6
Jun
2012

Straflager für Asylbewerber

Die Schweizer Rechtsnationalen (SVP) fordern neuerdings Internierungslager für straffällige Asylbewerber. Dazu möchte möchte ich hier nur festhalten: Ein solches Lager hatten wir schon mal, während des Zweiten Weltkriegs - das Straflager Wauwilermoos im Kanton Luzern. Es hat es eine unrühmliche Geschichte. Unter den Insassen hiess es "das schweizerische Konzentrationslager".

Wer sich dafür interessiert, sollte sich diesen Radio-Beitrag anhören. Hier die wesentlichen Punkte, angereichert mit Ergebnissen meiner eigenen Recherchen:

- Die Internierten waren straffällig gewordene oder alkoholkranke Polen, Russen und Franzosen, ferner Amerikaner und Deserteure aus den deutschen Streitkräften. Warum man Alkoholiker in ein Straflager steckte, ist heute unverständlich. Ebenfalls schwer nachvollziehbar ist, warum man deutsche Deserteure strafte. Die Deutschen waren doch die Bedrohung für die Schweiz. Man hätte jeden Deserteur belohnen müssen! Und die Amerikaner wurden eingesperrt, wenn sie versuchten, sich über die Schweizer Grenze zu den alliierten Truppen abzusetzen. Also dann, wenn sie dem Befehl ihrer Offiziere folgten - um der Schweiz die Deutschen vom Hals zu halten. Aber eben - wir hatten rundum Krieg, die Schweiz war ein neutrales Land. Und sie hatte Angst vor den Deutschen. Das muss wohl als Erklärung reichen.

- Das Lager bestand aus 22 Holzbaracken. Die Schlafsäle waren ungeheizt. Die Internierten schliefen auf schmutzigem Stroh unter einer dünnen Wolldecke. Es gab massenhaft Ungeziefer. Durch die Mitte des Raumes lief ein stets schmutziger Latrinengraben. Der Gestank im Lager soll höllisch gewesen sein.

- Das Lager und einzelne Baracken waren mit Stacheldraht umzäunt. Wächter patrouillierten mit Furcht einflössenden Hunden.

- Zu Essen gab es viel zu wenig. Die Häftlinge wurden "ernährt wie Schweine aus dem Trog", schreibt der ehemalige Insasse Charles Bergmann. Die Rede ist von wässrigem Kakao und dünner Suppe, selten mit kleinen Fleischstücken angereichert.

- Die Internierten sollten bei den Bauern der Gegend auf den Feldern arbeiten. Doch wie ich aus mündlicher Quelle erfahren habe, mieden die Landwirte das Lager: Man hatte von den Zuständen dort gehört, und der Lagerleiter soll gern über frisch bestellte Felder ausgeritten sein - das machte ihn unbeliebt. So hatten die Gefangenen meist keine Arbeit und vertrieben sich die Zeit mit Herumhängen, Schlägereien und Besäufnissen - Alkohol war im Schwarzhandel mit korrupten Wärtern leicht erhältlich.

- Diese Zustände forderten Opfer: Ein Häftling verlor bei einer Rauferei sein Leben. Ein Wärter erschoss ihn. Der Vorfall ist im Bundesarchiv Bern gut dokumentiert. Ein anderer Insasse, der amerikanischer Fliegeroffizier Daniel Culler, wurde Nacht für Nacht von seinen Mithäftlingen vergewaltigt, geschlagen und in den Latrinengraben geworfen. Wenn er sich bei der Lagerleitung beklagte, wurde er in Isolationshaft gesteckt. Culler erkrankte schwer, verliess das Lager bewusstlos und kam erst im Spital in Luzern wieder zu sich. 1995 entschuldigte sich der damalige Bundespräsident Kaspar Villiger bei ihm.

- Der Lagerleiter, André Béguin, war inkompetent, ein Sadist, ein Hochstapler und ehemaliges Mitglied einer nationalsozialistischen Partei. Er wurde - erst - 1946 wegen verschiedenster Vergehen wie Betrug, Veruntreuung, Fälschung dienstlicher Akten oder Nichtbefolgens von Dienstvorschriften zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt.

- Heute will sich kein Mensch mehr an das Lager erinnern. 2007 stellte ich als Journalistin Nachforschungen darüber an. Es gab nicht einmal jemanden, der mir Auskunft über die genaue Lage des Lagers machen konnte. Im Bundesarchiv sind jedoch die Zustände dort recht gut dokumentiert.

Wollen wir so etwas nochmals? Lieber nicht.

3
Jun
2012

Verkehrslawinen

Bei meiner Wanderung nach Norden verliess ich Eich auf dem Römerweg - siehe linkes Bild. Rechts sieht man, was aus dem alten Weg geworden ist:

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Allerdings sieht man es nicht in Eich selber, sondern erst etwas nördlich, bei Schenkon. Denn die viel befahrene Nord-Süd-Achse A2 unterquert Eich in einem Tunnel. Geplant war 1971 ein Viadukt. Doch die Eicher rebellierten mit Erfolg gegen diese Zerstörung ihrer Landschaft - zu gerne wüsste ich, wie sie das hingekriegt haben. Sie ersparten sich viel Lärm und schlechte Luft.

Denn die A2 ist eine der Hauptverkehrsadern der Schweiz. Sie führt von Basel nach Chiasso und trägt nebst viel Binnenverkehr eine Menge Warentransporte von Nord- nach Südeuropa. Zu manchen Tageszeiten kann man hier wahre Elefantenkarawanen beobachten - wenn auch nicht auf dem Bild: Wahrscheinlich hatten sämtliche Chauffeure gerade Mittagspause, als ich vorbeikam. Vergleicht man die A2 mit den Brenner, so ist der Nord-Süd-Lastwagenumsatz allerdings zugegebenermassen geradezu gering, wie dieser Bericht verdeutlicht. 2007 rollten 6,5 Millionen Lastwagen durch den Brenner. Auf allen Alpenübergängen der Schweiz waren es lediglich 1,26 Millionen - ein geschätztes Drittel kutschiert an Schenkon vorbei. Ich möchte nicht am Brenner wohnen.

Wobei ich nicht behaupten möchte, dass Schenkon sehr am Lärm leidet. Es gilt immer noch als eine der besseren Wohngegenden im Kanton. Im Ranking der steuergünstigsten Gemeinden des Kantons liegt es gar auf Platz 2 - hinter (natürlich) Meggen und vor (natürlich) Eich.

Ich blieb aber nicht, sondern erreichte bald das Städtchen Sursee. Es liess mich sofort sämtlichen Autobahnlärm vergessen. Sursee hatte lange Zeit den Ruf eines verschlafenen Provinzkaffs. Heute soll es die Wirtschaftslokomotive des Kantons sein. Jedenfalls sieht es an einigen Stellen so aus, als wäre es vor 80 Jahren in einen Dornröschenschlaf gefallen - bis vor zwei, drei Jahren plötzlich das 21. Jahrhundert hereinbrach.

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Schlagernacht

Am Freitag standen meine Kollegen von der Lokalredaktion mit ratlosen Gesichtern herum. Die Reporterin für die Schlagernacht in der städtischen Messehalle war ausgefallen. "He, Frau Frogg, das wäre doch ein Auftrag für Dich! Könntest Du nicht für uns an die Schlagernacht gehen?!" rief Kollege Schiri, als ich zufällig vorbeiging. Er meinte es natürlich ironisch. Es ist nicht einmal ein offenes Geheimnis, dass Frau Frogg nicht der Typ für Schlagernächte ist. Das weiss man einfach.

Ich drehte mich um und lachte. "Natürlich, da gehe ich gerne hin! Aber nur, wenn ich einen sehr schwerhörigen Tag habe!"

Alle lachten, ich auch.

Ich war froh. Ich kann im Büro Witze über meine Krankheit machen. Wir machen Fortschritte.

1
Jun
2012

Du bist schön!

Neulich verschlug es mich schon wieder an eine Goldküste - diesmal am Zürichsee. Ein Steuerparadies. Seit den neunziger Jahren herrscht hier explosionsartige Bautätigkeit. Der Ort ist reine Agglomeration. Wenn er ein Gesicht hat, dann habe ich es nicht gesehen. Sondern nur das hier.

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Ich spazierte von Bahnhof hinunter Richtung See. Es war ein heisser Tag, und als ich zu einer Sportanlage kam, hatte ich genug. Ich brauchte etwas zu trinken. Der Sportplatz war offen. Ich ging hinein, bestellte ein Wasser und suchte die Damentoilette auf. Vor den Spiegeln drängelten frisch erblühte Sport-Prinzessinnen mit zarten Wangen, brünetten Locken bis zu den Hüften und T-Shirts in der Siegerfarbe des Gemeindewappens.

"Du bist schön, Kiki!" hörte ich eines der Mädchen rufen, als ich in der Kabine war.

Sie klang wie ein entnervter Teenager. Vielleicht besetzte Kiki schon zu lange mit dem Lidstift in der Hand einen Platz vor dem Spiegel. Vielleicht brauchte Kiki Bestätigung, dass ihr Lip Gloss die richtige Farbe hatte. Aber die Stimme des Mädchens war noch mit etwas anderem aufgeladen, mit etwas sehr Intensivem. War es echte Bewunderung? Begehren? Ich werde es nie wissen. Aber ich habe den Satz lange in mir nachklingen lassen.

23
Mai
2012

Wo die Bonzen wohnen

Kürzlich hörte ich eine Lehrerin von Eich erzählen. Sie habe dort einmal unterrichtet, sagte sie. "Die Kinder an dieser Schule hatten ganz merkwürdige Probleme. Ich habe sie - und die Eltern - nie ganz verstanden." Sie blieb vage, aber es war klar: Sie meinte die Probleme reicher Kinder und reicher Eltern. Denn Eich liegt an einer Goldküste unseres Kantons. Das ist Eich:

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Zugegeben: Ein Immobilienmakler hätte sich einen sonnigeren Tag ausgesucht. Aber ich hatte wieder einmal eine Gelegenheit, meine Wanderung nach Norden fortzusetzen. Ein paar Regentröpfchen sollten mich nicht abschrecken.

Statt mit Prachts-Aussicht auf den Alpenkamm empfing mich Eich weich in graue Watte verpackt. Aber selbst bei diesem Wetter glaubt man gerne, dass Eich - schön am Sempachersee gelegen - schon immer eine attraktive Wohnlage gewesen ist. Schon 600 vor Christus hat es hier eine Villa gegeben, verkündet eine Tafel bei der Bushaltestelle Dorfladen stolz. Natürlich, es war eine römische Villa, also eigentlich ein grosser Gutshof.

Heute ist eine Villa ja dazu da, den hohen Status ihres Besitzers zur Schau zu stellen. Nur gibt es dabei einen Zielkonflikt: Aussenstehende sollen nicht sehen, dass der Besitzer einer Villa reich ist - das könnte ja Einbrecher anlocken. Deshalb gelangt die Kunst des Heckenschneidens in Eich zur Hochblüte. Dieses Haus etwa ist für Eicher Verhältnisse geradezu leutselig:

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Das Einkommen des Besitzers muss für dortige Verhältnisse im unteren Mittel liegen, oder der Besitzer hat eine Neigung zum Tiefstapeln. Auch dieser Vorgarten sagt viel über seine Besitzer:

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Der Löwe deutet daraufhin, dass es der Eigentümer im regionalen Gewerbe zu Geld gebracht hat. Geld, das er gerne zur Schau stellt. Und weil er keine akademische Bildung hat - oder höchstens Betriebswirt ist - mag er populärklassizistischen Kitsch. Wer es zu einem akademischen Titel und internationalem Flair gebracht hat, besitzt einen eher asketischen Steingarten - mit Buchsbaum-Kugelhecken. Das müsst ihr mir jetzt einfach glauben, obwohl ich es hier nicht fotografisch beweisen kann.

Eins ist sicher: Wenn ich in Eich wohnen würde, würde ich die Semiotik des Vorgartens erfinden.

Aber ich wohne nicht in Eich. Ich verliess das Dorf auf der alten Römerstrasse und picknickte am Wegrand im Schutz einer Hecke. Das lokale Restaurant schien mir zu vornehm für Landstreicherinnen.

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19
Mai
2012

Danke, PowerPoint!

Früher war ich kein Fan von PowerPoint-Präsentationen. Ich hielt es mit meiner Kollegin Elsie, die jeweils bei der Ankündigung von Gastreferenten sarkastisch zu fragen pflegte: "Hat er etwas zu sagen oder hat er eine PowerPoint-Präsentation?" Die meisten PowerPoint-Präsentationen, schien uns, sind banalste Zusammenfassungen von dem, was der Referent ohnehin sagt.

Aber neulich hatten wir im Betrieb eine Weiterbildung - und ich hatte einen stark schwerhörigen Tag*. Es war das erste Mal, dass ich in einem so schlechten Zustand an eine Weiterbildung ging. Ich traute mich nicht, mich in die vorderste Reihe zu setzen - dort sassen die grossen Tiere. Und die zweite, dritte und vierte Reihe waren schon besetzt, als ich kam. Ich nahm mit Reihe 5 Vorlieb - und hörte von den Referenten nur unzusammenhängendes Gefasel.

Zum Glück hatte Referent Zwei eine PowerPoint-Präsentation - noch dazu eine, die optisch sehr ansprechend gestaltet war! Ich konnte mir mühelos zusammenreimen, was er sagte.

Aber nächstes Mal werde ich all meinen Mut zusammennehmen und mir ein Plätzchen in der vordersten Reihe erkämpfen.

* Schwankender Hörverlust ist eine typische Begleiterscheinung einer Menière'schen Erkrankung, bei mir leider auf beiden Ohren. Im Moment schwankt mein Hörvermögen so stark, dass ich oft schlecht abschätzen kann, was mein Gehör überhaupt zu leisten im Stande ist.
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