5
Sep
2013

Die so genannte Wehrpflicht

Ich sass da mit meinem Stimmzettel und war ratlos. Da fragte mich doch die Schweizerische Eidgenossenschaft, ob ich für oder gegen die Abschaffung der Wehrpflicht bin!

"Wehrpflicht?" dachte ich. Bei uns gibt es doch gar keine Wehrpflicht - jedenfalls keine allgemeine. Die Wehrpflicht gilt doch nur für Männer. Für Frauen gilt sie nicht. Jede Antwort, die ich auf den Stimmzettel schreibe, ist daher widersinnig. Man kann nicht etwas abschaffen oder beibehalten, was es gar nicht gibt.

Die Frauenbewegung hat nie an die grosse Glocke gehängt, dass es puncto Wehrdienst weder gleiche Rechte noch gleiche Pflichten gibt. Verständlich: Wer will auch gleiche Pflichten einfordern, wenn zum Beispiel die Lohngleichheit von Frauen und Männern noch immer nicht verwirklicht ist?

Ich persönlich muss gestehen: Ich war heilfroh, dass ich damals nicht in die Armee musste. Mit sinnlosem Drill und politischen Zweifeln hätte ich leben können - glaube ich jedenfalls. Ich hatte schon damals ein kleines Réduit innerer Freiheit, in das ich in solchen Lebenslagen flüchtete. Aber ich war im Sport eine solche Pfeife, ich wäre ein Klotz am Bein jedes Füsilier-Korps gewesen.

Dennoch kann ich von mir sagen, dass ich Dienst an der Allgemeinheit geleistet habe - wenn auch nicht an der schweizerischen. Ich habe ein Jahr in einem Heim in England Jugendliche mit einer geistigen Behinderung betreut - bei ähnlichen Präsenzzeiten und Soldverhältnissen wie meine Kollegen im Schweizer Militär.

Nun könnte mir die helvetische Armee genau so schnuppewurst sein wie ich als weibliches Wesen jenen bin, die jetzt das Hohelied auf das Milizwesen anstimmen. Ich war drauf und dran, den Stimmzettel leer einzulegen. Aber wenn frau den Milizgedanken ernst nimmt, dann kann sie das nicht. Also diskutierten Herr T. und ich ewig und drei Tage. Über Bedrohungsszenarien zum Beispiel. Man weiss ja, dass die Armee nicht in den erster Linie den nationalen Zusammenhalt der Männer fördern, sondern uns nötigenfalls vor einem Feind schützen soll.

Ich habe schliesslich doch etwas auf meinen Stimmzettel geschrieben. Was es war, sage ich hier nicht, dafür habe ich gute Gründe.

Falls die Miliz-Armee auch nach der Abstimmung am 22. September bestehen bleibt, bin ich aber neugierig auf ein paar kluge Gedanken zur Rolle der Frauen in der Armee. Nicht zuletzt von jenen, die jetzt das Hohelied des Milizwesens singen.

1
Sep
2013

Über das Lesen

Seit einiger Zeit geniesse ich ein unglaubliches Privileg: Ich habe Zeit zum Lesen. Seit ein paar Monaten nehme ich mir diese Zeit auch. Ich lese alles Mögliche: mehr Zeitungen, Gedichte, ganz selten Bibeltexte, am liebsten aber historische Literatur, zurzeit gerade dieses Buch:



Was darin steht, ist für für diesen Beitrag irrelevant. Nur so viel: Es hat einige hundert Seiten – und wo ich früher bestenfalls Abend für Abend an fünf, sechs Seiten genippt hätte, tauche ich jetzt manchmal für eine oder zwei Stunden am Stück ein. Es ist ein grossartiges Gefühl, sich vom Strom einer breiten Argumentationslinie mitnehmen zu lassen. Man reist weit.

Das ist für mich ein neues Gefühl. Gut, ich hatte auch als junges Mädchen ab und zu viel Zeit zum Lesen. Aber damals feierte ich lieber, hing tage- und nächtelang mit Freunden herum. Damals quälte ich mich gelegentlich mit meiner Unfähigkeit, hingebungsvoll zu lesen. Heute bereue ich nichts mehr, denn die Zeit des Feierns ist für mich vorbei. Ich meide Ansammlungen von mehr als zwei Menschen, wenn immer ich kann. Zu viel Betrieb stresst mich und nimmt mir das Gehör. Heute bin ich froh, dass ich damals keine Party ausgelassen habe. Ich bedaure heute höchstens, dass ich mich quälte. Mit Gölä sage ich: I hätt no viu blöder ta*.

Lesen können ist eine Errungenschaft, sagt meine Freundin Zelda. „Man muss lernen, sich das Lesen zu erlauben.“ Zelda weiss, wovon sie spricht. Buchstaben entziffern konnten wir beide schon mit fünf. Zum Lesen kamen wir spät. Wir stammen aus einem nicht gerade bildungsnahen Milieu - und wir waren Mädchen. Doch dazu später mehr.

* In etwa: "Ich hätte mich noch viel wilder benommen" (ist aber schwierig zu übersetzen).

24
Aug
2013

Gescheiterte Emanzipation

Kann man einem Schriftsteller trauen, der eine Geschichte aus der Sicht einer attraktiven Blondine erzählt? Einem Autor, der seine - durchaus intelligente - Ich-Erzählerin dazu noch kläglich scheitern lässt? Oder will er damit nur alle Frauen schlecht machen?

Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass ich den neuesten Roman von Ian McEwan unter grössten Zweifeln zu lesen begann.

Er lässt darin die schöne Serena Frome von ihrer kurzen beruflichen Laufbahn beim britischen Geheimdienst erzählen. Schon im ersten Abschnitt schickt sie voraus: "Innert 18 Monaten wurde ich gefeuert. Ich hatte Schande über mich gebracht und meinen Liebhaber ruiniert."

Was folgt, ist ein spannender Spionage- und Liebesroman mit einem postmodernen Erzähltrick am Schluss. Es eine geradezu exemplarische Chronik weiblichen Scheiterns in der Berufswelt. Die ganze Lektüre scheint durchsetzt von Seufzern darüber, dass sie ihre Möglichkeiten nicht annähernd auszuschöpfen vermag. Es mag merkwürdig klingen, aber gerade dieser Seufzer wegen liebte ich das Buch. Oder jedenfalls Serena Frome. Ich sprach zu ihr, als wäre sie meine Schwester. Ich mass meine Erkenntnisse und Frustrationen von Jahren an den ihren.

Klar: Wir sprechen hier nicht von heutigen Frauen. Serenas Geschichte spielt in den Siebzigern des letzten Jahrhunderts. Aber all jenen Frauen, denen es nichts über sich selbst sagt, wird es wenigstens etwas über ihre Mütter sagen.

Serena gehört zur ersten Generation Mittelschichts-Frauen, für die eine höhere Schulbildung überhaupt im Bereich des Möglichen liegt. Aber schon der Weg dorthin ist voller Fallstricke. Es beginnt mit unrealistischen Erwartungen: Serena würde gern Literatur studieren, hat aber auch ein bisschen Talent für Mathematik. Hier tritt ihre Mutter auf den Plan. "Sie sagte, es sei meine Pflicht als Frau, in Cambridge Mathematik zu studieren", berichtet Serena auf Seite 3 und gehorcht. Allerdings legt sie dann doch nur einen unbefriedigenden Abschluss hin.

Eine Affäre mit einem Professor verschafft ihr den Job beim Geheimdienst. Dort vegetiert sie im Archiv dahin, dem Depot für Frauen mit Uni-Abschluss. Nur eine einzige kämpft sich in höhere Ränge vor - die Quotenfrau, die den anderen stets als Messlatte vorgehalten wird. Schliesslich bekommt sie doch noch eine interessante Aufgabe angeboten - aber nur, weil sie eben schön und blond ist.

McEwan lässt zwar seiner Heldin am Ende einen Weg offen, auf dem es gar keine Rolle mehr spielt, dass sie ihre Berufsehre verloren hat.

Aber der ist vollkommen traditionell.

22
Aug
2013

Mit Magie gegen Wespen

Kaum lag die frisch grillierte Wurst auf dem Teller, schwirrte eine Wespe heran. Mein Vater wedelte mit den Armen und sagte zu mir: "Wusstest Du, dass Dein Grossvater Wespen bannen konnte?"

"Wespen bannen?" sagte ich. "Was soll denn das sein?"

Da erzählte er: "Einmal mähten mein Vater, mein Bruder Jakob und ich eine Wiese am Hang. In einem Erdloch war ein Wespennest - und als wir mit den Sensen näher kamen, kamen die Viecher auf uns los. Da sagte mein Vater zu uns: 'Geht mal da vorne um die Ecke. Ich kümmere mich darum.' Wir gingen weg. Ich glaube, er sagte irgendetwas zu ihnen. Kurze Zeit holte er uns wieder, und wir mähten weiter. Da war keine einzige Wespe mehr. Erst als wir fertig waren, kamen sie wieder aus dem Loch."

Ich hätte zu gerne gewusst, wie mein Grossvater das gemacht hat. Aber keines der vier Frogg-Kinder hat ihn je danach gefragt. In letzter Zeit habe ich dennoch oft an Grossvaters Magie gedacht. Wir haben ja eine wahre Wespenplage heuer. Ich übte das Wespen bannen. Ich hatte ja selber schon gute Erfahrungen einem Trick gemacht: dem so genannten Öpferli-Trick.

Es war in Sardinien auf einer Velotour. Die reifen Feigen fielen uns in den Mund. Wenn wir dennoch Hunger hatten, setzten wir uns an den Strassenrand und packten saftigen Prosciutto aus. Die Wespen waren nie weit. Es war lästig. Aber irgendwann begriff ich: Die wollen nur fressen - in Ruhe! Also begann ich, ihnen jeweils ein Stückchen Schinken hinzulegen - das Öpferli. Und siehe da: Die Insekten machten sich darüber her und liessen uns essen.

In letzter Zeit habe ich versucht, mit den Wespen zu sprechen - natürlich telepathisch, meine Tischgenossen hätten mich sonst für gaga gehalten. Bei uns zu Hause erzielte ich - das glaube ich jedenfalls selber gerne - erste Erfolge: Ich befehligte einzelne Wespen von unserem Teller in den nahen Kompost.

Aber heute ging mir der Öpferli-Trick furchtbar nach hinten los: Ich sass mit drei Kollegen auf der Wiese beim Picknick und demonstrierte ihn mit einem Stückchen Poulet. Zunächst ging alles gut. Aber plötzlich schwirrten um jeden von uns ein halbes Dutzend Wespen. Als hätten sie sich in uns verliebt.

Ich hatte Panik!

21
Aug
2013

Überbewerteter Krimi

Diesen Krimi gibt es zwar erst auf Englisch. Aber er wird auch im deutschen Sprachraum ein todsicherer Bestseller werden. Er ist das Werk, das Harry-Potter-Autorin J. K. Rowling unter falschem Namen herausgegeben hat.

Ich musste es lesen - denn ich liebte Harry Potter! Es soll ja auch enthusiastische Kritiken gehabt haben, noch bevor die wahre Identität von Robert Galbraith aufflog. Und es hat Stärken: Es erzählt kompetent über das Leben in der Londoner Schickeria - darüber weiss die Autorin Bescheid, sie gehört ja selber dazu. Sie beweist auch ein gutes Händchen für Dialoge. Und, klar: Das Buch ist ein "pageturner", wie es im britischen Buchhändler-Slang heisst. Zu Deutsch: Man verschlingt es.

Insgesamt scheint es mir aber überbewertet.

Seine offensichtlichste Schwäche ist sein charmanter Plauderton. Er passt nicht zum Helden. Privatdetektiv Cormoran Strike ist eine arme Sau. Er hat in Afghanistan ein halbes Bein verloren - und zurzeit übernachtet er im Büro, weil ihm auch noch sein Privatleben um die Ohren geflogen ist. Ein solcher Held muss sich behaupten, seine Männlichkeit beweisen. Aber Rowling zeigt ihn nicht dabei. Wie ein Autor seinen Helden in einer solchen Lage zeigen kann, hat anno dazumal Raymond Chandler vorgemacht. Da kommt jeder Satz knapp und schnell wie aus der Pistole. Es sind Sätze für einen Selbstbehauptungs-Künstler. Unerreicht.

Mir gefällt auch nicht, wie die Autorin die Leserin durch den Fall führt: Sie breitet die Story aus wie einen Orienttepich mit einem labyrinthischen Muster. Reihenweise Dialoge mit unendlich vielen Hinweisen. In vielen Krimis - zum Beispiel bei Elizabeth George - haben Detektive Partner. Mit ihnen diskutieren sie Hinweise und führen den Leser so auf die richtige, oft auch erst mal auf ein paar falsche Fährten. Strike aber tauscht sich nicht einmal mit seiner cleveren Sekretärin Robin aus. Er lässt den Leser über den Teppich tappen, orientierungslos, viel zu lange. Und zaubert schliesslich die Lösung unter ihm hervor hervor wie ein Lehrmeister in Hogwarts.

Auch als ich das Buch zum zweitenmal las, konnte ich nicht restlos nachvollziehen, wie er das gemacht hat.

Ja, Ihr habt richtig gesehen: Ich habe das Buch zweimal gelesen - und beim zweiten Mal ein paar köstliche Aha-Erlebnisse gehabt und auch gelacht.

Aber ob das ein Zeichen von Qualität ist? Ich bin mir nicht sicher.
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