7
Mai
2011

Unvergesslicher Moment

Wir sitzen zu sechst beim Mittagessen am runden Tisch. Rundum ist es lärmig. Vis à vis Megi, eine gedrungene Gestalt im Rollstuhl. Ihre Kraft kommt von innen. Sie hebt ihre Stimme: "He, Tina!" ruft sie. Aber Tina neben mir hört sie nicht. Tina hört überhaupt sehr schlecht, erst recht in der Beiz. Und sie guckt gerade in eine andere Richtung. Wir sind an der Jahresversammlung einer Behindertenorganisation für Frauen.

Megi kann ja in diesem Getümmel nicht gut herüberkommen, um mit Tina zu sprechen. Ich zupfe Tina am Ärmel und zeige ihr, dass sie Megi anschauen soll. Die beiden beginnen zu sprechen.

Moderne Regisseure und Autoren erzählen uns immer, dass in unserer Gesellschaft Kommunikation nicht mehr funktioniere. Aber hier, wo sie am schwierigsten scheint, geht es doch. Irgendwie.

Ich habe mich seit Wien nicht so wohl gefühlt. Es sind Frauen hier, die etwas zu sagen haben.

Und ich weiss: Wenn das Schlimmste zum Schlimmsten kommt, bin ich nicht allein.

4
Mai
2011

Barocke Schönheiten

Mit diesem Beitrag beende ich meine Berichterstattung über unsere Wien-Reise. All jene, die mehr erwartet hätten, bitte ich um Verständnis. Für ein Epos war in Wien einfach das Klima nicht richtig. Um Reise-Epen zu schreiben, brauche ich eine gewisse Menge inspirierte Einsamkeit. Ich brauche gewisse Strecken kontemplativer Stille, die nur unterbrochen werden von Herrn T.s Inputs.

Unsere Zeit in Wien aber war nicht einsam und nicht kontemplativ. Sie war leben. Nicht schreiben. Und das war gut so. Grossartig.

Wer mehr über unsere Reise erfahren möchte, schaue bei Herrn T. nach. Allmählich mache ich mir Sorgen, dass er nun auch noch für Reise-Epen mein Schani wird (für alle, die das jetzt nicht verstehen: In Wien ist der Schani derjenige, der die anstrengenden Dinge erledigt - wenn ich das richtig verstanden habe).

Mein Schlusspunkt sind drei Bilder aus der barocken Karlskirche. Sie stammen von meiner vorletzten Reise nach Wien im Frühjahr 2005. Damals konnte man wegen Bauarbeiten mit einem Lift in die Kuppel fahren und die Fresken dort aus der Nähe betrachten. Ein grandioses Erlebnis. Der Lift soll im Moment noch da sein. Aber nicht mehr lange. Für alle, die können: So bald wie möglich hingehen.

DSCN0017

Muttergottes mit Kind



Dieses Bild zeigt eine allegorische Darstellung der Ausgeglichenheit. Sie greift rechts nach Pflanzlichen und tritt den Luxus mit Füssen.

DSCN0018

Der Anker ist ein Symbol der Hoffnung.

Die Fresken stammen von Johannes Michael Rottmayr und wurden 1726 bis 1730 gemalt. Hier einige weitere brauchbare Infos zu den Fresken.

3
Mai
2011

Echte Gentlemen, keine Schweizer

Es geschah im Café Mozart in Wien. Das Lokal war voll und vor mir warteten zwei Männer-Grüppchen auf einen Sitzplatz. Ich wäre gern woanders hingegangen. Aber ich konnte nicht. Ich hatte mich im Café Mozart mit Herrn T. verabredet.

Da wurde ein Tischchen frei und der Kellner wollte das vorderste Herren-Grüppchen abholen.

"Ach lassen Sie die Dame vor", sagte der eine Herr.

Ich war verblüfft. In der Schweiz passiert mir sowas nie. Auch dann nicht, wenn ich besser angezogen bin als ich es an jenem Tag war. Ich trug diese hellgraue Jacke, in der ich aussehe wie etwas, was der letzte Wirbelsturm hereingetragen hat. Ich meine: Man sollte wenigstens wie eine Dame angezogen sein, wenn man wie eine Dame behandelt wird.

"Aber meine Herren, Sie waren alle vor mir da!" sage ich.

"Eine Schweizerin lassen wir doch gerne vor!" antwortet da einer der Herren. Wahrscheinlich ein Deutscher.

Das hat er gern gesagt. Er hat gern gesagt, dass er meinen Akzent erkannt hat und dass er selber besser Hochdeutsch kann. Und schwingt da etwas von dem Staunen über die Schweizer mit, das einem als Schweizerin im Ausland hie und da begegnet? Gerade bei Deutschen? Diese oft ziemlich direkt ausgesprochene Frage, warum wir eigentlich immer noch in einem Land leben, in dem Milch und Honig reichlich fliessen?

Hey, möchte ich sagen, wir leben ein Land mit Milch und Honig. Aber ohne Gentlemen!

Ich lächle, sage: "Danke, die Herren!" und folge dem Kellner zum freien Tischchen.

Allen Gentlemen schenke ich einen Soundtrack mit einer wirklich sexy gekleideten Sirene, die auch eine tolle Musikerin ist.

1
Mai
2011

Heimliches Tanzvergnügen

Es war gleich nach dem Mittagessen. Ich räumte die Küche auf und hörte DRS3. Die Schweizer Charts liefen an. Bei Platz 39 warf ich den Abwasch-Schwamm weg und tat etwas, was ich seit rund 40 Jahren nicht mehr getan habe. Ich begann zu tanzen.

Ich habe immer gern getanzt. Als Vierjährige tanzte klein Moni Frogg jeden Freitagabend zu den Charts. Mit so viel Hingabe, dass Mutter Frogg glaubte, sie hätte eine Ballerina das Leben geschenkt. Sie nahm mich mit zu einer Tanzlehrerin. Ich musste vortanzen. Doch das Urteil der Frau zerstörte die Illusionen meiner Mama: Klein Moni habe so viel Talent für das Ballett wie eine schwangere Bergente, liess sie verlauten (in etwa).

Ich selber habe die Erinnerung an diesen Vorfall gnädig verdrängt. Aber meine Mutter gab nicht auf. Sie schenkte mir später zum Geburtstag einen Jazztanz-Kurs. Das war lehrreich. Aber es änderte nichts daran: Ich war ein plumper Teenager. Die anderen Mädchen machten Sprünge wie junge Rehe. Ich machte Sprünge wie ein dummer Trampel. Der Kurs vertiefte meine Abneigung gegen jede Art von organisiertem Sport. Ich machte zwar rund anderthalb Jahrzehnte lang die Discos der Schweiz unsicher. Aber sonst tanzte ich wenig.

Doch heute war ich grossartig. Ich hatte kein Tütü, sondern nur eine Küchenschürze mit knallgrünen Rüschen. Als Rhythmus-Instrument diente die Flasche mit dem Sipuro-Putzmittel für den Glaskeramik-Herd. Die Flüssigkeit darin gluckst so schön, wenn man sie schüttelt. Niemand sah mir zu. Herr T. ist ausgeflogen.

Die Charts klingen weniger monoton, wenn man zu den Songs tanzt. Und sie bescherten mir ein paar nostalgische Momente. Platz 37 zum Beispiel:



Wer erinnert sich an das Original? Ja genau: Hier ist es.

27
Apr
2011

Mein Mann ist mein Held

Wie reibungslos unsere Infrastruktur funktionieren würde, merken wir ja immer erst, wenn sie es nicht mehr tut. Zum Beispiel: Wenn der Computer immer abstürzt, wenn man ein PDF öffnen will. Bei mir kann so ein Systemfehler zu einer persönlichen Finanzkrise führen. Denn meine Bank speichert meine monatlichen Konto-Auszüge auf PDF. Ich kann also in einer solchen Lage nicht nur meine Konto-Daten nicht lesen. Ich muss auch noch meine Maschine neu starten. Und wieder in mein Bankkonto einloggen - durch drei Sicherheitsschleusen. Was habe ich meinen armen Computer schon angeschrien in solchen Lebenslagen!

Zum Glück gibt es Herrn T. Ohne Herrn T. würde ich mein Geld mittlerweile von Hand durchs Glasfaserkabel murksen. Oder zum Monatsende persönlich mit einem diskreten Couvert bei den Wasserwerken, der Krankenkasse und dem Vermieter vorbeigehen.

Denn ich muss es gestehen: Ich habe keine Geduld für die Macken meines Computers. Ich bin eine fingerfertige Anwenderin von ungefähr zwei Dutzend Programmen. Mehr nicht. Ich bin nicht stolz drauf. Aber alles andere macht Herr T... Schon seit Jahren.

Herr T. könnte Frau Frogg ja ein bisschen was beibringen, werdet ihr jetzt sagen.

Glaubt mir: Das haben wir versucht. Aber über die so entstandenen Beziehungskrisen schweigt der Bloggerin Höflichkeit

Heute hätte Herr T. endlich Zeit gehabt, meine PDF-Geschichten wieder in Ordnung zu bringen. Aber noch bevor er damit anfangen konnte, gab es gravierende Probleme mit iTunes. Und iTunes hat Priorität. Denn Rechnungen zahlen kann ich auch noch, wenn ich taub bin. Musik hören nicht mehr.

Herr T. mechte* also tapfer an meinem iTunes herum. Sicher eine Stunde lang.

Das hatte auch sein Gutes. Unsere Küche wird nicht erst am Abend oder morgen gemacht. Aber vor lauter Ärger verbrannte ich mir die Zunge beim Teetrinken.

Zum Glück stellte sich danach heraus: Die Sache mit den PDFs hatte sich unterdessen wie durch Zauberhand selber repariert.

Trotzdem schenke ich Herrn T. hiermit zum Dank für seine Bemühungen einen Song.



* Für alle, die hier über das Verb "mechen" gestolpert sind: Es ist im Schweizerdeutsch einigermassen gebräuchlich - in Situationen, wo jemand angestrengt an etwas herumbastelt. Ist irgendwie abgeleitet von "Mechaniker", auf Schweizerdeutsch kurz ein "Mech", zum Beispiel in "Velomech".
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Journal einer Kussbereiten

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