28
Okt
2009

Krimi ganz neu

"Nein, das kannst Du nicht machen! Du kannst Deinen Krimi nicht wegschmeissen! Du kannst die Arbeit von drei Jahren nicht einfach vernichten!" so sprach meine Freundin Helga Mitte September. Man muss Helga immer ernst nehmen, wenn sie etwas sagt. In diesem Fall aber besonders, denn sie ist bislang die einzige meiner Bekannten, die einen lesenswerten Roman geschrieben hat (leider - noch - unveröffentlicht).

Dennoch sagte ich: "Doch, kann ich! Weisst Du: Ich kann das Ding nicht mehr sehen, und es ist grottenschlecht! Ausserdem habe ich eine viel bessere Idee, wie ich das Ganze anpacken soll. Und sei versichert: Ich schmeisse nicht alles weg. Ich zerlege einfach alles in seine Einzelteile und setze es neu zusammen."

Aber Helga liess nicht locker. Da sagte Frau Frogg: "Also gut, Helga! Ich schicke Dir jetzt das Ding! Lies es, dann weisst Du, wovon ich rede."

Ich war froh, dass ich ihr das Buch schicken konnte. Den ich war ich war im Grunde nicht sicher, was ich wollte. Ja, ich hatte eine Idee gehabt, wie ich das traurige alte Ding demontieren und aus den Trümmern etwas Neues bauen könnte. Sie war sogar so gut, dass ich Anfang September eine ganze Fahrt im TGV von Paris nach Basel notiert und notiert und notiert hatte. Und zuvor schon eine halbe Nacht lang. Aber das neue Projekt bedeutete noch einmal zwei bis drei Jahre Arbeit. Gab es keinen einfacheren Weg?

Als ich meinen Krimi nach Deutschland gemailt hatte, liess ich mich gehen. Ich genoss das Wetter und die Umstände und verspürte das erste Mal in meinem Leben eine geschlagene Woche keine Lust zu schreiben. Nicht ein einziges Wort.

Dann hatte ich zwei Hörstürze. Ihr kennt die Geschichte.

Dann, letzten Montag, telefonierte ich mit Helga. Sie hatte den ganzen Papierberg gelesen und getreulich korrigiert. Und sie sagte: "Die ersten zwei Kapitel sind klasse. Das ist etwas vom Besten, was ich aus der Schweiz gelesen habe." Was nicht viel heissen will, den Helga hat zwar fast zehn Jahre in der Schweiz gelebt. Aber sie verachtet im Grunde die Schweiz - so, wie die meisten anderen Deutschen in der Schweiz. Sie hat ausser Novellen von Conrad Ferdinand Meyer, der "NZZ" und dem "Blick" seinerzeit nicht sehr viel "aus der Schweiz" gelesen. Dann sagte sie: "Aber die anderen drei Kapitel, Frau Frogg, ehrlich gesagt, die anderen drei Kapitel funktionieren nicht!" Sie erklärte mir dann auch, warum, und das war das beste am ganzen Gespräch. Denn es erklärte mir das, was ich im Grunde wusste - ohne es in Worte fassen zu können.

Seit diesem Gespräch glaube ich, dass ich wieder gesund werde.

Und ich habe angefangen, an meinem neuen Projekt zu arbeiten.

Wer aber das erste Kapitel meiner Unveröffentlichten lesen will, kann sich bei mir melden. Ich schenke es ihm gern zu Weihnachten!

23
Okt
2009

Hendrix in der Südostbahn

Für Nicht-Kenner der schweizerischer Eisenbahnen: Die Südostbahn ist ein Zug, der von Luzern ostwärts durch nicht enden wollende Berg- und Hügellandschaften kriecht. Idyllisch bei schönem Wetter. Am Arsch der Welt bei Hochnebel. Gestern lag dicker Hochnebel. Die Frogg betrachtete aus dem Fenster des Zuges Bauernhöfe und zubetonierte Landstädtchen, stichfest konserviert in grauem Gelee.

In Wattwil setzt sich eine 16-Jährige zu mir ins Abteil und greift zum Handy. Sie ruft zu Hause an. Aber ihr Ton legt nahe: Sie besucht irgendwo eine Managerschule, und jetzt gerade übt sie Personalführung nach Lehrbuch mit den Leuten zu Hause.

"Und irgendöpper mue no go Schtocki chaufe", gebietet sie ihrer Schwester, ihrem Bruder oder ihrem Papi.
"Jo i waiss, mier chönted au Nüdeli mache, aber waisch, i finde..." hier schraubt sich ihr Ton auf die süsslichen Höhen der Motivier-Stufe 10 für unzuverlässiges, aber leicht manipulierbares Personal, ...i finde aifach, Schtocki isch so öppis Guets!"*

An diesem Punkt greife ich zu meinem MP3-Player. Inzwischen habe ich Fortschritte gemacht und ihm ein paar Alben einverleibt. Dabei habe ich geradezu gierig Werke aus meiner Vinylphase ins virtuelle Einkaufwägeli gepackt. Solche, die bei Frau Frogg nicht zuletzt aus technischen Gründen lange Jahre dem Vergessen anheim gefallen waren.

Ich beginne gerade zu denken, wie schade es sei, wenn so junge Leute schon so strebern müssen wie mein Gegenüber. Da gewittern mir die ersten Akkorde von "All Along The Watchtower" ans Trommelfell.



Jetzt denke ich vorerst gar nichts mehr. Der Song ist noch besser als ich ihn in Erinnerung hatte. Er ist eine Offenbarung. Seit Jahren habe ich mich nicht mehr so genau richtig, so genau wie ich selber gefühlt.

Ich habe viele Jahre lang wenig Musik gehört - weil ich viel gearbeitet habe. Und wegen meines Ohrenleidens. Weil ich immer dachte: Je weniger ich weiss, desto weniger werde ich vermissen, falls ich einmal taub werde. Vielleicht liegt es auch daran, dass mich der Song vor Glück fast durch die Zugdecke katapultiert. Nach so vielen Jahren Musik-Entzug... Ich werde meinen Approach ändern müssen.

Später denke ich dann wieder über die Jungmanagerin in meinem Abteil nach. Ich denke, dass es eigentlich genau umgekehrt sein sollte. Die 16-Jährige sollte sich in die bessere Welt des Sounds donnern lassen. Ich, die 44-Jährige, sollte die Dinge im Griff haben und ihre Brut zu Hause herumorganisiern.

Aber es ist nun mal so rum. Und es ist gut so. Ja, es ist gut.

* Zu Deutsch: "Irgendjemand muss noch Stocki (Kartoffelpüree zum Anrühren), einkaufen."
"Ja, ich weiss: Wir könnten auch Nudeln kochen. Aber ich finde einfach, Stocki ist so etwas Gutes."

20
Okt
2009

Grauenhaft komischer Roman

In Londoner Buchläden muss man ja immer drei Bücher für den Preis von zwei kaufen. So kam ich letztes Jahr zu diesem Titel. Er war das nachlässig ausgewählte Anhängsel zu einem Duo, das ich unbedingt wollte.

width=80% Auf deutsch heisst es "Caravan". Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich das Ding noch lesen würde. Aber letzte Woche wurde der Lesestoff in Frogg Hall krankheitsbedingt etwas knapp, und so machte ich mich schliesslich doch an des Werk der ukrainisch-stämmigen Engländerin Marina Lewycka. Ich war angenehm überrascht.

Lewycka macht eine romantische Komödie aus einem Thema, das wir eher in einem dokumentarisch gehaltenen Problemfilm erwarten: dem Schicksal von papierlosen Wanderarbeitern in Westeuropa. Die jungen Ukrainer Irina und Andryi lernen sich beim Erdbeerpflücken auf einem Feld in Kent, Südengland, kennen. Von dort aus setzen sie mit einem zugelaufenen Hund zu einer Reise gen Norden an.

In diesem Buch herrschen blanker Hunger und gezielte Fehlernährung. Da lauern an jeder Ecke Gauner, die nur darauf gewartet haben, mit ahnungslosen Immigranten ein profitables Geschäft zu machen. Da liest man von grauenhaften Zuständen auf einer Hühnerfarm. Der widerliche Mädchenhändler Vulk ist Irina auf den Fersen. Und die Erinnerungen der Protagonisten an die ukrainische Heimat sind alles andere als rosig. Und doch ist der Roman ungeheuer komisch.

Irina und Andryi treffen jede Menge Figuren - Migranten wie sie oder Einheimische. Alle haben keinen Schimmer darüber, wie es um die Welt rundum wirklich bestellt ist (Irina und Andryi zunächst auch nicht). Die Beschränktheiten jeder einzelnen Figur stellt Lewycka sprachlich brillant dar - bis hin zum Hund. So entsteht ein auf immer wieder verblüffende Weise ironisiertes Bild dieser schonungslos brutalen Welt.

Deutschsprachigen Kritikern gefiel das im allgemeinen. Die britische Kritik, schwarzem Humor gegenüber sonst ziemlich tolerant, gab sich zart besaitet. Man dürfe nicht in diesem leichten Ton über so schwere Themen schreiben, findet etwa der Guardian. Da mache sich jemand über die Schwächsten lustig, findet eine Kommentatorin auf amazon.com.

Ich sehe das anders: Man darf. Denn über Andryi und Irina lacht man bald nicht mehr. Sie beweisen Stehvermögen in widrigsten Umständen. Sie sind tapfer. Sie lernen. Die bleiben nicht als Figuren in Erinnerung, über die man lacht, weil sie naiv sind. Sie sind Figuren der Hoffnung.

Und übrigens: Eine ultrarealistische Abhandlung über die Zustände auf Hühnerfarmen hätte ich wahrscheinlich in meinem Zustand gar nie gelesen. Nach diesem Buch aber werde ich mir gut überlegen, welches Poulet ich nächstes Mal im Cööpli kaufe.

18
Okt
2009

Ich werde gesund!!!

Mitten in der Nacht auf gestern wachte ich vom sattsam bekannten Dröhnen im rechten Ohr auf. Ich geriet in Panik. Mein Ohrenarzt hatte mir zwar seine Handynummer gegeben. Aber wenn mein Ohr jetzt schon wieder dröhnte, dann hatte es gar keinen Sinn, ihn anzurufen: Dann hatte auch er nichts mehr in der Hand gegen die Taubheit. Denn das Dröhnen, ja, ich kenne es mittlerweile: Es ist der Vorbote, der monströse Begleiter, die hartnäckige Nachhut der Taubheit.

Ich schaffte es trotzdem, noch ein paar Stunden zu schlafen. Dann stand ich auf und dachte darüber nach, was ich tun sollte.

Und plötzlich wusste ich: Ich habe gar keine Alternative als gesund zu werden. Ich muss gesund werden, dachte ich. Was immer mich in dieses Schlamassel gebracht hat, es war ein Irrweg. Ich will gesund werden, und ich kann es durch nichts als meine eigenen Kräfte.

Ich setzte mich aufs Sofa und horchte. Von Sofa aus hörte ich den Kühlschrank - noch - heimelig surren, es ist ein dreistimmiges Surren, wir haben einen Electrolux IK 275. Die tiefste Stimmte gurgelte, ein schlechtes Zeichen. Ich sass da und zwang den tiefsten Ton des Kühlschranks zu mir her, mit schierer Willenskraft. Es ging. Aber es war sehr, sehr anstrengend.

Den ganzen Tag liess ich keinen anderen Gedanken zu als den: Ich will gesund werden. Ich hatte Besuch (danke, Veronika!), ich ging schnell ins Büro, ich schlief ein bisschen, ich hörte Musik, und ich dachte: Ich will gesund werden.

Es hat funktioniert. Ich höre. Bis jetzt.

Aber es braucht Kraft. Und es kann nicht schaden, wenn Ihr mir ein wenig die Daumen haltet, damit ich es weiter schaffe.

16
Okt
2009

Cortison, Sex, Rock'n'Roll

Wer krank ist, darf Dinge, die ein Gesunder nicht darf. Zum Beispiel tröstliche, aber etwas unbedarfte Bücher lesen. Solche, die ein gebildeter Mensch im Vollbesitz seiner Kräfte vielleicht nicht lesen würde. Trivialliteratur.

Wahrscheinlich darf man auch etwas befremdliche Musik hören, wenn man gerade krank geschrieben und mit Drogen wie Cortison vollgepumpt ist. Musik hören tue ich auf jeden Fall. Denn Kühlschränke und Abwaschmaschinen, so schön sie sind, reichen der Frogg im Moment nicht mehr. Nein. Zur Zeit denkt sie: Vielleicht wird meine Zeit zum Musikhören knapp. Also muss ich mir einen Vorrat anlegen. Unvergessliche Songs. Songs fürs Leben. Ich suche sie auf dem Internet und will sie eigentlich auf meinen neuen MP3-Player herunterladen.

Aber ich lasse mich ablenken und lande immer wieder auf irgendwelchen YouTube-Videos. Zum Beispiel auf diesem hier.



Ich habe es mir sicher schon dreimal angesehen - nebst einer Reihe anderer Videos von Zeppelin. Wie besessen. Ich verstehe mich selbst nicht mehr. Denn natürlich, in den achtziger Jahren liebte die Frogg Heavy Metal. Natürlich schüttelte sie damals im Fliegerschuppen im Vorort ihre schwarzbraun flackernde Mähne zu "Whole Lotta Love". Aber ein Song fürs Leben war das damals nicht, und heute bin ich für sowas eigentlich zu reif.

Warum also? Ja, klar. Das Ding ist schierer Sex, gut inszenierter Sex. So entdecke ich hier, was ich als Teenager verpasste, weil unsereiner ja die Sexgötter von anno dazumal noch nicht auf YouTube sehen konnte - sondern nur ausnahmsweise (falls es sie noch gab) in einem biederen Fernsehstudio. Ausserdem ist das Video ein ziemlich guter Mitschnitt von einem ziemlich guten Gig, das werden Kenner bestätigen.

Aber da ist noch etwas anderes, und schliesslich verstand ich es: Der Song ist basslastig. Und genau von den Bässen brauche ich einen Vorrat. Ich könnte die ganze Nacht lang Bässe hören. Sie streicheln mein Ohr. Sie geben mir Herzklopfen. (Damit Ihr Euch keine Sorgen macht: Natürlich höre ich das Zeug mit stark heruntergedrehtem Ton!)

Und noch etwas: Wenn dieses ekstatische Krächzen von Robert Plant den Raum zerschneidet, dann erinnere ich mich plötzlich, dass in meinem verängstigten Körper einmal eine verrückte, wütende, hungrige Seele steckte. Es muss doch möglich sein, sie wieder ins Leben zurückzulocken!
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