30
Dez
2012

Neujahrswünsche

Bevor ich Euch allen ein glückliches Neues Jahr wünsche, erlaube ich mir einen kleinen, persönlichen Jahresrückblick - wer Negatives nicht aushält, geht am besten gleich zum zweitletzten Abschnitt.

Darf man in einem Blog schreiben, dass man ein annus horribilis* hinter sich hat? Ein schreckliches Jahr? Ein beschissenes Jahr? Sollte man es? Fordert man die Leser damit nicht geradezu heraus zu Kommentaren, die man dann doch lieber nicht lesen möchte?

Gut, die Queen hat einmal gesagt, sie hätte ein annus horribilis hinter sich. Das war 1992, als ihr die Ehe-Trümmer ihrer Kinder um die Ohren flogen.


(ein Bild von ihrer Rede zum 40-jährigen Thronjubiläum, in dem sie den Begriff verwendete. Quelle: http://darkbluejacket.blogspot.ch/)

Aber die Queen ist ein Staatsoberhaupt. Sagt sie so etwas, ist das halb Schuldbekenntnis, halb Trostrede für die ganze Nation.

Ich bin ja nur eine Bloggerin. Und eine Bloggerin sollte sich stets als über der Sache stehend und mit dem Leben versöhnt darstellen. Aber ich schreibe es jetzt trotzdem: Ja, ich habe ein annus horribilis hinter mir.

- Im Januar verschlechterte sich der Zustand meines Gehörs, und es erholte sich das ganze Jahr über nur noch für kurze Phasen. Musik konnte ich noch an etwa 14 Tagen hören, meist im Sommer, zum letzten Mal am 19. Oktober, für zwei Stunden. Fernsehen mit Untertiteln ist ganz normal geworden, Telefonieren oft schwierig, manchmal unmöglich. In der zweiten Jahreshälfte wartete ich oft zwei oder drei Wochen auf einen einzelnen Morgen, an dem ich ein paar wichtige Telefonate erledigen konnte. Wo möglich, habe ich auf E-Mail und SMS umgestellt.

- Schon Anfang Jahr bekam ich die wirtschaftlichen Folgen meiner Erkrankung zu spüren: massive existenzielle Verunsicherung - mit spürbaren Folgen für mein Gehör, ein Teufelskreis.

- Mitte Juni fuhren wir dennoch in die Ferien ins Tessin. Ich wäre lieber nicht gefahren - wegen des Geldes und wegen meiner Ohren. Ich tat es für den Kulturflaneur. Geplant waren drei Wochen. Nach zwei Wochen durfte ich dann tatsächlich schon wieder zurück in die Deutschschweiz - allerdings hätte ich mir dafür erfreulichere Gründe vorstellen können. Wir kehrten um, weil Herr Kulturflaneurs Vater erkrankt war. Er starb am 30. Juni.

- Der Sommer und Herbst steht im Zeichen des Abschieds vom Tigervater.

- Im September und Oktober wird bei mir die Lage an der wirtschaftlichen Front besonders heikel - mein Gehör gerät vollends aus den Fugen.

- Anfang November mache ich eine Erkenntnis, die auch noch ein weiteres Standbein meiner Existenz ins Wanken bringt. Das Thema eignet sich definitiv nicht zum Bloggen. Nur so viel: Zwei Tage lang kann ich nicht schlafen und nicht essen. Tagelang bin ich praktisch taub. Erst gegen Anfang Dezember habe ich die Sache erfolgreich verdrängt. Nicht verdrängen kann ich tägliche, kleine Erinnerungen daran. Und die Tatsache, dass sie mich im kommenden Jahr mit schwierigen Entscheidungen konfrontieren könnte.

- Die Festtage finden mich in der Folge oft unleidlich und mürrisch - gänzlich unerwartet. Bislang habe ich die weihnachtlichen Familientreffen stets geliebt. Dieses Jahr fühle ich mich von der Welt im Stich gelassen.

Dennoch: Morgen werde ich mit Herrn T. auch auf das vergangene Jahr anstossen - weil ich gelernt habe, dass selbst in einem annus horribilis das Leben einfach weitergeht. Und dass auch ein annus horribilis Lichtblicke hat. Manchmal sind sie viel besser sichtbar als in einem normalen Jahr. Ein schreckliches Jahr macht zudem dankbar - für die vielen guten Jahre, die man vor ihm hatte. Wie das Neue Jahr für mich wird? Daran denke ich jetzt erst mal nicht.

Aber Euch allen wünsche ich ein gutes, ein unbeschwertes, ein fröhliches 2013 mit Glück in der Familie und im Job!

19
Dez
2012

Enttäuschung im Tunnel

An manchen Tagen höre ich ziemlich gut. Dann amüsiere ich mich oft königlich über die Gespräche von Fremden im öffentlichen Verkehr. Zum Beispiel heute, als ich durch Luzerns neuen Eisenbahntunnel fuhr, den Hubelmatt- und Allmendtunnel.

Er ist im November eröffnet worden und erleichtert den Pendlern aus Ob- und Nidwalden die Zugreise in die Stadt. Zudem beendet er die Epoche der immer chaotischeren Staus vor den Bahnschranken in Luzern Süd. Hier und hier mehr darüber.

Unterwegs in den Kanton Obwalden hatte ich heute bei der Einfahrt ins 1300 Meter lange Loch natürlich hohe Erwartungen. Aber so ein Tunnel ist im Grunde etwas Enttäuschendes. Man sieht ja nichts als Wände. Im neuen Tunnel sind sie zwar diskret beleuchtet - aber dennoch einfach Wände. Und die unterirdische S-Bahn-Haltestelle Allmend/Messe ist zwar funkelnagelneu, aber auch sehr, sehr leer. Da wollte sich partout kein grossstädtisches U-Bahn-Feeling einstellen.

Amüsant wurde es auf dem Rückweg. Im Abteil schräg gegenüber sass ein Obwaldner Paar mit drei Kindern. Der älteste Bub, etwa acht, langweilte sich. "Däddy, wann kommt der neue Tunnel?" klönte er so ab Hergiswil im Zehnsekundentakt. Dann, kurz vor Horw setzte der Refrain ein: "Der neue Tunnel kommt gleich! Der neue Tunnel kommt gleich!"

Dann kam der neue Tunnel.

Stille. Dann der Bub: "Däddy, das ist ja gar nicht so dunkel!" Offenbar hatte er sich etwas viel Gruseligeres gewünscht.

17
Dez
2012

Verloren im Wald

Vor einem Monat habe ich meine Leser an einem äusserst unwirtlichen Ort hängen lassen. Ihr erinnert Euch: Meine Spazier-Exkursion nach Norden brach Mitte November an einem wohl mit ironischer Absicht "im Venedig" genannten Weg am Rand von Sursee abrupt ab. Mitten im Autobahnlärm.

So etwas ist schäbig und sonst nicht meiner Art. Aber ich habe eine halbwegs plausible Entschuldigung: Ich wusste schlicht nicht, wie ich die Geschichte meines Weitermarsches erzählen sollte. Real sah die Lage so aus: Vor mir lag der Surseer Wald. Ich hatte die Wahl zwischen drei Routen nach Norden, und am Wegrand standen auch zwei gelbe Wegweiser. Aber keiner zeigte exakt nach einem der möglichen Ziele. Es war wie verhext. Ich sah vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr.



Narrativ spielte ich an dieser stelle auf Zeit. Ich schrieb die viel beachtete Kolumne Geheimnisse aus der Luzerner Provinz über Kuriositäten unter den Luzerner Flurnamen. Das machte Sinn, denn vor mir lagen zwei mögliche Ziele, deren Namen unbedingt zu den Kuriositäten zählen: "Chnutu" (Knutwil) und, preisverdächtig, "Teret" (St. Erhard) - soll mich keiner fragen, welches Lautgesetz so etwas hervorgebracht hat!

Aber dann brachte ich Teret und Chnutu in meiner Kolumne nicht einmal unter. So schwierig ist es manchmal, in einer Geschichte von A nach B zu kommen!

In der Realität folgte ich nach einigem Zögern zunächst der Sure. In meinem letzten Beitrag habe ich sie noch Suhre genannt. Unterdessen hat mich aber ein Bewohner der Gegend unwirsch darauf aufmerksam gemacht, dass sich das Fliessgewässer erst im Kanton Aargau ein "h" aneignet. So viel zu den hauchfeinen Unterschieden, die der Kantönligeist bei uns erzwingt.

Überhaupt gehört die Sure zu den Gewässern, die viele Leute mit einem heimatseligen Leuchten in den Augen erwähnen. Weshalb, ist mir immer noch schleierhaft. Für mich ist und bleibt sie ein unscheinbares Flüsschen mit einer undefinierbaren Farbe.



Vielleicht eignet sie sich im Kanton Aargau mit dem "h" eine herbe Schönheit an - wer weiss? Ich nicht. Nach einigen hundert Schritten hatte ich genug von ihr gesehen. Ich bog ab und folgte meinem Instinkt und einem Wegweiser Richtung Knutwil. Erst jetzt geht die Geschichte weiter - und wird richtig märchenhaft! Aber davon später.

15
Dez
2012

Als ob nichts wäre

Ich bin ein ziemlich kommunikativer Typ. Früher habe ich offen über alles und jedes gesprochen - auch über meine Probleme. Oft auch mit Leuten, die ich nicht so gut kannte. Aber inzwischen habe ich dank meiner Schwerhörigkeit Probleme, die keinen guten Apero-Konversationsstoff mehr hermachen. Probleme, die gesunde Menschen ängstigen, anöden oder überfordern.

So übe ich mich darin, in allen möglichen geselligen Situationen geschickte Konversation zu machen - auch wenn meine Probleme mich selber gerade ängstigen, anöden oder überfordern. Ich beobachte auch geradezu fasziniert, wie andere ihre innere Anspannung in sozialen Situationen überspielen. Zum Beispiel Don und Betty Draper in der Serie Mad Men, von der ich mir die ersten Folgen auf DVD ausgeborgt habe.



Die Welt von Mad Men ist für mich geradezu idealer Recherchestoff - reich an latenter Verzweiflung, die vor den eleganten, aber potenziell boshaften Nachbarn und Kollegen verborgen sein will. Als es in der Ehe der Drapers in der Folge 9 schon mächtig kriselt, trifft eine sichtlich ausgemergelte Betty ihre Freunde. "Wie geht es Dir?" fragt man sie. Sie antwortet bleich lächelnd: "Es ist ein wunderschöner Tag heute."

Auch bei Don im Büro wird stets gute Miene gemacht. Nur vorübergehend bricht Aufregung aus - als Kollege Freddy Rumsen sich vor einer wichtigen Sitzung buchstäblich in die Hosen pisst - Jahre in der stets alkoholseligen Werbebranche fordern ihren Tribut. Die Chefs beschliessen, ihn zu feuern. Macht deswegen irgendwer ein betretenes Gesicht? Nicht doch! Im Gegenteil! Freddy feiert sein bitteres Karriere-Ende in einem feierlichen Besäufnis mit seinen beiden Chefs.

Ich schaue diesem Gebaren gebannt zu und bin zufrieden. Ich habe irgendeine Lektion gelernt. Erst später wird mir klar: Für mein zurzeit drängendstes Problem wird es in "Mad Men" keine Lektion geben: Wie verhalte ich mir an einem Apero, wenn jemand auf mich einredet und ich nur einen Drittel von dem verstehe, was er sagt?

Dafür gibt es überhaupt nirgends eine Antwort. Nicht einmal meine tauben Freunde kennen dafür irgendwelche Patentrezepte.

9
Dez
2012

Klarstellung

Nach meinem Eintrag von gestern scheint eine Klarstellung vonnöten, nämlich diese: Niemals ging es mir darum, die Solidarität mit Frauen aufzukünden, die Kinder haben, dazu beruflich ihren Weg gehen und finanziell unabhängig sein wollen. Es ist für mich absolut selbstverständlich, dass all das möglich sein soll. Ich wollte lediglich sagen: Mich stört der zuweilen der etwas wehleidige Soundtrack zum Thema.
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Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
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ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
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