27
Okt
2012

Jesus

In letzter Zeit bin ich ein paarmal in die Kirche gegangen, um zu beten. Es fällt mir nicht leicht, darüber zu schreiben. Religion ist tabu - man spricht verschämter darüber als über Sex, über den Tod oder über Geld.

Aber ich hatte eine schwierige Entscheidung zu treffen. Aus meinem Inneren ertönte eine Kakaphonie von Meinungen. Ich brauchte eine Stimme von aussen. Eine Stimme mit Autorität.

Gestern sass ich in der Kirche und richtete den Blick gegen den Altar. Ich versuchte mich zu öffnen für die Stimme von da oben. Es ist eine Kirche aus den fünfziger Jahren. Mein Blick glitt über die nackte Betonwand hinter dem Altar. Da ist nichts - nur weit oben eine Jesus-Figur am Kreuz.

Ich sah ihn leiden und ertappte mich beim Gedanken: "Ich hätte da vorne lieber eine kriegerische Figur. Jemanden, der verspricht, mich zu beschützen. Leiden tue ich gerade selber."

Seither rätsle ich an der uralten Frage herum: Was ist es, was diesen Jesus für Generationen von Menschen so attraktiv gemacht hat? Ich verstehe es nicht.

Dennoch: Der Blick nach oben hat geholfen. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Jetzt fühle ich mich leichter. Gottseidank.

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testsiegerin - 27. Okt, 11:37

Ich hörte unlängst dieses Zitat von Bert Brecht:
"Einer fragte Herrn K., ob es einen Gott gäbe. Herr K. sagte: «Ich rate dir, nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Antwort auf diese Frage sich ändern würde. Würde es sich nicht ändern, dann können wir die Frage fallen lassen. Würde es sich ändern, dann kann ich dir wenigstens noch so weit behilflich sein, daß ich dir sage, du hast dich schon entschieden: Du brauchst einen Gott."

diefrogg - 29. Okt, 20:54

Hm...

Interessant... Hat jetzt der Versuch zu glauben mein Verhalten beenflusst? Oder nicht? Ich werd mal darüber nachzudenken versuchen. Was ich gesucht habe, ist das Gefühl einer höheren Aufgehobenheit - damit ich mich aus einer Situation befreien konnte, die ich psychisch und physisch als sehr belastend empfand - womit ich mich aber in eine Situation gebracht habe, die von enormer materieller Unsicherheit begleitet ist.

Und da hat es genützt, das beten.
Jossele - 29. Okt, 15:41

Was "da oben" ist, können wir nur glauben, entbehrt es doch jeglicher denkbarer Interpretation (Beweis für oder gegen).
Jesus ist eine Geschichte, egal wie real, eine Geschichte von "Für Werte sein", obschon, was da an Zuordnung heut noch anfällt, das hätt ihn, so es ihn gegeben hat, vermutlich graue Haare beschert.
Neben all den Worthaarspaltereien amtlicher Kirchen und dem "Wir haben die Wahrheit", die Grundidee wär lebenswert (halt ohne den Lobhudeleien).
Gott, ich nehme mal an, sie ist weiblich, schon wegen der Schöpfung, so es in diesen Sphären Geschlecht überhaupt gibt, lenkt sicher nicht, aber ist da.

(Dass Jesus so attraktiv ist liegt vielleicht daran, dass er so quasi superverantwortlich ist. Da können wir doch, war er ja zwischenzeitlich auch Mensch, all unseren Mist in seinem Namen, so als KollegIn, an jenseitige Enditäten abladen und sind nicht mehr verantwortlich, jetzt grob gesagt.)

diefrogg - 29. Okt, 21:02

Weiblich?

Interessanter Gedanke :) Und dass sie da ist - ja, das hoffe ich... amtliche Kirche hin oder her. Mit ihr habe ich teils auch meine liebe Muehe, obwohl bei uns lokal sind die ganz in Ordnung. Aber der Abteilungsleiter in Rom ist nicht so mein Fall.
canela.wordpress - 2. Nov, 10:02

mein freund ist gläubig. ich finde es spannend - obwohl ich nicht viel damit anfangen kann - schöpft er aus seinem glauben kraft. diese tatsache bewundere ich.

wir diskutieren über den glauben. und kommen immer wieder zum schluss, dass ich es auch irgendwie bin, halt eher mit einem mystischen ansatz und weniger christlich. der klang tibetanischer klangschalen berühren mich viel tiefer, als wenn ich ein kirchenlied in der kirche höre.

neulich sprachen er und mein sohn über gott. mein kleiner zeigte ihm sein buch "das weltall". und fragte ihn: "wo steht hier, dass es gott gibt?" mein freund hatte keine antwort darauf.

diefrogg - 11. Nov, 16:27

Danke, canela!

Das habe ich erst jetzt gesehen! Dein Sohn legt doch immer wieder geradewegs den Finger auf die heiklen Punkte.

Das mit dem Kraft schöpfen hat schon etwas. Aber man muss es lernen. Neulich habe ich irgendwo gelesen, dass wir Gott nicht als unhöfliche Bettler gegenübertreten sollten, sondern als würdige Christen. Das hat mir Eindruck gemacht.
sunsan2 - 2. Nov, 19:07

Liebe Frau Frogg,

mich freut's, dass du deine Entscheidung getroffen hast und dich nun leichter fühlst.
Alles Liebe Susanne

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