer ohnehin extrovertiert ist und ein lebhaftes Sozialleben hat, profitiert davon - weil er hier noch mehr Kontakte findet. Wer eh schon introvertiert ist und keine Freunde hat, vereinsamt wegen der oberflächlichen Kontakte im Internet noch mehr." Passt doch.
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