3
Jun
2012

Verkehrslawinen

Bei meiner Wanderung nach Norden verliess ich Eich auf dem Römerweg - siehe linkes Bild. Rechts sieht man, was aus dem alten Weg geworden ist:

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Allerdings sieht man es nicht in Eich selber, sondern erst etwas nördlich, bei Schenkon. Denn die viel befahrene Nord-Süd-Achse A2 unterquert Eich in einem Tunnel. Geplant war 1971 ein Viadukt. Doch die Eicher rebellierten mit Erfolg gegen diese Zerstörung ihrer Landschaft - zu gerne wüsste ich, wie sie das hingekriegt haben. Sie ersparten sich viel Lärm und schlechte Luft.

Denn die A2 ist eine der Hauptverkehrsadern der Schweiz. Sie führt von Basel nach Chiasso und trägt nebst viel Binnenverkehr eine Menge Warentransporte von Nord- nach Südeuropa. Zu manchen Tageszeiten kann man hier wahre Elefantenkarawanen beobachten - wenn auch nicht auf dem Bild: Wahrscheinlich hatten sämtliche Chauffeure gerade Mittagspause, als ich vorbeikam. Vergleicht man die A2 mit den Brenner, so ist der Nord-Süd-Lastwagenumsatz allerdings zugegebenermassen geradezu gering, wie dieser Bericht verdeutlicht. 2007 rollten 6,5 Millionen Lastwagen durch den Brenner. Auf allen Alpenübergängen der Schweiz waren es lediglich 1,26 Millionen - ein geschätztes Drittel kutschiert an Schenkon vorbei. Ich möchte nicht am Brenner wohnen.

Wobei ich nicht behaupten möchte, dass Schenkon sehr am Lärm leidet. Es gilt immer noch als eine der besseren Wohngegenden im Kanton. Im Ranking der steuergünstigsten Gemeinden des Kantons liegt es gar auf Platz 2 - hinter (natürlich) Meggen und vor (natürlich) Eich.

Ich blieb aber nicht, sondern erreichte bald das Städtchen Sursee. Es liess mich sofort sämtlichen Autobahnlärm vergessen. Sursee hatte lange Zeit den Ruf eines verschlafenen Provinzkaffs. Heute soll es die Wirtschaftslokomotive des Kantons sein. Jedenfalls sieht es an einigen Stellen so aus, als wäre es vor 80 Jahren in einen Dornröschenschlaf gefallen - bis vor zwei, drei Jahren plötzlich das 21. Jahrhundert hereinbrach.

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Schlagernacht

Am Freitag standen meine Kollegen von der Lokalredaktion mit ratlosen Gesichtern herum. Die Reporterin für die Schlagernacht in der städtischen Messehalle war ausgefallen. "He, Frau Frogg, das wäre doch ein Auftrag für Dich! Könntest Du nicht für uns an die Schlagernacht gehen?!" rief Kollege Schiri, als ich zufällig vorbeiging. Er meinte es natürlich ironisch. Es ist nicht einmal ein offenes Geheimnis, dass Frau Frogg nicht der Typ für Schlagernächte ist. Das weiss man einfach.

Ich drehte mich um und lachte. "Natürlich, da gehe ich gerne hin! Aber nur, wenn ich einen sehr schwerhörigen Tag habe!"

Alle lachten, ich auch.

Ich war froh. Ich kann im Büro Witze über meine Krankheit machen. Wir machen Fortschritte.

1
Jun
2012

Du bist schön!

Neulich verschlug es mich schon wieder an eine Goldküste - diesmal am Zürichsee. Ein Steuerparadies. Seit den neunziger Jahren herrscht hier explosionsartige Bautätigkeit. Der Ort ist reine Agglomeration. Wenn er ein Gesicht hat, dann habe ich es nicht gesehen. Sondern nur das hier.

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Ich spazierte von Bahnhof hinunter Richtung See. Es war ein heisser Tag, und als ich zu einer Sportanlage kam, hatte ich genug. Ich brauchte etwas zu trinken. Der Sportplatz war offen. Ich ging hinein, bestellte ein Wasser und suchte die Damentoilette auf. Vor den Spiegeln drängelten frisch erblühte Sport-Prinzessinnen mit zarten Wangen, brünetten Locken bis zu den Hüften und T-Shirts in der Siegerfarbe des Gemeindewappens.

"Du bist schön, Kiki!" hörte ich eines der Mädchen rufen, als ich in der Kabine war.

Sie klang wie ein entnervter Teenager. Vielleicht besetzte Kiki schon zu lange mit dem Lidstift in der Hand einen Platz vor dem Spiegel. Vielleicht brauchte Kiki Bestätigung, dass ihr Lip Gloss die richtige Farbe hatte. Aber die Stimme des Mädchens war noch mit etwas anderem aufgeladen, mit etwas sehr Intensivem. War es echte Bewunderung? Begehren? Ich werde es nie wissen. Aber ich habe den Satz lange in mir nachklingen lassen.

23
Mai
2012

Wo die Bonzen wohnen

Kürzlich hörte ich eine Lehrerin von Eich erzählen. Sie habe dort einmal unterrichtet, sagte sie. "Die Kinder an dieser Schule hatten ganz merkwürdige Probleme. Ich habe sie - und die Eltern - nie ganz verstanden." Sie blieb vage, aber es war klar: Sie meinte die Probleme reicher Kinder und reicher Eltern. Denn Eich liegt an einer Goldküste unseres Kantons. Das ist Eich:

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Zugegeben: Ein Immobilienmakler hätte sich einen sonnigeren Tag ausgesucht. Aber ich hatte wieder einmal eine Gelegenheit, meine Wanderung nach Norden fortzusetzen. Ein paar Regentröpfchen sollten mich nicht abschrecken.

Statt mit Prachts-Aussicht auf den Alpenkamm empfing mich Eich weich in graue Watte verpackt. Aber selbst bei diesem Wetter glaubt man gerne, dass Eich - schön am Sempachersee gelegen - schon immer eine attraktive Wohnlage gewesen ist. Schon 600 vor Christus hat es hier eine Villa gegeben, verkündet eine Tafel bei der Bushaltestelle Dorfladen stolz. Natürlich, es war eine römische Villa, also eigentlich ein grosser Gutshof.

Heute ist eine Villa ja dazu da, den hohen Status ihres Besitzers zur Schau zu stellen. Nur gibt es dabei einen Zielkonflikt: Aussenstehende sollen nicht sehen, dass der Besitzer einer Villa reich ist - das könnte ja Einbrecher anlocken. Deshalb gelangt die Kunst des Heckenschneidens in Eich zur Hochblüte. Dieses Haus etwa ist für Eicher Verhältnisse geradezu leutselig:

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Das Einkommen des Besitzers muss für dortige Verhältnisse im unteren Mittel liegen, oder der Besitzer hat eine Neigung zum Tiefstapeln. Auch dieser Vorgarten sagt viel über seine Besitzer:

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Der Löwe deutet daraufhin, dass es der Eigentümer im regionalen Gewerbe zu Geld gebracht hat. Geld, das er gerne zur Schau stellt. Und weil er keine akademische Bildung hat - oder höchstens Betriebswirt ist - mag er populärklassizistischen Kitsch. Wer es zu einem akademischen Titel und internationalem Flair gebracht hat, besitzt einen eher asketischen Steingarten - mit Buchsbaum-Kugelhecken. Das müsst ihr mir jetzt einfach glauben, obwohl ich es hier nicht fotografisch beweisen kann.

Eins ist sicher: Wenn ich in Eich wohnen würde, würde ich die Semiotik des Vorgartens erfinden.

Aber ich wohne nicht in Eich. Ich verliess das Dorf auf der alten Römerstrasse und picknickte am Wegrand im Schutz einer Hecke. Das lokale Restaurant schien mir zu vornehm für Landstreicherinnen.

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19
Mai
2012

Danke, PowerPoint!

Früher war ich kein Fan von PowerPoint-Präsentationen. Ich hielt es mit meiner Kollegin Elsie, die jeweils bei der Ankündigung von Gastreferenten sarkastisch zu fragen pflegte: "Hat er etwas zu sagen oder hat er eine PowerPoint-Präsentation?" Die meisten PowerPoint-Präsentationen, schien uns, sind banalste Zusammenfassungen von dem, was der Referent ohnehin sagt.

Aber neulich hatten wir im Betrieb eine Weiterbildung - und ich hatte einen stark schwerhörigen Tag*. Es war das erste Mal, dass ich in einem so schlechten Zustand an eine Weiterbildung ging. Ich traute mich nicht, mich in die vorderste Reihe zu setzen - dort sassen die grossen Tiere. Und die zweite, dritte und vierte Reihe waren schon besetzt, als ich kam. Ich nahm mit Reihe 5 Vorlieb - und hörte von den Referenten nur unzusammenhängendes Gefasel.

Zum Glück hatte Referent Zwei eine PowerPoint-Präsentation - noch dazu eine, die optisch sehr ansprechend gestaltet war! Ich konnte mir mühelos zusammenreimen, was er sagte.

Aber nächstes Mal werde ich all meinen Mut zusammennehmen und mir ein Plätzchen in der vordersten Reihe erkämpfen.

* Schwankender Hörverlust ist eine typische Begleiterscheinung einer Menière'schen Erkrankung, bei mir leider auf beiden Ohren. Im Moment schwankt mein Hörvermögen so stark, dass ich oft schlecht abschätzen kann, was mein Gehör überhaupt zu leisten im Stande ist.

17
Mai
2012

Wo nachts die Huren stehen

Die Riedstrasse liegt keine 500 Meter von unserem Haus entfernt - aber bis vor kurzer Zeit kannte ich sie so gut wie gar nicht. Das hat zwei Gründe: Erstens war sie lange Zeit fest in der Hand der Schreber..., pardon, Familiengärtner. Und diese wissen Fremdlingen gut zu verstehen zu geben, dass sie hier nichts verloren haben. Zum Beispiel mit blickdichten Hecken wie im Mittelgrund des Bildes:

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Zweitens liegt die Gegend hinter einem mit Fussgängerstreifen nur sehr spärlich bestückten Autobahnzubringer. Aber in letzter Zeit hat auch der Verkehr die Gärtner nicht vor Unruhe bewahrt. Vor einiger Zeit zog gar der Strassenstrich vom neuen Mittelstandsquartier Tribschenstadt hierher. Als ich das in der Zeitung las, erwachte mein Interesse. Ich wollte die Gegend sehen - nicht mit den Augen der argwöhnischen Anwohnerin. Auch nicht als Voyeurin - weshalb ich einen verregneten Sonntagnachmittag für meinen Ausflug wählte. Ich ging einfach als Flaneurin mit offenen Augen hin. Und fand einen menschenleeren Stadtteil voller düsterer Wunder.

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Etwa diesen riesigen Tunnel. Ein Bekannter von mir behauptet, es handle sich um einen Lärmschutztunnel-Prototyp für die Autobahn. Aus den siebziger Jahren. Soll sich als völlig nutzlos erwiesen haben. Ich weiss nicht, ob das stimmt. Mich erinnert der Bau eher an die mächtigen Gewächshäuser in den Kew Gardens von London - die allerdings wohl erst nach der Apokalypse so aussehen werden.

Der Bau, umgeben von Komposthaufen, liegt am Reuss-Rotsee Kanal - unter dem man sich aber kein schiffbares Gewässer vorstellen sollte.

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Er ist vielmehr ein munterer Bach, der lediglich der künstlichen Bewässerung des Rotsees dient. Der See liegt auf der besseren Seite des Autobahnzubringers und ist bei Spaziergängern sehr beliebt. Was man vom Kanal nicht behaupten kann. Es gibt hier zwar ein paar Naturpfad-Tafeln, die Flora und Geographie erklären. Doch bin ich wahrscheinlich die erste Spaziergängerin, die diese Tafel überhaupt gesehen hat. Schade, denn da stehen ein paar interessante Dinge. Zum Beispiel: Vor der letzten Eiszeit floss die Reuss hier Richtung Aargau. Aber am Ende der letzten Eiszeit blieb Toteis wie ein Deckel über dem Tal liegen. Deshalb suchte sich der Fluss einen anderen Weg. Feucht ists geblieben. Davon zeugt schon der Name "Riedstrasse".

Ebenfalls am Kanal liegen die WCs der Familiengärtner. Dass man sie nicht für die Weltöffentlichkeit gebaut hat, legen die Schildchen auf der Tür nahe - sie müssen aus den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts stammen.

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Am Häuschen hängt auch dieser Cartoon:

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Er ist beredtes Zeugnis dafür, dass die Familiengärtner hier nicht nur gute Zeiten gesehen haben. Offenbar war hier früher eine Mülldeponie. Die Stadt hat zwar die Böden einmal saniert. Das heisst: "Sie haben einfach einen halben Meter Erde über den alten Boden gekippt", hat mir einmal ein Familiengärtner erzählt. Kommt noch dazu, dass einige der Gärtner bald weichen müssen. Denn die Stadt will hier bauen. Die Rede ist von einem Park mit durchgehendem Spazierweg bis zur Reuss.

Ja, und zuhinterst im Tal liegt das ferne Ende des Friedhofs - ein malerischer Ort mit gepflegtem Rasen und asphaltierten Wegen. Aber ebenfalls vollkommen still, mit vergessenen Grabsteinen aus den siebziger Jahren - im Hintergrund weiden Schafe.

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Neben dem Friedhof gibt es einen Parkplatz, wahrscheinlich der einzige, der oft so gut wie leer ist. Das weiss ich, weil ich hier meine erste Fahrstunden hatte. Motor anmachen, Fuss von der Kupplung, Gas geben. Heute ist er wahrscheinlich Hauptschauplatz des neuen Nachtbetriebs. Das legt jedenfalls dieses Bild nahe:

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Aufgenommen an der Riedstrasse in der Nähe des Friedhof-Parkplatzes.

Nicht nur die Familiengärtner sind über den Einzug der Prostitution in "ihr" Areal irritiert. Auch die städtische Linke findet den Ort für solche Geschäfte ungeeignet: Die Frauen seien in dieser verlassenen und schwer zugänglichen Gegend weniger sicher als in der Innenstadt und müssten sich von Zuhältern herfahren und "beschützen" lassen. Ein Argument, das ich gut nachvollziehen kann.
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