16
Jan
2013

Achtung Trickbetrug!

Es war heute um 10.15 Uhr. Ich war auf einem wenig begangenen Strässchen* in Luzern unterwegs. Ein Mann kam mir entgegen. Genau vor mir bückte er sich - da lag ein Ring im frisch gefallenen Schnee. Er hob ihn auf. Ich dachte: "Hübsch! Hoffentlich bringt er ihn aufs Fundbüro!" Ich hielt gar nicht an.

Der Mann rief mir nach: "Goldring gefunden! Sehen Sie!" Er eilte mir nach und hielt mir aufgeregt den Klunker unter die Nase. Er hatte eine kleine Alkoholfahne und sprach gebrochen Deutsch. "Ist Gold, sehen Sie! Stempel!" Er zeigte mir die zwei kleinen Gravuren auf der Innenseite des Schmuckstücks.


(Quelle: www.ksta.de)

Erst jetzt leuchtete irgendwo in meinem Hirn ein Alarmlämpchen auf. Da war doch etwas mit Trickbetrügern und gefälschten Goldringen und Stempeln... "Vous parlez français?" fragte der Mann. Ich sagte: "Un peu." Ich höre heute gut. Ich traute mir Französisch zu. Gleichzeitig arbeitete mein Hirn fieberhaft, aber langsam wie ein überlasteter Arbeitsspeicher.

Ich solle den Ring nehmen, sagte er. Er könne ihn nicht tragen - er zeigte mir seine Finger, die zu dick für den Ring waren. "Non, non, gardez-le!" sagte ich. Ich wollte nichts mit der Sache zu tun haben. Aber er war unnachgiebig. "La police..." sagte er und zeigte mit Gesten, dass er öfter gefilzt werde. Da nahm ich den Ring, bedankte mich und ging weiter. Immer noch drehte es in meinem Kopf leer.

Wieder eilte der Mann mir nach. Ob ich ihm nicht etwas Geld geben könne, er habe Hunger, sagte er. Inzwischen hatte mein Hirn das richtige File zu diesem Vorfall heruntergeladen. Jetzt musste ich es nur noch öffnen. Ich kramte in meinem Portmonee und gab dem Mann einen Fünfliber**.

Das sei nicht genug, bedeutete er mir. Er wolle mehr, schliesslich... Er wollte gerade ziemlich laut werden, als mein Erinnerungsvermögen endlich glasklare Daten lieferte: Natürlich! Genau eine solche Story hatte ich kürzlich in der Lokalzeitung gelesen. Die Goldringe seien gefälscht - man erkenne es am Doppelstempel. Mehrere ältere Leute seien auf den Trick hereingefallen und hätten den Klunker beim Goldschmied gegen Bares eintauschen wollen.

"ça suffit, Monsieur!" sagte ich bestimmt, legte den Ring wieder in den Schnee und ging weiter.

Seid gewarnt, Leser! Ähnliche Geschichten sollen sich auch anderswo zugetragen haben, etwa in Köln, Paris, Bochum und Mönchengladbach.


* Für Ortskundige: an der Ahornstrasse im Neustadtquartier
** Ein Fünffrankenstück

12
Jan
2013

Altenheim und Totenschädel

Der Anblick eines Altersheims hat eine extrem klärende Wirkung auf meinen Geist. Die Nähe einer solchen Einrichtung wirkt auf mich wie auf unsere Vorfahren der Anblick eines Totenschädels: als ein memento mori. Eine Erinnerung daran, dass ich sterben werde.

Totenschädel wirken auf uns Heutige ja nur noch pittoresk. Sehen wir so einen Knochenhaupt, denken wir an den Totenkult in Mexiko und bekommen Lust auf eine herbstliche Reise in den fernen Süden.


(Quelle: www.mexiko4u.at)

Über wichtige Fragen im Leben sollte man deshalb nicht angesichts eines Totenschädels entscheiden. Sondern in der Nähe eines Altersheims (ja, ich weiss - es heisst korrekt hochdeutsch "Altenheim" - aber lasst mich hier schreiben, wie es mir das Leben in die Nervenenden meiner Finger graviert hat: Auf Schweizerdeutsch heisst es Altersheim, oder marketingdeutsch: Betagtenzentrum).

Bei einem Gang am Betagtenzentrum in unserem Quartier vorbei habe ich mich vor sieben Jahren gegen das Kinderkriegen entschieden. "Du wirst einmal an Weihnachten hier drin sitzen und ganz allein sein", sagte eine innere Stimme zu mir. Ich antworte: "Ja, ich weiss. Das ist traurig. Aber leben muss ich jetzt." Ich staunte, wie gelassen ich dabei blieb.

Und dieser Tage schritt ich mit lautem Gedröhn in den Ohren durch vorabendliches Verkehrschaos im Westen unserer Stadt. Ich war grauenhaft schwerhörig. Es dunkelte schon. Plötzlich sah ich aus dem Augenwinkel am Himmel über mir ein paar Vögel vorbeiziehen. "Störche?" dachte ich. Ich hob den Kopf gen Himmel. Es waren wohl nur Krähen, aber ich sah die Weite über mir und plötzlich klärten sich wenigstens meine Gedanken. "Es könnte Dir noch schlechter gehen", dachte ich. Sekunden später sah ich zu meiner Rechten den Turm des örtlichen Betagtenzentrums Eichhof.


(das Hochhaus links im Hintergrund)

Da schoss es mir durch den Kopf: "Eines Tages wird es Dir schlechter gehen."

Seither keimt in mir so etwas wie Optimismus. Eine Art Neugier auf die Taubheit.

6
Jan
2013

Im Märchenwald

Der Surseer Wald ist ein stiller, ein tiefer Wald. Ein märchenhafter Wald. Hier irgendwo könnte der Prinz sich in sein Schneewittchen verliebt haben.


(Quelle: http://einestages.spiegel.de)

Hier irgendwo könnten Hänsel und Gretel sich verirrt und ein Hexenhäuschen gefunden haben. Auf meinem Weg nach Norden durchstreifte ich den Surseer Wald an einem Novembertag. Ich war mutterseelenallein, nur ein Radsportler mit einem teuflischen, rotschwarzen Trikot pfiff mir mehrmals um die Ohren.

Ich verliess den Wald am nordwestlichen Ende und blickte über eine riesige Ebene - das Surental. Es scheint immer noch in jenem Dornröschenschlaf zu liegen, aus dem das nahe Städtchen Sursee eben erwacht: Die Strassen sind hier einspurig, die Häuser spärlich und allesamt uralt.

Ich stand und staunte und holte tief Luft. In so weitem Land lässt es sich gut atmen.

Dann stieg ich den nordwestwärts Hang Richtung Knutwil hinauf. Erst hier sah ich, dass auch in dieser Gegend das 21. Jahrhundert nie weit weg ist. Bei Knutwil spielt es sich gut versteckt hinter der Krete des Hügels ab: Dort keuchen die 40-Tönner auf der A2 die Knutwiler Höhe hinauf. Die Stelle ist berüchtigt - weil es hier öfter und matschiger schneit als anderswo. Und weil die Laster hier warten müssen, wenn am Gotthard zu viel Verkehr ist.

Aber welch märchenhafte Aussicht von diesem Hang auf die Alpenkette!



Knutwil selber - ein kleines Dorf - erreichte ich zur Mittagszeit. Es war ebenfalls menschenleer und könnte einer Illustration in einem Grimm'schen Märchenbuch nachempfunden sein.



Bei so viel Märchenhaftigkeit muss man von Glück reden, dass in dieser Gegend immer wieder solche Schilder zu sehen sind:



Sie zeigen im Luzernischen die Geburt eines Kindes an - oft sind es Gotten oder Götti, die der jungen Familie ein solches Standbildchen mit Namen und Geburtsdatum des Kindes vors Haus stellen. Die vielen Tafeln zeigen: Der Luzerner Landschaft werden die kleinen Märchen-Konsumenten nicht so schnell ausgehen.

5
Jan
2013

Schiesswütiger Invalider

Im hübschen Schweizer Bergdorf Daillon lief diese Woche ein 33-Jähriger Amok.



Nach der Tat in Daillon (Quelle: www.blick.ch)

Der Mann erschoss mit einem Karabiner drei Frauen und verletzte zwei Männer. Die Schweizer Presse machte grosses Aufhebens darum, dass das Mann bei der Invalidenversicherung (IV) eine Rente bezog. Die Boulevard-Zeitung Blick etwa liess gestern die "Stiefmutter" des Täters, Gisèle Zermatten, auf der Front zu Wort kommen: "Die Behörden sind schuld", sagt sie in fetten Lettern. Und weiter: "Florian B. (33) ist IV-Rentner und trinkt zu viel. 'Er bekam Geld fürs Nichtstun. Dabei hätte er problemlos arbeiten können'."

Als Person mit einer chronischen Krankheit damit potenzielle IV-Rentnerin finde ich diese Schlagzeile ungeheuer diskriminierend. Sie behauptet nicht nur, dass die Sozialversicherung Schuld am Amoklauf sei. Sie legt auch bedenklich nahe, dass es sich bei IV-Rentnern im Allgemeinen um faules, kriminelles Pack handle, das nicht mit Versicherungsgeldern durchgefüttert gehöre. Solche Schlagzeilen gestern sind ein Symptom für die hässliche Demontage, die unser reiches Land zurzeit mit einer an sich stolzen sozialen Errungenschaft betreibt.

Nun gut. Frau Zermattens Aussagen sollte man mit Vorsicht geniessen. Als "Stiefmutter" von Florian B. hat sie Interesse daran, Schuldige für den Amoklauf woanders als im nächsten Umfeld des Täters zu finden. Aber vielleicht sollte den Frau Zermattens dieses Landes trotzdem mal jemand erklären: Für die allermeisten Leute ist es ungeheuer demütigend, auf dem Arbeitsmarkt nicht (mehr) zu bestehen. Wenn das Gefühl, nichts nütze zu sein, auch mal in mörderische Wut umschlägt, ist das verwerflich und tragisch. Aber es ist gewiss nicht die Schuld der IV. Und es sagt nichts über andere IV-Rentner aus.

Ob Herr B. seine Rente zu Recht bezog, können wir als Aussenstehende schlicht nicht beurteilen. Es gibt ernste Behinderungen, die Stammtisch-Experten nicht sehen.

Edit 6. Januar: Die Sonntagszeitung lässt heute Bekannte des Täters zu Wort kommen. Ihre Aussagen belegen, dass der Täter seine Rente sehr zu recht bezog, etwa dies: B. habe Halluzinationen gehabt. Und, so ein Freund: "Seine Verwandten wollten, dass er sich zusammenreisst, obwohl bei ihm eine Schizophrenie diagnostiziert worden ist." Offenbar hat die IV sogar versucht, ihn wieder ins Arbeitsleben einzugleidern. Ein Versuch, der für B. in der psychiatrischen Klinik endete. Tatsächlich sind die Eingliederungsversuche der IV - vorsichtig ausgedrückt - nicht über jeden Zweifel erhaben. Sozialhilfe-Experte Walter Schmid fordert in der gleichen Ausgabe: "Wenn jemand aus psychischen Gründen eine IV-Rente bekommt, muss klar festgelegt werden, wer sich um die Person kümmert. Wir müssen verhindern, dass diese Menschen in totaler Isolation vereinsamen. Das kann ein Nährboden für solche Taten sein."

Bedenkenswert.

1
Jan
2013

Das geköpfte Huhn

Endlich! Die Biografie meines Vaters ist fertig. Sie ist nicht so umfangreich geworden, wie ich gehofft hatte - aber immerhin: 36 Seiten, und Books on Demand lieferte das Werk gerade noch rechtzeitig, so dass wir es meiner Familie unter den Christbaum legen konnten.

Natürlich, das Bändchen wird nie einen Literaturpreis gewinnen. Frau Frogg, die unbarmherzigste Kritikerin von Frau Frogg, war sogar höchst ungnädig: "Das Zielpublikum ist unklar definiert. Entsprechend stillos ist die Sprache, und entsprechend ungenau sind gewisse Dinge herausgearbeitet. Die Kinder werden es nicht verstehen", sagte sie. "Ja, klar, ich habe das Buch ja auch für meinen Vater geschrieben, für wen denn sonst?!" maulte ich. Aber ich hatte beim Schreiben auch ein bisschen auf seine Enkelinnen geschielt - ohne wirklich für Kinder zu schreiben. Kurz - ich hatte meinen eigenen Ansprüchen nicht genügt.

Aber dann besuchte ich dieser Tage meines Vaters jüngere Enkelin Carina (7), mein Gottenkind. Stolz hielt sie mir das Buch entgegen. "Ich habe es an einem Abend gelesen!", sagte sie. "Die Geschichte, wo der Opapi dem Huhn den Kopf abhaut, die fand ich am lustigsten."

Da breitete sich Freudestrahlen auf dem Gesicht von Frau Frogg aus, auch wenn gerade die Geschichte vom geköpften Huhn für heutige Kinder vielleicht nicht optimal geeignet ist, die soll man ja nicht zu sehr mit Blut und Gewalt drangsalieren. Aber hier ist sie: Mein Vater arbeitete als als Jugendlicher als Knecht auf einem Bauernhof in der Westschweiz. Eines Tages befahl ihm Madame, ein Huhn zu schlachten. Vater Frogg, selber Bauernsohn, hackte dem Federvieh souverän den Kopf ab. Doch der Vogel hatte heftige Nervenzuckungen, riss sich los und rannte ohne Kopf auf die Bäuerin zu. Das Schicksal wollte es, dass Madame gerade an jenem Tag eine frische, weisse Schürze trug - die war nach dem Zusammenstoss mit dem kopflosen Huhn von oben bis unten voller Blut.

Fazit: Man sollte die Auffassungsgabe seiner Nichten nicht unterschätzen. Und: Vielleicht kann man der Nachwelt nicht auf Anhieb die wichtigsten Dinge vermitteln. Aber es bleibt doch immer etwas hängen.
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