24
Mrz
2013

Der neue Kochherd

Der Erfinder des Glaskeramikherds muss ein Sadist gewesen sein. Er wollte Zwietracht zwischen Liebenden säen. Er wollte Hardcore-Hausfrauen ins Burn-out treiben. Er wollte die Errungenschaften der Emanzipation rückgängig machen.


(Quelle: archiexpo.de)

Ich ahnte es schon, als ich 1997 das Reinigungsgerät für meinen ersten Glaskeramikherd in die Hände gedrückt bekam: eine Klinge so scharf, dass sie töten könnte! Ein gewöhnlicher Schrubber dagegen: streng verboten! Ich mühte mich redlich ab mit der Klinge. Vier Jahre lang, schlecht und recht.



2001 zog ich aus meiner ersten Wohnung mit Glaskeramikherd aus. Bei der Wohnungsabgabe strich die Vermieterin mit dem Finger über die für meine Augen spiegelglatte Oberfläche.* Sie hob missbilligend eine Augenbraue und machte ein Kreuzchen auf der Mängelliste. „Da ist eingebrannter Schmutz“, sagte sie. Diesen Blick spüre ich bis heute. Er ist die tiefste Demütigung, die einer Schweizerin passieren kann. Er bedeutet: „Sie sind nicht in der Lage, ihren Haushalt fleckenlos zu halten." Oder auch: „Sie sind eine Schlampe.“

Auch in Frogg Hall hatten wir einen Glaskeramikherd. Ich putzte den Herd, Herr T, kochte. Er erwies sich als zum Herdputzen ungeeignet. Als Mann kennt er die Demütigungen eines Schweizerinnen-Lebens nicht.

Alle sechs Jahre löste sich der Metallrand des Herdes. Vor Weihnachten rief ich zwischen zwei Hörstürzen den Herdmonteur an. Er sollte den Rand wieder befestigen. Er stand vor dem Herd und sagte: „Es bringt nichts mehr, den zu reparieren. Sie brauchen einen Neuen. Ich werde es der Verwaltung schreiben.“ Frau Frogg rang die Hände. Sie wollte keinen neuen Herd. Wenn man mit einer Mietwohnung einen 25jährigen Herd abgeben muss, darf er ein paar Reste drauf haben. Bei einem zehnjährigen Herd geht das nicht. Mietrecht.

Ich wollte der Verwalterin einen Brief schreiben. Ich hätte geschrieben: „Schonen Sie mich! Ich bin berufstätig und chronisch krank. Ich kann nicht auch noch einen neuen Glaskeramikherd pflegen.“ Aber dann brachte ich die Zivilcourage dafür doch nicht auf. Im Januar bekamen wir den neuen Herd. Herr T. versaute ihn am ersten Morgen mit seiner Kaffeemaschine.



Er verstand meine Aufregung nicht. "Das ist halt jetzt einfach der Anfang des Schmutzes", sagte er.

Ich muss gestehen: Da machte ich richtig Terror. Ich verfasste ein kurzes Regelwerk für die Benutzung des neuen Herds. In den ersten Tagen polierte ich täglich etwa eine halbe Stunde an dem Ding herum. "Das ist ganz normal", smste meine Mutter. "In den ersten Wochen mit meinem neuen Herd wurde ich fast wahnsinnig."

Heute brauche ich ein- bis zweimal pro Woche eine halbe Stunde. Herr T. hält sich ganz wunderbar an die Regeln. Aber manchmal ahne ich, dass seine Freude am Kochen ein wenig nachgelassen hat.

* Eine Anmerkung für deutsche und vielleicht österreichische LeserInnen: In der Schweiz gehören Kochherd und Kühlschrank zur festen Einrichtung einer Mietwohnung und gehören dem Vermieter.

20
Mrz
2013

Hinreissende Bilder aus Arabien

Zum Luzerner Frühling gehört das Comix-Festival Fumetto. Dann füllen jeweils Comic-Zeicher aus der halben Welt die Säle und Sälchen der Stadt mit knalligen Bildern, Skurrilitäten, Schalk, Horror und poetischen Geschichten. Jedes Jahr ein Highlight.

Frau Froggs diesjähriger Liebling ist dieser hinreissende Geselle aus der Ausstellung Al-Comix Al Arabi im ehrwürdigen Am-Rhyn-Haus.



Es ist der Samandal, das Emblem des gleichnamigen Comic-Magazins aus Beirut. Und so stellt er sich selber vor:



Zu Deutsch in etwa: "Ähnlich wie in den zwei Lebensräumen von Amphibien gedeiht der Samandal in den Welten des Worts und des Bildes, des Snobistischen und des Tadelnden, des Traditionellen und des Experimentellen..." und so weiter. Keine Sorge: Die meisten Texte sind vor Ort auf Deutsch übersetzt.

Ok, nun reduziere ich eine riesige Ausstellung aufs Schnuckelige und aufs Geistreiche. Dabei ist das grosse Thema der arabische Frühling - und wie die Menschen im Maghreb und im Maschrek (neues Wort, dort gelernt) ihn erleben.

Sie ist informativ und umfassend bis zur Überforderung. Aber sie ist auch tief bewegend, todtraurig, beängstigend und sehr, sehr lustig. Und sie konfrontiert den Gast mit simplen, aber fundamentalen kulturellen Unterschieden: etwa damit, dass arabische Comics meist von rechts nach links gelesen werden.

Gut gewählt ist das Am-Rhyn-Haus als Ausstellungsort. Es war einst Wohnstätte einer adligen Familie und setzt mit Wandgemälden aus den Jahren 1616 bis 1618 ein paar pikante kulturelle Kontrapunkte.


(Quelle: www.stadtluzern.ch)

So reitet über der ersten Säule beim Eingang ein osmanischer Krieger aus der Hand eines Luzerner Malers unter der Halbmond-Flagge dem Besucher entgegen. Leider ist er auf dem Foto oben ebenso wenig sichtbar wie der Luzerner Renaissance-Mann in der Saalmitte. Er trägt Halskrause und einen Tennisschläger und markiert den Platzhirsch. Er bekommt es nicht nur mit dem Samandal zu tun. Sondern dazu noch mit einer gfürchigen Kobra aus Messing made in Beirut.

17
Mrz
2013

Die Liebe zu den Grossvätern

Am 10. Mai 1945 war der Krieg auch für Fred Feuerstein vorbei. Seine Truppe in der Festung Lorient kapitulierte. Aus mündlicher Überlieferung wissen wir, dass er vorübergehend in Kriegsgefangenschaft geriet.

Sonst wissen wir nichts. Erst im Jahr 1953 schreibt er wieder an Erna, weil er geschäftlich unterwegs ist. Er ist dabei, einen Absatzmarkt für Velveta-Käse in Mannheim aufzubauen:



Er findet Mannheim russig, die Mannheimer proletarisch und seinen Job ungeheuer hektisch. Er schreibt fast nur noch über finanzielle Engpässe. Dabei geht es insgesamt aufwärts mit Feuersteins. Sie haben ein neues Haus, und Fred fährt jetzt auch Auto. Für alte Geschichten hat er keine Zeit mehr. Nur an einer Stelle outet er sich als einer jener Kleinbürger, die bei Ausbruch leichter öffentlicher Unordnung noch bis ans Ende ihres Lebens gerne lästern: "Im Dritten Reich hätte es das nicht gegeben!"

Es steht also fest: Fred Feuerstein mutierte in der Wehrmacht nicht zum heimlichen Regimekritiker als den ihn die Familien-Überlieferung gerne sieht.

Soll man ihn deswegen weniger gut mögen? Ich weiss es nicht. Es gibt Dinge, die mir an diesen Briefen Eindruck gemacht haben: Wie er hier seine Frau angesichts der Bedrohung vom Atlantik her um Verzeihung dafür bittet, dass er sie in dieses Schlamassel gebracht hat. Sehr berührend.

Und überhaupt können wir ja gar nicht aufhören, unsere Grossväter zu lieben. Vielleicht reicht es, wenn wir sehen, dass sie auch Fehler gemacht haben. Und daraus zu folgern, dass wir auch Fehler machen können.

Mich hat Fred gelehrt, genauer hinzuschauen. Wieder öfter Wort zu erheben, wenn ich sehe, dass meine Umgebung aus Betriebsblindheit oder offener Feindseligkeit andere gering schätzt. Aber ich bin nicht sicher, ob das reicht.

13
Mrz
2013

Prominenter Behinderter

Kaspar Hauser ist der prominenteste Behinderte der europäischen Geistesgeschichte. 1828 taucht er in Nürnberg auf. Niemand kennt den Jugendlichen, der sich kaum bewegen und kaum sprechen kann. Heute gilt als sicher: Er ist so geworden, weil man ihn als Kind schwer vernachlässigt hat. Die Psychologie benennt denn auch eine schwere Form des Hospitalismus nach ihm. Doch nicht deshalb hat er Generationen fasziniert. Sondern, weil seine Herkunft und sein Tod immer rätselhaft geblieben sind. Und vor allem: Weil Dokumente zeigen, dass er nach einiger Förderung beträchtliche Unangepasstheit im Denken und grosses lyrisches Talent entwickelte. Seine Geschichte wirft Fragen auf: Was macht einen Menschen aus? Was bedeutet Zivilsation? Welche Rolle sollen Menschen haben, die nicht hineinpassen?

Das Schauspielhaus Zürich führt zurzeit seine Geschichte auf. Hauser ist darin für seine Umwelt in mehreren Hinsichten eine Nummer zu gross. Damit man das auch sieht, bedient das Theater sich eines genialen Regie-Einfalls: Die Finder und Weggefährten von Kaspar werden von Kindern gespielt - die wiederum von schwarz verhüllten Gestalten wie Puppen geführt werden. Das sieht so aus.


(Unter dem Tisch Jirka Zetts als Kaspar Hauser).

Klingt kompliziert und sieht auf dem Bild auch so aus. Auf der Bühne aber wirkt es absolut stimmig. Man kann stundenlang zusehen.

Die Geschichte spielt sich dazu noch in einer Biedermeier-Stube ab, die von der Grösse her zu den Kindern passt. Kaspar muss lernen, sich zu verbiegen. Sonst kommt er gar nicht erst zur Tür herein. Nie habe ich die Beschränktheit eines durchaus intellektuellen Milieus vielschichtiger vorgespielt bekommen. Denn man sollte die Macht dieser Figürchen nicht unterschätzen. Hinter jedem steht ja eine dunkle Gestalt, die ihn führt. Der Schatten der Zivilisation? Das Über-Ich? Wer weiss.

In dieser Welt wird Kaspar zum Versuchskaninchen und zum Spektakel. Man verhätschelt ihn, dressiert ihn und erschrickt über die Wucht seiner Aussagen. Er lernt viel - auch, sich zu ängstigen. Und ganz nebenbei spielt sich an ihm ein Wohlfahrtsdrama ab. Erst macht Hauser Schlagzeilen, und der Bürgermeister spricht ihm begeistert eine Rente. Als das Interesse an Hauser nachlässt, will er sie wieder streichen. Hauser soll nun plötzlich für seinen Lebensunterhalt aufkommen - obwohl ihn darauf niemand vorbereitet hat. Keine Verlässlichkeit in der Sozialpolitik, schon damals nicht.

Klar, dass Kaspar an all dem zerbricht. Wie das passiert, zeigt das Stück zu wenig folgerichtig - eine Schwäche der episodenhaften Inszenierung. Dennoch: Wer über die Rolle von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft einmal jenseits vom finanzpolitischen Dauergetöse nachdenken möchte, sollte sie sich unbedingt ansehen.

10
Mrz
2013

Abseits von Disneyland-Luzern

Endlich kam ich heute Nachmittag an diesem geheimnisvollen Plätzchen in Littau an.



Es ist der Anfang des alten Stahlwerk-Kanals zwischen der Emmenweid und Littau. Im Frühjahr spriessen hier neben den Wasserläufen der Bärlauch und die die Veilchen. Ich liebe diesen Ort.

Aber ich musste erfahren: Er und der linksseitige Emmenuferweg nach Littau sind bis Mitte Juni 2013 gesperrt. Und man liest es leider erst, wenn man den ganzen Weg hierher schon zurückgelegt hat. Wenn man nach einem Zvieri* und dem nächsten öffentlichen Verkehrsmittel lechzt - und nun einen ziemlichen Umweg machen muss, um zur nächsten Busstation zu finden.

Wenigstens hatte sich der Spaziergang bis dort gelohnt. Wer beim Kantonsspital Luzern beginnt, durchquert eine Gegend abseits vom Disneyland-Luzern. Ständig stösst man auf Orte, auf denen die Hoffnungen unserer Wachstumsstrategen ruhen.



Hier - wenige Schritte vom Spital - musste ein Erlenwäldchen einem neuen Autobahnzubringer weichen. Zurzeit ist auch er noch gesperrt. Aber eines Tages soll er das eine Ende einer mächtigen Umfahrungsstrasse namens Spange Nord werden (mehr dazu beim kulturflaneur). Das andere Ende wird unweit von unserem Haus entfernt liegen. Wenn sich die Träume unserer liberalen Autofanatiker erfüllen, gehen die Bauarbeiten auf unserer Seite 2015 los. Von mir aus darf es ruhig später sein.

Grosse Pläne gibt es auch für den Seetalplatz, den nächsten Fotohalt auf unserer Route. 2030 soll es dort so aussehen:


(Quelle: www.emmen.ch)

Zurzeit sieht es so aus:



Hinter dem Seetalplatz beginnt dann ein Weg, über die Emmenweid, den man jedem Luzerner Kind zeigen sollte. Mein Gottenbub (ab morgen acht) hat ihn jedenfalls schon vor zwei Jahren gesehen - mitsamt Kläranlage.

Hier wird seit Jahrhunderten Industriegeschichte geschrieben. Es ist nicht das Ruhrgebiet und auch nicht Liverpool. Aber es ist gewiss die spannendste Gegend in unserer Agglomeration.


Hier riecht es gfürchig nach Chemie.


Hier steht die stehen die Überreste einer legendären Textilfabrik.


Hier wird bis zum heutigen Tag Stahl gegossen...


... und verarbeitet.

Wer all das gesehen hat, kommt schliesslich zum Anfang des alten Kanals. Hier biegt man wegen der Sperrung am besten rechts ab und steigt Richtung Wolfisberg. Hier wird es plötzlich grün. Weiter oben gibt es dann Agglo-Häuschen und zwei, drei Bauernhöfe.

Am Strassenrand beim Bauernhof bekam ich sogar mein Zvieri: Vier Kinder verkauften am Strässchen Apfelsaft. Er war zwar von der Migros und nicht vom Bauernhof. Geschmeckt hat er trotzdem. Und beim Neuhof erwischte ich den Bus Nummer 41.

* Zwischenmalzeit nachmittags um vier Uhr
logo

Journal einer Kussbereiten

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Impressum

LeserInnen seit dem 28. Mai 2007

Technorati-Claim

Archiv

März 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Aktuelle Beiträge

Kommentar
Liebe Frau frogg, schauen Sie bitte bei WordPress...
Freni - 28. Nov, 20:21
Ein schreckliches Tal
Soglio im Bergell, Oktober 2013. Was habe ich Freunde...
diefrogg - 6. Okt, 20:27
Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04

Status

Online seit 7477 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 17. Sep, 17:51

Credits


10 Songs
an der tagblattstrasse
auf reisen
bei freunden
das bin ich
hören
im meniere-land
in den kinos
in den kneipen
in den laeden
in frogg hall
kaputter sozialstaat
kulinarische reisen
luzern, luzern
mein kleiner
offene Briefe
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren