25
Apr
2011

Frau mit akademischem Titel

Es ist ein Klischee, dass in Wien sogar die Kellner in den Cafés die Ehrentitel Titel ihrer Gäste kennen. Aber die Realität bestätigte es schon an unserem ersten Abend in der Donaumetropole. Herr T. sah im Café dieses Schild: "Die p. t. Gäste werden darauf hingewiesen, dass...". "p.t" heisst "mit ihrem vollen Titel (pleno titulo)". katiza hats bereits hier erwähnt.

Frau Frogg muss angesichts solcher Phänomene ja immer tief schürfende Fragen stellen. Diesmal lautete eine davon: "Sind die Österreicher hierarchiegläubiger als die Schweizer?" Natürlich konnten das meine Begleiter - Frau Katiza und Herr Kulturflaneur - auch nicht beantworten. Woher hätten sie es auch wissen sollen?

Ich weiss lediglich, dass wir in der Schweiz Titel mit Zurückhaltung verwenden. Natürlich, eine Bundesrätin spricht man stets mit "Frau Bundesrätin" an. Aber unser Alltag ist titelmässig gnädig intransparent. Ärzte etwa spreche ich nur mit "Herr Doktor" oder gar "Herr Professor" an, wenn sie Deutsche sind. Und wenn meine Gesundheit davon abhängt, dass sie etwas tun, was sie sonst nie tun. Dann schadet es nicht, bei der Ehrerbietung dick aufzutragen.

Wenn mich jemand daran erinnert, dass ich selber einen akademischen Titel habe, erschrecke ich sogar meist ein bisschen. Es ist zwar nur ein ganz bescheidener Titel ist. Dennoch habe ich gute Gründe.

1) Wenn ich einen Brief mit der Aufschrift lic. phil P. Frogg bekomme, dann ist er immer von jemandem, der mir etwas Unbrauchbares verkaufen will. Oder vom Steueramt.

2) Als Journalistin war ich eine Späteinsteigerin. Ich fing ganz unten an und hatte viele ambitionierte Sous-Chefs ohne akademische Titel. Ihr wisst schon, diese Wadenbeisser-Typen. Schon das Gerücht, ich hätte studiert, konnte solche Leute in Mobbing-Laune versetzen. Sofort wussten sie: Frau Frogg ist elitär. Und elitär, das darf man als Journalist nur bei der NZZ sein. Das ist das Gegenteil von "nahe bei den Leuten". Und ohne "Nähe zu den Leuten" geht im Journalismus meist gar nichts.

Naja, vielleicht war ich nicht immer unschuldig an der Mobbing-Laune. Es mag Wadenbeisser gegeben haben, die ich etwas zu deutlich spüren liess, dass ich sie für nicht allzu hell hielt. Aber genau weiss ich es nicht mehr. Man ist in solchen Lebenslagen ja nie objektiv. Jedenfalls lernte ich damals, meinen akademischen Titel zu verheimlichen. Bis ich ihn selber fast vergass.

Und wenn wir gerade über Akademiker sprechen: Ich bin immer wieder froh, dass ich nicht mehr im Single-Zirkus bin. Da gibt es doch immer diese Inserate, in denen steht: "Akademiker (48) gut situiert, sucht..." Nun ja, ich gebe zu: Ich würde als Single einen gescheiten Mann mit etwas Geld nicht a priori von der Bettkante stossen. Aber bei so einem Inserat denke ich immer: "Ach, der sucht eine, die im Golfclub eine gute Figur macht!"

Nein. Ich glaube, wir sind nicht weniger hierarchiebesessen als die Wiener. Nur sehr viel diskreter.

Der Soundtrack ist diesmal eher mittelmässig. Der Film aber sehr amüsant.



(Elvis in Change of Habit)

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acqua - 25. Apr, 21:19

Da fällt mir diese Partnervermittlungsbörse ein, die "Akademiker & Singles mit Niveau" ansprechen möchte. Als ob es nicht auch Akademiker mit Niveau gäbe... ;-)

diefrogg - 25. Apr, 21:27

Vielleicht sind ja....

die Akademiker mitgemeint. Dann heisst das, dass die meisten Akademiker kein Niveau haben.
acqua - 25. Apr, 21:31

Du meinst alle Akademiker, die keine Singles sind? :-P (Von Akademikerinnen ist hier ja sowieso nicht die Rede.) Oder es heisst, dass alle Akademiker nicht Single sind.
diefrogg - 25. Apr, 21:44

Naja, Logik...

komplexe Sache. Deshalb werden Akademiker NICHT Inserate-Schreiber.
acqua - 25. Apr, 21:46

Das habe ich jetzt nicht verstanden. :-)
diefrogg - 25. Apr, 21:50

Ich auch nicht....

Sorry. Bin müde. Um diese Zeit gleite ich jeweils langsam ins Land der Träume - mitsamt Logik und Titel.
katiza - 25. Apr, 21:54

Gnädigste Frau Redakteurin lic.phil. Frogg, bitte wir haben schon den größeren Titelwahn, behaupt ich frech..


diefrogg - 25. Apr, 22:19

Ha! Allmählich frage ich mich, wie...

die Österreicher es schaffen, einige Zeitungen im Tabloid-Format herauszubringen. In die schmalen Spalten bringt man doch all die Titel gar nicht rein!
steppenhund - 25. Apr, 22:04

Ich seh das so ...

In meinem Berufsumfeld werden Personen mit Dr mit Doktor angesprochen, DI nur mit Herr. (Obwohl ein Diplom-Ingenieursstudium in der Regel 7 Jahre gedauert hat und alles andere als einfach war.) Mir als Studienabbrecher kommt das zugute. Ich bin genauso ein Herr wie der Herr DI.
Jetzt ist es so: bei einem Akademiker komme ich relativ schnell darauf, ob er etwas kann oder nicht. Manche Fragen darf man einem Akademiker stellen, weil er mit ihnen ja während des Studiums konfrontiert war.
Der "einfache" Mensch würde solche Fragen als Herausforderung oder Frotzelei betrachten. Damit muss ich ihn länger beobachten, bis ich feststellen kann, wie viel Substanz in ihm ist.
-
Der große Vorteil eines Akademikers, - eines guten Akademikers, - besteht darin, dass er nicht nur sein unmittelbares Fach kennt sondern auch etwas Allgemeinwissen mitbringt. Dass meine Einschätzung sich hauptsächlich auf naturwissenschaftliche und technische Gebiete bezieht, darf angenommen werden. Bei geisteswissenschaftlichen Doktoren habe ich keine Ahnung, ob sie gescheit sind oder nicht. Manche sind es, man findet sie auch hier auf twoday und man merkt sofort, wie weit der Horizont ist.
Aber auch bei einem Doktor der Musikwissenschaften unterstelle ich eine gewisse Größe. Der- oder diejenige kann nicht nur bei Lady Gaga mitwippen sondern stellt mehr Fragen als der Durchschnitt der Bevölkerung.
-
Im Prinzip gibt es auch bei den Akademikern zwei Klassen wie überall sonst auch: es gibt diejenigen, die "lebenslang dazulernen", und die, die "bereits genug gelernt haben".
Bei Menschen, die in die zweite Klasse fallen, ist es mir vollkommen egal, ob sie einen akademischen Grad haben oder nicht. Sie sind für mich uninteressant, um nicht eine härtere Deklassierung zu gebrauchen.
-
In Österreich werden in den Firmen lange nicht mehr so viel Titel verwendet wie früher.
Aber es gibt ja noch andere Formen: CEO, executive vice director, Geschäftsführer, Prokurist, etc. Obwohl das Tätigkeitsbezeichnungen sind, fallen manche heraus. Mit einem "Prokuristen" kann ich echt Staat machen, der zählt unter manchen Einheimischen mehr als ein Doktor.
Aber das sind alles Peanuts. In Österreich sind wir fortschrittlich. Da wird ein 24-Jähriger Staatssekretär. Ein Student, für den die Eltern noch Familienbeihilfe beziehen, wird als Einstiegsdroge ein Gehalt von über 14.000€ erhalten. Also Titel sind offensichtlich bei uns nicht überbewertet. Nur eine freche Goschen musst haben!

diefrogg - 26. Apr, 19:27

Interessante Ausführungen,

Herr Steppenhund. Darf ich nur zu Ihrem letzten Punkt Stellung nehmen und zu den anderen Dingen - wo nötig beipflichtend - mit dem Kopf nicken? Als ich mich ein bisschen nach einem Soundtrack für den Eintrag umgehört habe, stellte ich fest: Titelbesessenheit ist durchaus wieder im Kommen. Nicht nur bei den CEOs. Bei den Rappern gibts Professoren und Doktoren und MCs à discrétion. Das muss ja etwas bedeuten...
nömix - 26. Apr, 20:07

Angeblich soll ja der Dr. Kurt Ostbahn gar kein wirklicher Doktor sein .. ;)
(D'accord, Steppenhund. Unlängst über einen Zeitungsartikel mokiert, dessen Verfasserin nicht darüber Bescheid wusste, dass RO und BG seit 2007 der EU angehören. In ihrem Profil ist ein Hochschulabschluss an der Wirtschaftsuniversität Jahrgang 2005 angeführt.)
steppenhund - 26. Apr, 21:01

Das ist ja der richtige Wahnsinn. In meinem technischen Umfeld wundere ich mich auch immer über Leute, die in ihrem eigenen Metier nicht verfolgen, was es für Entwicklungen gibt. Aber heute habe ich wieder etwas über Prüfungen für die Befähigung zum Lehramtsstudium gehört. Da zieht es einem buchstäblich die Patschen aus. Aber das ist wieder ein anderes Thema...
MadProfessor - 26. Apr, 21:07

Ähm

da muss ich - wo ich ehrlich den Titel von Mad Professor mir "ausgeborgt" habe - protestieren. Ordensverleihungen sind in Österreich weit wichtiger als Titel (schliesslich werden wir alle mit irgendeinem Titel angesprochen: und wenn es nur Chef oder Chefin ist), aber so ein Orden ... ;-)

diefrogg - 27. Apr, 12:09

Ordensverleihungen?

Da staunt die Österreich-Laiin! Das gibts in der Schweiz nicht...
Und was den geklauten Professoren-Titel angeht: Das ist ja am Bloggen das Schöne! Man kann sich auf alle erdenklichen Arten verkleiden, weil es nicht um existenzielle Fragen geht!
Klaus Puchleitner - 2. Mai, 21:41

Die österreichischen Titel ohne Mittel

Ein Geheimnis: Die Wiener Kellner in den Cafés kennen natürlich nicht alle Ehren- und sonstigen Titel ihrer Gäste. Aber in Österreich, dem Land der grenzenlos Titelsüchtigen, ist die Sache einfach. Im Zweifelsfalls spricht ein echter Kellner eines echten Wiener Cafés jeden (ehrlich jetzt: jeden!) Gast mit präventiv einem Titel an. Zur Sicherheit. Aus Selbstschutz, denn vor allem die Titellosen sind in Wien schnell einmal beleidigt, werden sie angesprochen, wie sie sind, also ohne. Das kostet am Ende der Kaffeehaushandlung den Kellner dann das Trinkgeld.

In keinem Land der Welt, außerdem, gibt es so viele Akademikerinnen wie in Österreich. Weil auch die (meistens alten) Ehefrauen von (meistens schon verstorbenen) Akademikern mit dem Titel ihres Mannes angesprochen werden. Die Frau eines Zahnarztes, ist also, auch wenn sie gelernte Schneiderin ist, in der öffentlichen Wiener Konversation immer: Frau Doktor. Oder Frau Magister, je nachdem. Umgekehrt funktioniert das übrigens nicht, keine Ahnung wieso nicht.

Ein ernstes und bisher völlig unterschätztes Problem wird Österreich nach Einführung der Bologna-Kriterien an den Universitäten (und damit Abschaffung der meisten Magister-Titel) in den kommenden Jahren heimsuchen: Es gibt dann ja hauptsächlich "Master-" und "Bachelor"-Titel. Jetzt aber: In einem Land, in dem man bisher nie schief lag, wenn man zu jemandem "Herr Doktor" oder "Frau Magister" sagte - wie spricht man jemanden an, der zum Beispiel "Max Mustermann, MA" ist? Da werden sich noch Generationen von Wiener Kellnern in den Cafés die Zähne daran ausbeissen...

Amtstitel gibt´s in Wien und Österreich übrigens ohne Ende: Kommerzialrat, Hofrat, Amtsrat, Oberamtsrat, Kanzleirat, sogar "Oberaufsichtsräte" gibt es an Wiener Gerichten, was zu wirklich peinlichen Sachverhalten führen kann, siehe hier: http://klauspuchleitner.blogspot.com/2010/12/osterreichs-worter.html

diefrogg - 3. Mai, 10:49

Köstlicher Beitrag!

Danke, Herr Puchleitner! Vor allem den Abschnitt über "Max Mustermann, MA" finde ich äusserst bedenkenswert!
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