28
Jun
2013

Bei Frau Punctum

Frau Punctum steht im Ruf, eine sehr liebenswürdige Gastgeberin zu sein. Ihm wurde sie schon mehr als gerecht, bevor wir sie zum Erstenmal gesehen hatten: Sie wartete am Flughafen Dresden lange, sehr lange auf uns - weil Frau Frogg ihr in einem Anfall von Reisefieber-Demenz eine falsche Ankunftszeit angegeben hatte. Falls Frau Punctum beim Warten je ungehalten geworden war (was ich sehr gut verstanden hätte), liess sie es uns bei unserer Ankunft keine Sekunde lang spüren.

Statt dessen erzählte sie uns von den Flugzeugen, die sie beim Warten beobachtet hatte. Die meisten hätten wegen eines Hagelgewitters erhebliche Mühe beim Landen gehabt. Wir selber erlebten den Sturm noch über den Wolken und nur als leichtes Geholper. Aber seine Folgen sollten wir noch zu spüren bekommen. Dazu später.

Erst einmal fuhren wir durch tief grüne Abendlandschaften und fühlten uns von Anfang an sehr wohl.

Bei einem wunderbaren Abendessen, bei dem auch Herr Punctum zugegen war, kamen wir auf das Thema "Fisch" zu sprechen. Frau Punctum erzählte vom lebenden Karpfen, der während ihrer Kindheit jeweils an Weihnachten in der Badewanne geschwommen sei. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich in einem in vielerlei Hinsicht fremden Land zu Besuch war. Dagegen verblasst doch das Rollschinkli, das jeweils an Weihnachten im grossen Topf meiner Mutter schwimmt.

Frau Punctum erzählte, sie und ihre Geschwister seien schon sehr fasziniert gewesen von dem Karpfen. Aber dann habe jemand ihn töten müssen - und das habe ja niemand gern gemacht.

Wie ein Wasserfall

Seit zwei Tagen sind sind Herr T. und ich zurück aus der sächsischen Schweiz. Ich bin so voller Eindrücke, dass ich erzählen könnte wie ein Niagarafall.

Ihr erinnert Euch: Wir hatten vor, am Sonntag, 9. Juni, in ein Überschwemmungsgebiet zu reisen und wussten nicht, wie es um unsere Ferienwohnung im überfluteten Königstein stand. Am Samstag, 8. Juni, meldete sich unser Vermieter, Herr Kämmerer, dann doch noch. "Es ist alles in bester Ordnung! Kommen Sie her und bringen Sie nichts als gute Laune mit", sagte er zu Herrn T. Herr T. war zu nett, ihn in ein Kreuzverhör über die Lage in Königstein zu nehmen. Wir würden ja sehen.

Nun ist reisen für Menière-Patientin Frogg ja auch ohne Unvorhergesehenes immer ein Affentheater. Neun Stunden nach Dresden im Intercity, eingeklemmt wie eine Fröschin in einem Eierkarton? Oder anderthalb Stunden im Flugzeug mit all den möglichen Stressfaktoren, die so ein Flug mit sich bringen kann? Was schadet dem Gehör weniger? Ich erspare Euch die Details meiner epischen Diskussion mit Herrn T. Hier nur so viel: Am 9. Juni machten wir uns auf nach Basel Mulhouse, von wo aus wir einen EasyJet-Flug gebucht hatten - die schnellste und mit sehr viel Abstand billigste Verbindung.

Die kommenden Beiträge sind Frau Punctum, gewidmet, die uns so liebevoll empfangen hat. Und den Menschen in Sachsen, die gerade dabei waren, nach der grossen Flut von Anfang Juni ihre Existenzgrundlage wieder aufzubauen - und die dabei ihre Freundlichkeit nie verloren.

8
Jun
2013

Ins Überschwemmungsgebiet Dresden

Die Überschwemmungen in Sachsen kommen für Herrn T. und mich zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Morgen fliegen wir nach Dresden - in den Urlaub.

Bis gestern Abend hatten wir nichts von unseren Gastgebern in Königstein in der Sächsischen Schweiz gehört. Sie gingen nicht ans Telefon, beantworteten keine Mail. Die Webcam von Königstein zeigt immer dasselbe, traurige Bild.

Sehr Besorgnis erregend. Waren sämtliche Computer unserer Vermieterin überflutet? Auch die Telefone? Malochte sie rund um die Uhr an den Sandsäcken?

Und unsere Ferienwohnung? "Die ist bestimmt nicht überflutet", versicherte Herr T. "Ich habe am Hang gebucht, dass weisst Du doch!"

Gestern Abend hielt ich die Ungewissheit nicht länger aus und rief die Tourismus-Hotline Sächsische Schweiz an (03501 470147). Die Frau am Telefon sagte: "Tjaaaa, wenn Sie am Mittwoch kommen, dann ist in Königstein immer noch Wasser."

Wir werden trotzdem fliegen. Zuerst besuchen wir ja frau punctum in der Nähe von Meissen. Meissen selber ist ja zurzeit auch überschwemmt. Doch frau punctum gab schon früh per E-Mail Entwarnung. Sie und ihre Familie seien relativ glimpflich davongekommen und guter Dinge.

Auf sie freue ich mich.

Für alles weitere denken wir schon mal Plan B, C und Ceinhalb an.

4
Jun
2013

Beglückendes Fleckchen Erde

Manchmal muss man im Leben Dinge aufgeben. Dann erzählt man sich selber ja gerne, man habe dafür auch etwas gewonnen - mehr Freiheit oder mehr Tiefe. Oder man sei auf dem Weg zu sich selbst ein schönes Stück vorwärts gekommen. Deshalb erzähle ich mir gerne, dass ich glücklich bin, wenn ich auf diesem blühenden Fleckchen Erde bin:



Bitte entschuldigt die Unschärfe des Bildes - das Plätzchen liegt direkt über der Autobahn und hat immer Fahrtwind. Das ist ärgerlich. Denn ich würde gern beweisen, dass die karminroten Blüten auf dem Bild eine Rarität sind: Es sind Karthäuser-Nelken. Ausserdem blühen dort Pyrenäen-Storchenschnäbel* und Saat-Esparsetten. Unter anderem.

Und der Ort erinnert mich daran, was für einen langen Weg ich in den letzten dreieinhalb Jahren zurückgelegt habe. Denn bis 2009 war dieses Fleckchen Erde ein Kiesweg, genauer: die Route, auf der ich oft joggte. Ich donnerte über den Weg und sah nichts. Ich hätte eine Karthäuser-Nelke nicht von irgendeinem Storchenschnabel unterscheiden können oder wollen - selbst wenn das alles damals schon dagewesen wäre.

Als 2009 die grosse Autobahn-Sanierung "Cityring" begann, schütteten Bauarbeiter den Weg zu und sperrten ihn. Ich ärgerte mich und suchte andere Jogging-Strecken. Doch dann eskalierten ohnehin meine Ohrenprobleme. Ich entschleunigte mein Leben - nicht ganz freiwillig - radikal. Ich wurde von der Joggerin zur Hardcore-Spaziergängerin. Ich begann mich für Pflanzen zu interessieren. Im letzten Herbst entdeckte ich, dass aus meinem Jogging-Weg eine Ruderalfläche mit einer faszinierenden Pflanzenvielfalt geworden war.

Seither besichtige ich die Stelle einmal pro Woche.

Meistens bin ich dann bezaubert.

Aber wenn ich vor meinem Besuch mit Menschen aus meiner Vergangenheit zusammengeworfen werde, dann sehe ich manchmal nur die Autobahn und bin unzufrieden und denke: Es gibt auch Dinge, die mir an meinem neuen Leben nicht gefallen. Dann werde ich ein bisschen bitter. Ein bisschen misanthropisch.


*an meine deutschen und österreichischen Leser: Ja, ich weiss, dass das auf Hochdeutsch "Storchschnäbel" heisst. Aber ich schreibe das Wort - mit Verlaub - hier gerne so, wie uns hierzulande der Schnabel gewachsen ist.

1
Jun
2013

Aus der Unwetterzone

Mein Freund English versteht sich aufs Wetter, weil er einen Wettersatelliten-Radar gebaut hat. Zum Thema Regen hat er einen Lieblingssatz: "Zu jedem möglichen Zeitpunkt regnet es auf genau einem Prozent der Erdoberfläche." Den wiederholt er gerne, weil er mich damit zum Lachen bringt. Ich wohne in Luzern und damit auf jenem einen Prozent Erdoberfläche - sehr häufig.

Heute habe ich auch darüber gelacht - es war ein sarkastisches Lachen. Denn bei uns regnet es zurzeit so ausdauernd, dass auf allen anderen 99 Prozent der Erdoberfläche eine brutale Trockenzeit ausgebrochen sein muss. Wenn es jetzt noch warm wird und in den Bergen die gewaltigen Schneemassen des vergangenen Winters schmelzen, droht Hochwasser.

Über Nacht soll es deutlich wärmer werden.

Klar, dass es Frau Frogg zu einem Pegelstand-Spaziergang drängte: vom Luzernerhof dem Seeufer entlang bis zum Schwanenplatz, dann der Reuss entlang via Kreuzstutz und Xylophonweg bis zum Seetalplatz. Dort trifft die Reuss auf die Kleine Emme. Wobei die Kleine Emme bei Dauerregen überhaupt nicht mehr klein ist, sondern aggressiv anschwillt und von mitgerissenem Erdreich hellbraun wird. Die Reuss dagegen kommt aus dem See und ist blau oder grün. So kann man man vom Seetalplatz aus den braunen und den grünen Fluss noch kilometerlang nebeneinander im gleichen Bett fliessen sehen. Es dauert jeweils lange, bis sich die beiden Gewässer anfreunden.

Freudig überracht stellte ich fest, dass Veronika ebenfalls einen Pegelstand-Spaziergang vorhatte - Katastrophentourismus nannte sie es. Wir nahmen auch Tim (8) und seine grosse Schwester Anna mit.

Allerdings mussten wir unsere kühnen Pläne schon kurz nach dem Kreuzstutz, auch Teufelskreisel genannt, aufgeben: Der Xylophonweg reussabwärts war mit einem rotweissen Band gesperrt wie der Schauplatz eines Verbrechens. Die Reuss kam dort unten bereits über die Ufer. Wir fuhren mit dem Bus bis zum Seetalplatz und warfen einen kurzen Blick auf die überkochende Emme. Die Spazierwege dort sind auch schon gesperrt. Plötzlich konnte ich mir vorstellen, dass dieser Fluss 2005 eine dicht besiedelte, verkehrsreiche Region in ein Schlammloch verwandelt und einen Bekannten von mir in seinem Keller beinahe in den Tod gerissen hat.

Das kann böse werden.

Bilder gibts hier

26
Mai
2013

Epochale Erkältung

Gestern Morgen beim Aufwachen sagte ich halblaut "Hallo!?" zu mir selber. Ich tue das öfter, wegen meiner schwankenden Hörfähigkeit. Ich weiss gerne schon beim Aufstehen, ob ich mich selber noch sprechen höre. Dann kann ich mich besser auf die Herausforderungen des Tages vorbereiten.

Gestern Morgen hörte ich mich nicht. Ich war aber nicht sicher, ob es nur an meiner Gehörschwäche lag. Vielleicht lag es auch an meiner Stimme. Ich habe eine epochale Erkältung - vielleicht war ich einfach heiser.

"Eine Erkältung, das ist doch etwas Banales!" lästert ihr jetzt. Das hätte ich früher auch gesagt. Früher waren Erkältungen mir egal. Ich tat auch nichts gegen jenen epischen Husten, der mich in meinen Zwanzigern manchmal wochenlang begleitete. "Wenn man nichts gegen eine Erkältung tut, dauert sie 14 Tage. Wenn man etwas gegen sie tut, dauert sie zwei Wochen", pflegte meine Mutter zu sagen. Daran glaubte ich, auch wenn sie zwei Monate dauerte.

Das alles änderte sich, als meine Menière-Erkrankung eine ernste Sache wurde. Ich merkte, dass Erkältungen mir auf die Ohren schlagen. Manchmal nur für ein paar Tage. Manchmal für sehr, sehr lange. Ich begann, Erkältungen zu fürchten.

Je instabiler mein Gehör wurde, desto besser wurde meine meine Erkältungs-Prävention.

Ich griff zu Echinaforce und Vitamin C mit Zink - und ich mache täglich Spaziergänge. Ich war diszipliniert. Man könnte fast sagen: Die Erkältungs-Prävention strukturierte meinen Alltag. Und glaubt mir: Es half. Seit dem Frühjahr 2010 hatte ich keinen nennenswerten Schnupfen mehr gehabt.

Doch vor zwei Monaten wurde ich leichtsinnig. Es ging mir gut, ich wollte nicht ständig an Medikamente denken. Ich vergass das Vitamin C und das Echinaforce. Und am letzten Mittwoch überfiel mich eine Erkältung blitzschnell aus dem Hinterhalt. Es begann mit Schluckbeschwerden, wie üblich. Wobei das Wort "Schluckbeschwerden" die Sachlage nicht sehr genau bezeichnet. Es war vielmehr so: Jedesmal, wenn ich schluckte, jaulte zwischen Stirn und Schulterblättern jede Faser meines Körpers vor Schmerz.

Dann kam ein sintflutartiger Schnupfen. Und vorgestern Abend musste ich beim Einschlafen daran denken, dass die Ureinwohner Amerikas scharenweise an Erkältungen starben - einfach, weil sie keine Immunkräfte gegen die fremden Viren hatten.

Heute bin ich noch am Leben - und meinem Gehör gehts so gut, dass ich immerhin weiss: Ich bin sehr, sehr heiser.
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Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
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liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
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