1
Mai
2014

Ich meide die anderen

Mit einer gewissen Faszination beobachte ich die Selbstzerstörung meines Gehörs. Wenn es ganz schlimm ist, dann höre ich die Stimmen am Fernseher nicht mehr. Dann höre ich das Knistern meiner Bettdecke nicht mehr. Dann höre ich die Zeitung nicht mehr rascheln. Das sind laute Geräusche. Das sind die bewährten Hörtests der Menière-Patientin. Wenn es soweit ist, dann heisst das wahrscheinlich: ungefähr minus 60 Dezibel auf dem guten Ohr. Auf fast allen Frequenzen. Das ist ziemlich viel. Da muss man sich dran gewöhnen. Ohne Hörgerät geht da fast gar nichts mehr.

Früher haben mich diese Stunden ohne Gehör entsetzt. Jetzt nicht mehr. Ich renne nicht einmal mehr zum Arzt deswegen. Ich weiss jetzt, was man alles noch kann, wenn man nicht mehr viel hört. Ich gehe durch die Stadt, ohne sie zu hören, und es macht mich beinahe stolz: Ich kann gehen, allein, aufrecht und mit einem Ziel. Ich kann über den See blicken. Zur Not kann ich mich sogar noch verständigen. Ich kann schreiben. Das muss reichen, für den Moment.

Am Mittag esse ich allein in meinem Büro. Ich meide die anderen. Ich glaube, dass ich damit das kleinere Übel wähle. Würde ich mit den anderen in diesem Lärm essen, so wüsste ich nicht, ob ich mich oder sie mehr verstöre. Aber es macht mir Sorgen. "Wo soll das noch hinführen?" denke ich. "So vereinsame ich doch", denke ich.

18
Apr
2014

Sprachlos

Meine Ohren donnern und quietschen. Meine Seele wütet und tobt. In diesem Sturm ist nichts, was man bloggen könnte.

Darum ist hier erst einmal Ruhe.

Bis bald!

9
Apr
2014

Schmierig

"Bohnenallergiker können aufatmen", sagte gestern der Mann vom Wetterbericht am Schweizer Fernsehen. Er war dabei, eine nahende Kaltfront anzukündigen. Nein, er sagte natürlich nicht "Bohnenallergiker". Er sagte Pollenallergiker. Ich hatte mich verhört - so ein typischer Mondegreen eines allzu flinken Schwerhörigen-Gehirns. Hier ein ausführlicherer Text von mir über das Phänomen.

Und noch ein Frogg'scher Mondegreen von gestern: "Ich glaube, Plankton hat einmal gesagt, der Dummheit der Menschen komme man nie auf den Grund." (Aus der deutschen Fassung der Fernsehdoku Presumption über Jane Austen). Nein, nicht Plankton sprach diese weisen Worte - es war Platon.

Und zu guter Letzt ein Zitat aus irgendeinem Radio-Interview von neulich: "Es war ein langer und ein schmieriger Prozess".

Ich habe wieder angefangen, mir solche Sachen aufzuschreiben. Wenn ich in der richtigen Stimmung bin, kann ich darüber sehr laut lachen. Ich lache jetzt meistens ziemlich laut, damit ich mich selber dabei höre.

5
Apr
2014

Es klopft

Gestern draussen im Wald hörte ich ein hektisches, hohles Klopfen. "Ach, ein Specht!" dachte ich. Aber es war kein Specht. Es war ein Helikopter.

Ich muss mich noch daran gewöhnen, dass ich wieder schwerhörig bin. Acht Monate lang habe ich wenigstens auf dem rechten Ohr gut gehört. Ich dachte schon, vielleicht sei ich jetzt dem Teufel endgültig vom Karren gefallen, und alles sei wieder wie früher.

Aber ich habe mich geirrt. Herr Menière ist auf Besuch, und wie.

Wenn ich etwas anfasse, macht es kein Geräusch. Das ist merkwürdig. Plötzlich sind die Dinge so weit weg.

In das Nacht kann ich hören, wie sich meine Innenohrschnecke mit Flüssigkeit füllt. Die Härchen, die darin überschwemmt werden, schreien vor Schreck laut auf. Man nennt das Tinnitus.

31
Mrz
2014

Inspirierende Behinderte

Behinderte in den Medien - das sind Menschen, die trotz ihrer Einschränkung strahlen. Sie leisten Überragendes und reden ihre Schwierigkeiten im Alltag klein. Und sie sind erst noch inspirierend - weil sie doch trotz ihrer misslichen Lage sooooo tapfer sind.

Ich kann Euch gar nicht sagen, wie ich auf einen Artikel gewartet habe, der das Phänomen einmal einer kritischen Analyse unterzieht! Bei Mia auf ivinfo gibt es jetzt einen solchen: Hier. Es heisst dort "Inspirations-Porno." Ein paar Auszüge aus dem Artikel von Stella Young in meiner Übersetzung:

"Lasst mich die Absicht dieses Inspirations-Pornos beim Namen nennen. Er ist da, damit Nicht-Behinderte ihre Sorgen relativieren können. Sie können sagen: 'Also, wenn dieses Kind keine Beine hat und trotzdem lächeln kann ... sollte ich mich niemals wegen meines Lebens schlecht fühlen.'

So machen diese Bilder jene zu Objekten und Ausnahmen, die sie darzustellen vorgeben. Sobald wir nur hinterfragen wie wir dargestellt werden, rutschen wir sofort ans andere Ende der Skala und werden 'bitter' und 'undankbar'. Wir versagen dabei, die Erwartungen der anderen zu erfüllen."

Die Behauptung 'die einzige Behinderung ist eine negative Einstellung' erlegt die Verantwortung für die Benachteiligung ... direkt den Menschen mit Behinderung selber auf. Doch damit beschuldigt sie die Opfer. Sie behauptet, dass wir komplette Kontrolle darüber, wie die Behinderung unser Leben beeinflusst. Dazu kann ich nur eins sagen: Fickt Euch ins Knie!"

Bravo! Bravo! Bravo!
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Journal einer Kussbereiten

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