13
Jul
2010

Top 5 Engadin: Sent

Wie einige von Euch sicher bemerkt haben, musste ich nicht nur meine ehrgeizigen Berggängerpläne herunterfahren. Auch meine Berichterstattung über das Engadin wird jetzt zurückgestutzt. Warum, werde ich in Kürze verraten. Hier einstweilen die Fortsetzung meiner ehemaligen Top 10.

Als archetypisches Engadiner Dorf wird ja der ganzen Welt Guarda verkauft.

(Quelle: www.fotolink.ch)

Gewiss, Guarda ist hübsch. Aber Guarda kennt inzwischen jeder. Sogar die Japaner treiben sich dort oben herum.

Reizvoller finde ich persönlich Sent. Dort hat man sich vom Dörfli-Groove entfernt und der architektonischen Formensprache des Engadins ein geradezu kleinstädtisches Gepräge gegeben.


(Quelle: www.sent-online.ch)

Das ist eine Leistung, denn Sent hat lediglich rund 900 Einwohner, und der Dorfkern liegt auf 1430 Metern über Meer. Offenbar* liegt es daran, dass früher viele Leute von dort in die grossen Städte Europas emigrierten und als Zuckerbäcker ordentlich Geld verdienten. Wenn sie zurückkamen, leisteten sie sich ein richtig schönes Haus.

Eine echte Trouvaille ist auch das Verlorene Café. Ich nenne es das Verlorene Café, weil ich seinen Namen nicht notiert und es nicht einmal fotografiert habe. Ich bin lediglich einmal in Eile daran vorbeigegangen und habe es später vom Postauto aus gesehen. Ich war nicht mal drin. Aber das macht nichts: Es ist das Portal des Ladens, das den Frogg'schen Architekturpreis verdient hat. Es vereint Engadiner Sgraffito-Technik mit einem rauen Art Deco-Chic. Es liegt an der Hauptstrasse von Sent, eher am Westende. Falls jemand von Euch es fotografiert, schickt mir bitte eine Kopie von dem Bild!

Einstweilen bleibt das Verlorene Café für mich ein Grund, wieder einmal ins Engadin zu reisen.

* Quelle: Chasper Baumann: "Engadin", der tauglichste Reiseführer, den ich über die Region gefunden habe. Er ist ziemlich oberflächlich, dafür umfassend. Und er verzichtet auf die akademischen Schwurbeleien, die den fundierteren Werken über die Gegend anhaftet.

11
Jul
2010

Am Berg gescheitert

Nach dem Glückserlebnis im Val Plavna suchte ich die Herausforderung am Berg. Nichts geringeres als der Felsenweg im Val d'Uina sollte es am nächsten Tag werden.


(Bild Quelle www.bce.98.ch)

Natürlich hatte ich ein paar Bedenken. Ich meine: Ich fahre wegen meiner Schwindelanfälle nicht mehr Auto. Wie ich es mit Bergtouren halten soll, hat mir nie jemand gesagt. Ich habe zu fragen vergessen. Und wenn Du die Menière'schen Krankheit hast, rennt Dir nie einer nach, um Dir einen guten Ratschlag zu geben. Das weiss ich inzwischen.

Der Weg sei gut gesichert, versicherte mir Herr T. immerhin. Er sei schon als Kind dort oben gewesen.

Ob das stimmte, fand Frau Frogg nie heraus. Denn sie scheiterte schon am Aufstieg über einer Felswand. Der war nicht gut gesichert. Da gab es ein Feld mit Schneeresten zu überwinden. Dann kam ein schräger Holzbalken, der einzige Halt in einer Steilwand. Und kaum darüber hinweg gekraxelt, sah Frau Frogg schon die nächste Gefahrenzone ohne Extra-Sicherung für Meniere-Patientinnen.

Ich verspürte ein merkwürdiges Gefühl in der Magengrube. Und über Schwindel weiss ich inziwschen eins ganz sicher: Er wird schlimmer, wenn er unter keinen Umständen da sein sollte. Ich bestand auf Umkehr, und zwar unmissverständlich.

Herr T. war not amused. Ist er einmal losgezogen, so lässt er sich ungern so kurz vor dem Ziel stoppen. Aber man muss zu seiner Ehrenrettung sagen: Er verhielt sich wie ein Gentleman.

Auf dem Rückweg sahen wir zwei Mittfünfzigern mit Mountain-Bikes zu. Sie quälten unverzagt ihre Zweiräder jenen Pfad hoch, an dem ich so kläglich gescheitert war. "Pah! Zwei Dienstleistungs-Sklaven, die sich etwas beweisen müssen!" lästerte Frau Frogg.

Aber die Niederlage traf sie tief. Sie stieg nicht nur vom Berg hinunter, sie tauchte tief hinab in ein älteres Ich. Sie war wieder die pummelige Drittklässlerin, die unten stand, wenn die anderen oben auf der Kletterstange sassen. Die bei der Teamwahl zum Völkerball-Spiel bis zuletzt aussen vor blieb. Die einen Schrecken vor dem Reck hatte.

Der Weg zurück durchs Val d'Uina war lang und dunkel. Erst nach einer Weile sah ich wieder den Wald, den Bach, die Blumen. Es waren die Worte unseres Vermieters, des Pfarrers, die mich schliesslich trösteten. "Haben sie die Blumen gesehen?" hatte er gefragt. Und dann: "Man muss die Blumen nicht beim Namen kennen. Man muss sie nur sehen."

10
Jul
2010

Top 5 Engadin: Eis

Wer eine Abkühlung braucht, ist hier genau richtig. Hier gibts einen Beitrag über die vielleicht höchstgelegene Eisdiele Europas (1200 Meter über Meer). Wobei sie natürlich nicht Eis verkauft, sondern Glatsch*, und zwar gemäss eigenen Angaben solches aus melkfrischer, biologischer Alpenmilch. Sie heisst Glatscharia Balnot.



Das Lokal liegt am Stradun, der Hauptstrasse von Scuol. Es ist in einem Gebäude untergebracht, auf dem ein grosses, gellblaues "@" prangt. Vielleicht deshalb, weil die Glatscharia gleichzeitig das Internet-Café von Scuol ist. Es gibt zwar dort lediglich zwei Terminals. Aber seit der Erfindung des Laptop besuchen wahrscheinlich nur noch Menschen das Internet-Café, die es sich leisten können, ihren Arbeitsplatz nicht in die Ferien mitzunehmen. Herr T. und ich waren jedenfalls meist weit und breit die einzigen Nutzer. Aber das Angebot war ok: Die Preispolitik leger, die Tastaturen stets sauber (keine Selbstverständlichkeit!).

Ich verbrachte gerne viel Zeit in der Glatscharia - auch wenn es damals im Engadin so kalt war, dass darob ganz bestimmt der ganzen Welt der Appetit auf Eis verging. Doch das Lokal verströmt stets diesen wunderbaren Konditorei-Duft, der Frau Frogg noch in der Erinnerung ewig und drei Tage lang Appetit auf Latte Macchiato oder wenigstens das Schöggeli zum Verveine-Tee machen wird.

Und jetzt kommen wir doch noch zum Eis, das wir wegen des kalten Wetters erst gegen Ende der zweiten Woche probierten.

Klar, dass es ausgezeichnet war. Dazu bietet die Glatscharia Balnot einige ziemlich ausgefallene Aromen an: "Holunder" zum Beispiel (ein wenig wässrig), oder "Chili-Chocolat" (mein Favorit, aber nichts für Traditionalisten), "Marzipan" und dazu alles von "Ananas" über "Aprikose" (köstlich) bis "Vanille" und "Waldbeeren".

* rumansch für Glacé oder Eis, wie auch in halla da glatsch.

9
Jul
2010

Top 5 Engadin: Val Plavna

Das Unterengadin hat mindestens ein Dutzend Seitentäler. Von aussen betrachtet sehen sie alle gleich aus: Waldig. Bergig. Aber Herr T. fuhr an guten Aussichtspunkten gerne mit dem Zeigefinger durch die Gegend und deklinierte die Namen der Täler mit unüberhörbarer Begeisterung herunter: Da das Val Sinestra, dort das Val d'Uina, hier das Val Sowieso, dort das Val Soundso und eben das Val Plavna.

An unserem ersten Schönwettertag gab es für ihn kein Halten mehr: Er führte uns auf den Engadiner Touren-Klassiker vom Val Mingèr ins Val Plavna. Hier eine genaue Tourenbeschreibung.

Das Val Mingèr ist hübsch und voller Alpenveilchen. Es liegt im Nationalpark, und wir sahen in der Ferne Munggen* herumhoppeln und wahrscheinlich mindestens einen Bartgeier. Mindestens.

Aber der erste Hammer kam nach einem fast dreistündigen Aufstieg auf dem Pässchen Sur il Foss.

Mister T. sur il foss

Ich meine: Wenn man Frau Frogg früher solche Bilder zeigte, dann lächelte sie höflich und dachte: "Rotsockenhuberei!" Frau Frogg ist eine ausdauernde Spazierergängerin. Eine Hochgebirgs-Ziege ist sie nie gewesen. Aber das hier, das war irgendwie überwältigend. Diese Weite! Wildheit! Diese Ödnis! Dieses Licht!

Der Abstieg ins Val Plavna war ebenso überwältigend. Er führt einer riesigen, steil abfallenden Geröllhalde entlang. Für Menière-Patientinnen fahrlässig. Aber ich merkte es erst, als es zum Umkehren zu spät war. Ich steckte tapfer meine Stöcke ins Gestein und schritt weiter. Und ich war glücklich. Ich wusste plötzlich, dass diese Wanderung einen Soundtrack hat. Ich sang ihn leise vor mich hin - oder versuchte es wenigstens:



Am unteren Ende der Geröllhalde steht eine Alphütte. Dort hätte ich stundenlang an der Sonne sitzen und dem Mungg weit unten auf der Bergwiese vor mir zuschauen können. Aber wir hatten zu wenig Wasser, um hier lange herum zu hängen. Und uns standen noch drei Stunden Abstieg nach Tarasp bevor. Herr T. zückte seine Karte aus dem Jahr 1985 und zeigte mir, wo's langging.

Einen weiteren Kilometer talabwärts zeigte sich, dass seine Karte nicht mehr aktuell war: Vor uns lag eine gewaltige Steinwüste. Geschiebe hatte seinen hübschen Weg total zugedeckt. Zum Glück gab es eine neue Piste. Und im Zweifelsfall wiesen da eine Baumskulptur, dort ein Steinmannli oder ein Maultierdung-Haufen den Weg.

Mr. T. im Val Plavna

Wir brauchten eine Stunde, um die Wüste zu durchqueren. Nun befanden wir uns im Bärenland. Auf dem Hügel, der auf dem Bild Herrn T.s Hals schneidet, war Meister Petz am Tag zuvor gesichtet worden. Er hatte dort auf einer Alp ein Schaf gerissen. In einem Schneerest am Wegrand hielt Herr T. Ausschau nach Bärenspuren. Aber wir sahen weder das Tier noch seine Fussabdrücke.

* Murmeltiere

6
Jul
2010

Für Fussballmuffel

Der Zwang zur Fussballbegeisterung nimmt hierzulande allmählich totalitäre Züge an. Wer sich nicht wenigstens ein bisschen für Fussball interessiert, gilt als nicht ganz normal.

Frau Frogg interessiert sich schon ein bisschen für Fussball. Aber sie war ausgerechnet während der Gruppenspiele zwei Wochen lang mit einem ausgesprochen normalen Menschen in eine Einzimmer-Ferienwohnung gesperrt. Herr T. musste Fussball gucken, so oft die Umstände es erlaubten.

Die Umstände erlaubten es oft. Das Wetter war so miserabel, dass mir nicht einmal die Fluchtmöglichkeit auf den Balkon blieb. Schon beim zweiten Gruppenspiel begann das stets mindestens 88 Minuten und 30 Sekunden lang ergebnislose Herumgerenne auf dem Bildschirm mich zu langweilen. Und gefühlte 55-Mal am Tag düdelte der offizielle WM-Jingle des Schweizer Fernsehens über den Bildschirm - gefühlte 74 Mal der offizielle Werbespot der Hauptsponsoren mit dem schwarz gekleideten Dribbler, ihr wisst schon. Dazu das nicht enden wollende Gschnorr der Herren Salzgeber, Hüppi, Suter, Gress etc. Ich erlitt einen unheilbaren Fussball-WM-Overkill.

Wegsehen konnte ich. Weghören nur bedingt. Zuerst nahm ich Ohropax zu Hilfe, um wenigstens das Gefiepe der Vuvuzelas zu dämpfen. Unter solch schwierigen Umständen las ich zwar nicht gerade Dostojewskij. Aber es reichte für diesen Roman:

Er ist so spannend, dass man ihn auch bei gedämpftem Fussball-Lärm lesen kann - und ganz schön erotisch. Er hat einen vage philosphischen Ansatz und einen äusserst perfiden Schluss.

Später lernte ich: Jahre im Grossraumbüro und noch mehr Jahre mit einem Tinnitus hatten mich bestens darauf vorbereitet, einen Meter neben einem Vuvuzelas übertragenden Fernseher auch ohne Ohropax zu lesen. So las ich den Roman zur Fussball-WM:



Das hatte den Vorteil, dass ich das Wichtigste trotzdem hörte und in der Zeitlupe dann sofort auch sah: "unseren" Sieg über die Spanier. Weltklasse-Goalie Diego Benaglio in Höchstform. Diego Maradona als Trainer-Primadonna. Den schlimmsten Schiedsrichter der Fussball-Geschichte (in jenem zweiten Schweizer Match gegen wen jetzt schon wieder?). Dass die Schweizer nach Hause gingen. Dass die Franzosen nach Hause gingen. Dass die Italiener nach Hause gingen. Dass die Afrikaner nach Hauser gingen. Dass Maradona nach Hause geht. Dass die Spanier jetzt doch brandgefährlich sind. Und die Deutschen auch. Muss man mehr wissen?

Mittlerweile sind auch Herr T. und ich wieder zu Hause. Jetzt habe ich nicht nur einen Tipp für Fussball-Muffel. Sondern auch für all jene, die nach einem Tag in der Badi in einem grossen, kühlen, unglaublich leeren Raum intelligent unterhalten werden wollen. Geht ins Kino und seht Euch diesen Film an:



Es ist ein Kostümschinken - und ein wunderbar romantischer Kostümschinken noch dazu. Aber auch ein cleverer Streifen und gar nicht so unmodern. Er dreht sich um eine Frau, die lernt, im Haifischteich der Macht zu schwimmen, im richtigen Moment zu beissen und die richtigen Kumpels zu finden. Das einzige, was sie leider nicht hat, ist eine Waffe gegen Fussball-Overkill.
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