25
Jul
2012

Gesunde sind dämlich

Frau Frogg ist an sich eine ziemlich mitteilsame Natur. Aber eins lernt sie allmählich: Gewissen gesunden Mitmenschen gegenüber ihr Ohrenleiden gar nicht erst zu erwähnen - auch wenn es an schlechten Tagen die Gefahr von Verständigungsproblemen erhöht. Aber sehr viele Gesunde können mit sowas nicht umgehen. Sie sagen dann Dinge wie: "Tja, das musst Du jetzt halt einfach akzeptieren." Da kann ich nur sagen: Sorry, aber wenn mir das ein kerngesunder Mensch mit einer grossen Eigentumswohnung und einem neuen Auto in der Garage sagt, dann bekomme ich Schaum vor dem Mund! Ich bin ja mit Taubheit geschlagen, nicht mit Blödheit. Ich habe schon vor einer Weile begriffen, dass ich meine sich anbahnende Ertaubung "einfach akzeptieren muss" - mit sämtlichen Nebenwirkungen. Aber die meisten Gesunden, die sowas absondern, haben keine Ahnung, was das bedeutet. Und sie wollen es auch gar nicht wissen.

Wobei: Es gibt auch Ausnahmen. Ich habe zum Glück ein paar gute Freunde, die einfach zuhören können. Und dann gibt es noch diejenigen, die mich schon in verzweifelten Momenten erlebt haben - und die dann einfach zugeben, dass sie auch ein bisschen hilflos sind. Weil sie ja auch nicht wissen, wie man in Würde taub wird. Woher sollten sie auch?

Und zum Glück habe ich meine neue Freundin Zelda, die seit einem schweren Unfall vor 15 Jahren an zwei Stöcken geht. Nicht, dass wir einander bei unseren Treffen abendfüllende Jeremiaden über unsere Leiden herunterleiern. Das ist gar nicht nötig. Neulich erzählte ich ihr, ich hätte im Kino den Film über Bob Marley gesehen. "War er gut?" fragte sie. "Ja, sehr gut", sagte ich und sagte ein paar - hoffentlich kompetente - Dinge über Dokumentarfilme und darüber, dass Bob Marley eine - vielleicht zu Unrecht fast vergessene - Ingedienz meiner Jugend war. Dann fügte ich hinzu: "Und der Film ist wunderschön vertont, und ich hatte einen Tag, an dem ich sehr gut hörte. Es war so schön! So schön!" Da sah ich, wie sich ein Muskel in ihrem Gesicht bewegte und wusste: Sie verstand. Sie verstand die ganze verdammte Geschichte, ohne ein weiteres Wort.

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walküre - 26. Jul, 11:53

"Weil sie ja auch nicht wissen, wie man in Würde taub wird."

Frau Frogg, sind wir doch ehrlich: In unserem westlichen Kulturkreis mit all seinem Jugend- und Gesundheitswahn ist es ja schon schwer, in Würde zu altern - da wird doch nach Kräften verdrängt, dass auch der menschliche Körper nicht perfekt ist. Ihre Erkrankung wirkt vermutlich wie ein Spiegel auf manche Menschen, in den diese partout nicht schauen wollen.

Dass Ihnen dabei doppeltes Leid widerfährt, ist eine Riesensauerei.

PS: Menschen wie Zelda sind ein Geschenk des Himmels.

diefrogg - 26. Jul, 13:49

Wie recht sie haben,

Frau Walküre! Kommt noch dazu, dass gewisse Zeitgenossen das Bedürfnis zu haben, in jeder Lebenslage so auszusehen, als stünden sie über der Sache und wüssten genau, was zu tun ist. Verunsicherung darf in den Köpfen solcher Leute gar nicht stattfinden. Und Neugier oder wenigstens Interesse? Um Gottes Willen! Wo kämen wir denn da hin?!
Jossele - 26. Jul, 19:49

Der Umgang mit "Anderssein", egal jetzt ob das ein Rollstuhl, Seh- oder Hörverlust, eine Chromosomenfehlstellung oder die altersbedingte Eingeschränktheit sein mag, zu vielen Menschen macht es Angst, weil es der "Norm" nicht entspricht, also werden sie unsicher, und sowas schiebt man gerne weg.
Das Miteinander verlernen wir zusehens. Der Mensch hat zwischen 20 und 40(?) Jahre alt zu sein, wirtschaftlich erfolgreich, wohlgeformt, nutzbar, und was weiß ich noch.
Diesen Menschen gibt es sogut wie nicht, und wenn, ich möcht der nicht sein.
Wir alle sind anders, irgendwie so oder so, und es wäre höchst an der Zeit, darauf einzugehen ("Toleranz" halte ich für einen falschen Begriff), allerdings, na ja, wir gehen eher in eine andere Richtung.

Gut, dass sie Bob Marley hören konnten.

diefrogg - 27. Jul, 09:52

Diese Beobachtung...

scheint mir sehr akkurat, Herr Jossele. Genau dieses stromlinienförmige Dasein war es, was ich schon vor meiner Erkrankung (und altersmässig innerhalb des gewünschten Rahmens) hin und wieder als irgendwie sinnlos empfand. Aber heute vermisse ich die relative finanzielle Sicherheit der damaligen Zeit, das Prestige - und, sehr stark, mein Gehör, wenn es denn nicht funktioniert. Was man besass, weiss man, wenn mans verlor.

Umso dankbarer bin ich, dass meine Leser auch einen solchen Beitrag (den Herr T. "naja, ein bisschen launisch" nannte) mit Geduld lesen und so weise kommentieren!
Kadett - 23. Aug, 14:52

Bob spendet auf jeden Fall wunderbaren Trost und Lebensfreude. Als ich vor ein paar Jahren durchblickte, dass viele seiner Lieder religiös sind, fand ich das zwar überraschend, aber dann auch nicht. Vielleicht hängt das eben gerade mit dieser Wirkung zusammen.
Was den Gesundheitswahn angeht: Da kann ich nur zustimmen. Nicht nur, dass wir mit fettfreien Lebensmitteln terrorisiert werden, kranke Menschen werden beinahe Unsichtbar in einer Gesellschaft, wo der perfekte alterslose Körper ein Statussymbol wird. Wollen wir teil dieser Gesellschaft sein? Nein. Ich selbst versuhe mich von solchen Urteile soweit es geht zu lösen und finde meinen eigenen, mir und meinem Körper angemessenen Weg. Schokolade hat bei mir Rahmschikolade zu sein, das qualmen habe ich zugunsten eines gleichwertigen Ersatzmittels aufgegeben, und obwohl ich keinen Sport treibe, fahre ich doch gern im Sommer mit dem Fahrrad.

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