3
Apr
2011

14 Helfer in der Not

Ich lebe bekanntlich im Land meiner Vorfahren. Dennoch überrascht mich zuweilen die Erkenntnis, wie wenig ich über deren Vorstellungswelt weiss. So auch gestern. Ich machte in einer Kapelle Halt, an der ich mehrere Hundertmal mit dem Zug vorbeigefahren bin. Der Ort heisst Adelwil*. Die Kapelle ist klein. Aber innen enthält sie den geistigen Kosmos des ländlichen Frühbarock. Der ist zuweilen ziemlich skurril, wie ich feststellte.

Augenfällig sind zum Beispiel die 15 lieblichen Köpfe, die rund um die Jungfrau Maria gruppiert zu den Bänken blicken. Es sind die 14 Nothelfer, 14 Heilige für alle Lebenslagen. Der 15. im Bunde ist der Heilige Magnus:


Dieses Bild (nicht aus Adelwil, sondern aus dem Bistum Augsburg) deutet schon an, in welchen Lebenslagen man Magnus um Hilfe bat: Er galt als Patron gegen Ungeziefer. Nicht primär gegen Drachen natürlich, sondern insbesondere gegen Raupen,- Mäuse- und Engerlingsplagen.

Einer der 14 Nothelferr ist Sankt Pantaleon. Er ist der Schutzpatron der Ärzte.


(Quelle ist hier ein spanisches Forum namens Evangelizafuerte). Auf diesem Bild hält er ein Kreuz und einen Salbenbehälter in der Hand. In der Kapelle von Adelwil ist das Kreuz durch ein Uringlas ersetzt.

Die heilige Katharina hilft Menschen mit Sprachschwierigkeiten.


(Dieses Bild ist von Caravaggio)

Und die heilige Barbara bei Frauenleiden (dass sie auch die Schutzpatronin der Tunnelbauer ist, wusste ich bereits). Und so weiter.

Wann die hübschen Köpfe in Adelwil entstanden, ist nicht ganz klar. Das meiste in der Kapelle stammt aus der Zeit zwischen 1624 und 1634. Was bin ich froh, dass es zur selben Zeit in anderen Weltgegenden Männer gab, die weniger am Himmel als an der Erde interessiert waren. Sie sorgten dafür, dass es heute Ärzte gibt, die mit dem Uringlas in der Hand nicht zum Heiligen Pantaleon beten müssen. Dass wir die Chemie haben, wenn uns Läuse plagen. Und Logopäden, statt Heiligenbilder und Pfaffen.

Dafür gibt es leider auch keinen Heiligen gegen Atomkatastrophen.

* Für mehr Informationen: Judith Rickenbach: "Zeitspuren", Comenius Verlag, Hitzkirch, 2001.

1
Apr
2011

Der Inspektor und die Karrierefrau

Wahrscheinlich habt Ihr Euch über mein Schweigen in den letzten Tagen gewundert. Nun, ich war Inspektor Lynley beschäftigt. Und wer Inspektor Lynley kennt, weiss: Sich mit ihm zu beschäftigen, ist eine zeitraubende Sache.

Für alle, die ihn nicht kennen: Ich lese gerade dieses Buch.

Zu Deutsch heisst es Wer dem Tod geweiht und ist der neueste Krimi von Elizabeth George. Ihre Bücher sind nicht nur als Krimis unputdownable. Sie sind epische Soap Operas um Scotland Yard-Detektiv Thomas Lynley und seine störrische Kollegin Barbara Havers.

Das heisst, Lynley ist zu Beginn dieses Bandes immer noch auf Urlaub. Er trauert um seine Ehefrau Helen, die hoch schwanger in einer Schiesserei getötet wurde. Sein Chef hat sich nach Ersatz umsehen müssen und eine beinhaarte Karrierefrau gefunden. Sie heisst Isabelle Ardery, ist stets perfekt gekleidet, gibt sich hart wie Granit und fest entschlossen, ihren Weg in einer Männerdomäne zu machen.

Gleich zu Beginn erfahren wir, dass an Ardery nur die Fassade perfekt ist: Innen sieht es weniger gut aus. Im Damenklo greift sie nach dem Anstellungsgespräch zum Wodkafläschchen in ihrer Handtasche. Die Szene kommt völlig unerwartet und hat mich ziemlich schockiert.

Als dann ein Mord passiert, tut sie gleich noch etwas Unerwartetes: Anrdery holt Lynley aus dem Urlaub und als ihren Partner zurück ins Team.

Sehr zum Missvergüngen von Spürnase Havers, die lieber selber mit Lynley ermitteln würde. Und sie wittert erst noch eine erotische Spannung zwischen ihm und der Neuen. Ob sie recht hat?

Ich bin sonst ein grosser Fan von Havers. Aber diesmal gilt meine Neugier Ardery. Ich habe ihr richtiggehend nachrecherchiert. Sie hat in diesem Roman nicht ihren ersten Auftritt. George erfand sie 1994 für "Playing for the Ashes". Damals war sie noch eine perfektionistische Ermittlerin aus der Provinz. Sie liess sich auf einen Machtkampf mit Lynley ein. Natürlich verwies Lynley sie - sanft wie immer, aber nachdrücklich - auf ihren Platz.

Ob sie ihren diesmal Job auf die Reihe kriegt? Ich weiss es noch nicht. Bin noch nicht fertig. Ich denke bloss darüber nach, warum mir dieser Typ Frau so vertraut vorkommt. Ist dieses Karriereweib jetzt schon um ein Klischee aus der Unterhaltungsliteratur? Oder habe ich einfach im realen Leben schon zu viele solche Frauen scheitern sehen?

27
Mrz
2011

Bärlauch-Pesto Schweizer Art

1 Büschel Bärlauch
Salz, Pfeffer
1 oder 2 Esslöfel Baumnüsse
100 Gramm Sbrinz oder Greyerzer Käse
Olivenöl


Bildquelle: www.saison.ch

Den Bärlauch waschen, abtropfen lassen und in einen Mörser geben. Falls kein Mörser vorhanden ist, gehen auch eine solide Schüssel und ein Hammer. Das hintere Ende des Hammers zum Mörsern benützen, das Holz ist dort meist aufgerauht. Den Bärchlauch zünftig mörsern, dabei nach und nach Salz, Pfeffer und die Haselnüsse beigeben, mitmörsern. Den Käse in Stücke schneiden, mitmörsern. Olivenöl beigeben, bis ein schmackhafter, sämiger Brei entsteht. Den fertigen Pesto in Einmachgläser füllen. Am Schluss mit wenig Olivenöl übergiessen. So bleibt der Pesto länger haltbar.

Man kann das Zeug auch mit Pinienkernen und Parmesan machen. Aber Aqcua und ich sind unabhängig von einander zum Schluss gekommen, dass man selbst geernteten Bärlauch auch mit einheimischen Zutaten einmachen sollte.

Natürlich kaufe ich die Nüsse im Supermarkt - und sie stammten aus der Türkei. Und natürlich verwende ich schliesslich doch Oliven- und nicht Rapsöl. Aber wenigstens ansatzweise kann man es ja versuchen mit der kulinarischen Heimattreue, nicht?

Edit: Kann als Spaghetti-Sauce serviert werden: Dazu die Spaghetti nach dem Kochen in die Pfanne zurückgeben. Pro Person etwa zwei Teelöffel Pesto zugeben, gründlich rühren. Mit Reibkäse servieren.

23
Mrz
2011

Joggen oder spazieren?

Früher hoppelte ich ja einmal in der Woche um den Göttersee. Das ist beliebteste Joggerstrecke der Stadt, sechs Kilometer. Ich kann nicht behaupten, dass ich dabei olympiareif wurde. Als Joggerin bin ich immer eine Lachnummer gewesen. Aber ich joggte nicht ungern. Joggen war für mich eine effiziente und preiswerte Art, mein Gewicht zu halten. Einigermassen. Ausserdem ist man beim Joggen an der frischen Luft. Danach prickelte immer neuer Sauerstoff in meinen Extremitäten wie Kohlensäure in einem Glas Mineralwasser. Ich mochte das.

Seit meinen Hörstürzen im Herbst 2009 bin ich nicht mehr gejoggt. Ich fürchtete Schwindelanfälle. Ich fürchtete, der Stress könnte meinem Gehör schaden. Ich wurde statt dessen eine Hardcore-Spaziergängerin. Ich lernte zu schätzen, dass man beim Spazieren sein Ziel frei wählen kann - wenn man nicht überhaupt die Ziellosigkeit wählt. Dass man stehenbleiben richtig hinschauen kann, wenn man zum Beispiel plötzlich einen riesigen Buntspecht in einem Baum sieht. Ich musste dabei nicht schnell und nicht effizient sein. Ich habe ja mehr Zeit als früher.

Aber ich habe schon lange keine nennenswerten Schwindelanfälle mehr gehabt, dafür drei Kilo mehr auf den Rippen als 2009. Am Montag wurde es Frühling. Es gab es keine faulen Ausreden mehr. Ich musste joggen.

Freunde, ich erlebte ein böses Erwachen. Zuerst machte mein MP3-Player schlapp. Er mag das Gerüttel nicht. Dann fand ich mein Tempo nicht. Mehr als eine Minute konnte ich nicht rennen, ohne total ausser Puste zu geraten. Gestählte Athleten pfiffen mir um die Ohren. Die Speckseen auf meinen Hüften wogten. Am Hang fuhr mir die Bise ins Haar und machte mich schwindlig.

Dann, endlich, fand ich mein Tempo. Ich rannte. Rannte. Bis zur nächsten Steigung. "Die nehme ich mit Bravour", dachte ich. Fehlanzeige. Beim dritten Schritt schoss mir der Schmerz ins Knie. Autsch! Alles andere hatte ich weggesteckt. Aber das konnte ich nicht wegstecken. Ich hätte nie gedacht, dass mein Knie mich einmal zum Aufgeben zwingen würde.

Genug. Heute war ich spazieren. Ich erstieg einen 750-Meter-Hügel in einem Vorort. Auf 600 Metern sah ich die Chefin unseres kantonalen Justizdepartements mit einem Team des lokalen Fernsehsenders. Auf Wahlwerbung auf einer Wiese. Ich sah seidige Aprikosenknospen ready to burst.

Mein Knie schmerzt nur noch leise. Philosphisch betrachtet ist der Spaziergang dem Joggen sowieso bei weitem überlegen.

Nur DJ Philemon findet: "You better run run run run run run!"

20
Mrz
2011

Mitgefühl

Heute haben in den Sonntagszeitungen gleich mehrere Chefredaktoren und Chef-Kommentatoren mehr Mitgefühl für die Menschen in Japan gefordert - und weniger hysterisches Geschwätz über AKWs. "Was ist mit mir los?" dachte Frau Frogg. "Bin ich eine hysterische Westlerin auf dem Ego-Trip? Habe ich kein Mitgefühl für die Menschen in Japan?"

Die Antwort lautet: Natürlich bin ich eine hysterische Westlerin. Was könnte ich anderes sein? Dennoch habe ich natürlich Mitgefühl für die Menschen in Japan. Mir wird das Herz schwer, wenn ich den japanischen Premierminister auf Fernsehbildern aus Japan sehe. Links oben im Bild sieht man dann immer auch die Frau, die seine Aussagen in Gebärdensprache übersetzt. Dann muss ich an die Japanerinnen und Japaner denken, die täglich die Zumutungen einer Behinderung bewältigen müssen. Und jetzt noch das.... Und natürlich möchte ich weinen, wenn ich Bilder von den Menschen sehe, die zwischen den Trümmern des Tsunamis Spuren ihrer Angehörigen suchen.

Aber ich habe bislang kein Bedürfnis gespürt, dieses Mitgefühl öffentlich zu bekunden. Dafür habe ich einfach zu viele Ausland-Seiten einer Tageszeitung gemacht. Wer Ausland-Seiten macht, entscheidet jeden Tag über das Gewicht von buchstäblich Dutzenden von Todesfällen. Das ist in diesen Tagen nicht anders, wie mir ein Blick in die gestrige Ausgabe des "Tagesanzeigers" bestätigt: Es starben nicht nur Menschen in Japan und Libyen. Nein. In Pakistan starben am Freitag 40 Menschen bei einem amerikanischen Drohnenangriff. Sie waren den "Tagi" genau eine Nachricht wert. Verdienen ihre Angehörigen nicht auch mein Mitgefühl, ja, meine Empörung über jene, die ihr Leid verschulden? Und wie steht es mit den weiteren paar Dutzend Opfern in anderen Konflliktregionen dieser Welt, die es sehr wahrscheinlich gab - die aber die Zeitungen nicht einmal in ihren Randspalten erwähnten?

Bitte versteht mich nicht falsch: Ich will das menschliche Leid in Japan nicht herunterspielen. Ich denke hier lediglich laut nach. Ich meine: Chefredaktoren und Chef-Kommentatoren wissen, wie man die Auslandseiten einer Zeitung macht. Ich frage mich, weshalb sie in diesen Tagen so sehr an unser MItgefühl appellieren.
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