Tante Luzia
Sie hiess Tante Luzia, und sie war schwerhörig. Noch vor zehn Jahren kam sie jeweils an Familienfeste bei der Tigerfamilie. Da konnte sie mächtig anstrengend sein, gerade wegen ihrer Schwerhörigkeit. Damals hörte ich noch gut, aber ich ahnte, dass sich das ändern könnte. Doch nie, dachte ich damals, nie will ich wie Tante Luzia werden.
Sie konnte zum Beispiel still dasitzen und andächtig ihren von der Tigermutter zubereiteten Rindsschmorbratenbraten zu sich nehmen. Wir derweil bemühten uns, beim Essen eine familientaugliche Konversation zum Laufen zu bringen. Es war, offen gestanden, nicht so einfach. Es hatten nicht alle dieselbe Wellenlänge in der Tigerfamilie. Meist gelang es uns dann doch irgendwie - aber kaum wurde es gemütlich, holte Tante Luzia tief Luft, fiel dem akutellen Sprecher ins Wort und begann ein belangloses Geschichtchen über ihr Hündchen Leopold - kurz: Pöldi - zu erzählen. Wir nickten interessiert und stellten ihr weitere Fragen. Aber sie verstand nicht und verstummte wieder. Wir versuchten dann, den Faden wieder aufzunehmen - und nach zehn Minuten passierte wieder dasselbe.
Heute muss ich manchmal an Tante Luzia denken, wenn ich mittags mit meinen Kollegen in der Cafeteria sitze. Sie sind ja nett und nehmen mich zum Essen immer mit. Aber es ist ein Megastress für mich. Oft verstehe ich nicht einmal mehr, über was sie reden. Manchmal sage ich dann: "Sorry, ich weiss nicht, über was ihr redet." Oder: "Kannst Du das nochmals sagen?" Ich fühle mich dann immer ein bisschen lästig. Ich habe mich sogar schon dabei ertappt, dass ich eine kurze Pause im Gespräch abwarte und dann irgendetwas zu erzählen beginne. Erst jetzt beginne ich zu begreifen, wie anstrangend das damals für Tante Luzia gewesen sein muss.
Sie konnte zum Beispiel still dasitzen und andächtig ihren von der Tigermutter zubereiteten Rindsschmorbratenbraten zu sich nehmen. Wir derweil bemühten uns, beim Essen eine familientaugliche Konversation zum Laufen zu bringen. Es war, offen gestanden, nicht so einfach. Es hatten nicht alle dieselbe Wellenlänge in der Tigerfamilie. Meist gelang es uns dann doch irgendwie - aber kaum wurde es gemütlich, holte Tante Luzia tief Luft, fiel dem akutellen Sprecher ins Wort und begann ein belangloses Geschichtchen über ihr Hündchen Leopold - kurz: Pöldi - zu erzählen. Wir nickten interessiert und stellten ihr weitere Fragen. Aber sie verstand nicht und verstummte wieder. Wir versuchten dann, den Faden wieder aufzunehmen - und nach zehn Minuten passierte wieder dasselbe.
Heute muss ich manchmal an Tante Luzia denken, wenn ich mittags mit meinen Kollegen in der Cafeteria sitze. Sie sind ja nett und nehmen mich zum Essen immer mit. Aber es ist ein Megastress für mich. Oft verstehe ich nicht einmal mehr, über was sie reden. Manchmal sage ich dann: "Sorry, ich weiss nicht, über was ihr redet." Oder: "Kannst Du das nochmals sagen?" Ich fühle mich dann immer ein bisschen lästig. Ich habe mich sogar schon dabei ertappt, dass ich eine kurze Pause im Gespräch abwarte und dann irgendetwas zu erzählen beginne. Erst jetzt beginne ich zu begreifen, wie anstrangend das damals für Tante Luzia gewesen sein muss.
diefrogg - 17. Jan, 16:42
7 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
rosenherz - 17. Jan, 19:54
Schwerhörig sein. Ansatzweise kann ich das nachvollziehen, seit meine Mutter nach einer Ohrspülung und einer damit verbundenen Verletzung schwerhörig(er) geworden ist.
Zu den Weihnachtsfeiertagen geb es Besuch. Da war einer dabei, der bevorzugt in Monologen erzählt oder vor unverständlich sich hin nuschelt. Er hatte meine Mutter erwischt, die brav zuhörte, immer wieder mal nickte und gelegentlich ein "aha" oder ein "ahso" von sich gab.
Als er Besuch wieder verschwunden war, fragte ich meine Mutter, wie es ihr ergangen sei mit der betreffenden Person. "Ich hab kein einziges Wort verstanden" gestand sie.
Zu den Weihnachtsfeiertagen geb es Besuch. Da war einer dabei, der bevorzugt in Monologen erzählt oder vor unverständlich sich hin nuschelt. Er hatte meine Mutter erwischt, die brav zuhörte, immer wieder mal nickte und gelegentlich ein "aha" oder ein "ahso" von sich gab.
Als er Besuch wieder verschwunden war, fragte ich meine Mutter, wie es ihr ergangen sei mit der betreffenden Person. "Ich hab kein einziges Wort verstanden" gestand sie.
diefrogg - 18. Jan, 17:51
Die Ärmste!
Da hat sie sich also so durchgemogelt, wie wir das als Schwerhörige hie und da tun. Schliesslich geht es definitiv nicht, dass man in einem Gespräch mehr als einmal nachfragt, wenn man nicht verstanden hat. Naja, wenn der Gesprächspartner so ein Laberer ist, kann das sogar seine Vorteile haben.
rosenherz - 18. Jan, 23:07
Das Problem bestand auch schon früher, als Mama noch gut gehört hat: Den Laberer kann ich nur mit großer Mühe verstehen, entweder er verschluckt seine Worte oder er erupiert sie wie ein Vulkan, wonach sich glühende (Sprach-)Lava übers (Beziehungs-)Land ergießt.
diefrogg - 21. Jan, 13:51
Ein totaler Laberer, also!
Naja, es gibt auch unter so genannt nicht Behinderten solche mit ganz furchtbar schlechten Angewohnheiten.
bonanzaMARGOT - 19. Jan, 06:29
ich hatte eine stiefoma, die war auch schwerhörig. sie wurde von uns als sehr anstrengend empfunden, auch weil sie ungeheuer viel quasselte. vielleicht dachte sie: wenn ich schon nicht die anderen verstehe, rede ich halt unentwegt...
diefrogg - 21. Jan, 13:50
Ja, das dachte sie ...
... ganz bestimmt. Ich mache das manchmal auch: reden, damit ich nicht zuhören muss. Typische Schwerhörigen-Strategie. Wenn ich mich dabei ertappe, verstumme ich jeweils beschämt. Sowas machte Tante Luzia aber nicht. Dafür war sie viel zu wenig selbstbewusst.
Trackback URL:
https://froggblog.twoday.net/stories/1022643602/modTrackback