4
Feb
2009

Alptraum

Neulich nachts weckte mich ein Schwindelanfall. Ich glaubte im Schlaf zu fallen, öffnete die Augen, und sah, wie mein schwach von aussen erleuchtetes Fenster über mir eilig im Kreis herumratterte. An sich erschreckt mich das schon lange nicht mehr. Meistens drehe ich mich einfach auf die andere Seite und mache die Augen zu. Dann geht der Schwindel wieder weg. Neulich nachts schluckte ich schnell ein Antemin, denn diesmal drohte Übelkeit.

Antemin ist ein gutes Medikament, aber nachts versetzt es mich manchmal in einen merkwürdigen Halbschlaf. Ich lag also da, etwas verkrampft, wegen des Schwindels, und Bilder von Dead Man von Jim Jarmusch zogen mir durch den Kopf



Ich habe nie einen beklemmenderen, düstereren Film gesehen. Ausgerechnet am Vorabend habe ich ihn gesehen, und ich stehe noch ganz im Bann seiner Bilder- und Soundkulisse. In meinem Halbtraum liege ich in einem Boot wie Johnny Depp, der Himmel über mir dreht sich, ich weiss, dass ich sterbe und in mir breitet sich unsägliches Grauen aus.

Als erwachte, war ich wie erschlagen. Ich kann an kein lautes Konzert mehr. Ich kann nicht mehr Auto fahren. "Kann ich mir jetzt nicht mal mehr einen genialen Film ansehen?!" dachte ich.

2
Feb
2009

Sie ist 35

Endlich habe sie einen Mann gefunden, den sie liebe, sagt sie. "Wir lieben uns", sagt sie und ihr Gesicht wird weich und hell dabei.

Jetzt will sie ein Kind.

Nur: Er weiss nicht, ob er auch eins will. Er hat schon zwei. Aus einer früheren Ehe.

"Neulich hat er sogar gesagt, er wolle ganz sicher keine mehr!" sagt sie. Sie aber will ein Kind. Sie hat schon alles geplant. Sie sieht überall Frauen mit runden Bäuchen.

"Jetzt weiss ich nicht, was ich tun soll", sagt sie. "Ich meine: Ich bin 35. Wer weiss, ob ich überhaupt noch einen Mann finde, den ich liebe. Mit dem ich etwas Gemeinsames aufbauen kann. Soll ich jetzt einfach auf das Kind verzichten?"

Ich kenne sie kaum und bin völlig verblüfft, dass sie mir das alles erzählt. Ich bin 43 und ich möchte ihr zurufen: "Lieb doch den Mann! Fordere nichts von ihm, was er nicht einlösen kann! Freu Dich über die Liebe. Das ist genug!"

Aber ich habe gut reden. Ich habe die Kinderfrage schon lange abgehakt. Ich habe mir auch nie besonders heftig ein Kind gewünscht.

30
Jan
2009

Nur eine Minute

Die Menschen des 20. Jahrhunderts standen im Ruf, die Zeit besser im Griff zu haben als alle Menschen vor ihnen.
Wir Menschen des 21. Jahrhunderts lernen sogar noch dazu.

Die Frogg zum Beispiel gestern gegen Abend. Ich stehe bei der Bushaltestelle Schlossberg Luzern. Muss zum Bahnhof. Rundum ist, wie um diese Zeit üblich, der Verkehr zusammengebrochen. Ein Dutzend Leute wartet auf den Bus. Wartet. Wartet und wirft ab und zu einen ungläubigen Blick auf die digitale Anzeigetafel der Verkehrsbetriebe Luzern. Dort steht, wann der nächste Bus kommen soll. Man wartet. Wartet. Endlich kommt ein Bus. Er ist platschvoll.

Soll ich den nächsten nehmen? Auf der Anzeigentafel der steht, er komme in "1 Min.".

"Lieber nicht", denke ich, "Wenn die nächste Minute genau so lang ist wie die letzte, komme ich auf jeden Fall zu spät."

29
Jan
2009

Besuch im Gefängnis

Wie fragt man im Gefängnis jemanden ob er ein... naja, äh... Insasse... sei? Oder heissen die Betroffenen des offenen Strafvollzuges gar nicht Insassen? Sondern Gefangene? Sträflinge? Häftlinge? Klienten?

Ja. Wie soll ich den älteren Mann vor mir fragen? Ich stehe da, in der Empfangshalle eines mittelgrossen Gefängnisses. Ich warte auf einen Vollzugsbeamten, der mir freundlicherweise erlaubt hatte, ihm ein paar Fragen zu stellen. Er hat sich verspätet. Ich stehe. Die Stühle sind weg, denn der Hallenboden wird gerade gereinigt. Der ältere Mann bearbeitet methodisch die ziegelroten Steinfliesen mit einer Reinigungsmaschine. Ein Putzprofi? Oder ein Gefangener*? Schliesslich stehe ich ihm im Weg. Da kümmert er sich um mich. Er bringt mich in einen Raum mit Stühlen und holt mir einen Kaffee aus dem Automaten. Der Deal ist sofort klar: Er kauft mir Kaffee, ich leihe ihm ein Ohr. Er putze ganz gerne, sagte er. "Mir ist wichtig, dass es sauber ist. Und die Zeit vergeht dabei."

"Sie sind also... ähm... einer von hier?" fragte die Frogg.

"Jaja"; sagt er, "aber wissen Sie: Mich kann man nicht strafen!" Er hätte sogar abhauen können, sagt er. "Ich habe einen Diplomatenpass." Aber eben. Das alles sei ganz in Ordnung. "Ich bin sowieso nur drin, weil Wichtigstadt so korrupt ist. Wichtigstadt ist die korrupteste Stadt der Schweiz! Ja, wussten Sie das nicht?!"

"Ach! So eine schöne Stadt! Korrupt soll die sein?!"

"Und wie!" Es folgen etwas wirre Ausführungen. "Und dann der Neid! Wissen Sie, meine Wohnung in Wichtigstadt war schöner die des schweizeweit bekannten Bankdirektors Z. Das haben mir alle gesagt. Nur wegen des Neids bin ich hier hereingekommen. 2001 bin ich hier hereingekommen, und vor zwei Monaten, unglaublich, zwei Monaten, bekomme ich einen Brief vom Gerichtspräsidenten! Darin schreibt er mir, was ich gemacht hätte, sei legal gewesen! Nach bald zehn Jahren!" Jetzt komme er noch diesen Frühling heraus. "Meine Frau, wissen Sie, die ist Deutsche und hat immer diese Talk Shows gemacht. Meine Frau, die hat sich zuerst furchtbar darüber aufgeregt, dass ich ins Gefängnis musste. Aber jetzt macht es ihr nichts mehr aus. Sie hat's auch begriffen. Alles wegen der Korruption! Alles wegen dem Neid!"

Es folgen weitere Ausführungen. "Und die UBS", prophezeit er, "die wird sich in Luft auflösen. Sie werden sehen! Die Schweiz hat doch kein Geld!"

Natürlich ist er wegen irgendwelcher Vermögensdelikte drin. Er habe eine Firma gehabt, mit der er international Regierungen finanziert habe. "Nur mit Deutschland, da machen wir keine Geschäfte mehr. Da haben doch die Araber das Sagen! Überall!"

Ungefähr an dieser Stelle kommt der Vollzugsbeamte F, mit dem ich verabredet bin. Ich verabschiede mich von dem Gefangenen mit Diplomatenpass. F. bittet heftig um Entschuldigung. "Kein Problem", sage ich, "Ich habe mich angenehm unterhalten!"

"Wirklich?" F. macht ein verdutztes Gesicht.

Ich nicke und schmunzle. Ich habe den Mann mit der Putzmaschine gemocht. Und ich habe während des Gesprächs beschlossen, einen Abschnitt in den zum Glück immer noch unpublizierten Lebensweisheiten der Filomena Frogg dick zu unterstreichen. Den hier: Alle behaupten immer, das wichtigste im Leben sei die Liebe. Das ist gar nicht wahr. Das Wichtigste im Leben der Allermeisten ist ihr Ansehen.

*So heissen sie, habe ich mir später erklären lassen. Oder "Insassen".

27
Jan
2009

Schlittelvergnügen

Winterlandschaften könnten so schön sein - wenn man darin nur nicht ständig Wintersport betreiben müsste.

Dass ich für das Skifahren eine tiefe Hassliebe hege, brauche ich hier nicht noch einmal auszuführen. Diesmal aber entdeckte ich eine noch grössere Zumutung als das Skilaufen: das Schlitteln. Und ich kann nicht einmal Herrn T. die Schuld dafür geben. Die Frogg selber kam eines Tages letzte Woche im tiefsten Schneetreiben auf Melchsee Frutt auf die Idee, mit Herrn T zwei Schlitten zu mieten. Wir wollten uns auf der eigens dafür bezeichneten Piste talwärts Richtung Stöckalp stürzen.

Der Vermieter warnte uns noch: Das Wetter sei nicht ideal. Zu viel Neuschnee. Aber bei der ersten Talreise (über weite Strecken mussten wir den Schlitten in abwärts ziehen) begannen mich Kindheitserinnerungen zu quälen und ich wusste plötzlich wieder: Ideales Schlittelwetter gibt es eigentlich gar nicht. Wenn gerade kein Neuschnee zu anstrengender Beinarbeit zwingt, so sind Schlittelpisten stets schnell vereist. Dann donnert die verängstigte Fahrerin auf einem schier unlenkbaren Gestell zu Tal und sieht in jeder Kurve nichts weiter als noch eine Gelegenheit, sich den Kopf blutig zu schlagen. Meistens aber hat man abwechselnd zu viel Eis und zu viel Neuschnee unter den Kufen, glaubt mir!

Oder unter dem Hinterteil, wenn wir gerade dabei sind. Denn ich muss gestehen: Mein Allerwertester ist fürs Schlitteln ganz und gar nicht gebaut. Als die Natur das frogg'sche Steissbein konstruierte, war sie gerade von einer ihrer Launen gepackt: Das Knöchelchen ist grösser als durchschnittliche Steissbeine und tritt am Rückenende leicht vor - wie der berühmt stumpfe Gegenstand. Im normalen Leben fällt es kaum auf. Doch bei Turnhallen-Grausamkeiten wie Rumpfbeugen und beim Schlitteln wird so ein Rückenende zur mörderischen Waffe.

Dummerweise liess ich mich von Herrn T. zu einer zweiten Talfahrt überreden. Diesmal lief der Schlitten besser. Fast zu gut, eigentlich. Danach blutete ich - wenn auch nicht am Kopf. Ehrlich.

Auch als Kind holte ich mir derlei Wunden. Ich hatte sie jedoch jeweils schnell wieder vergessen. Was hätte ich auch anderes tun sollen? Ändern liess es sich nicht. Und Schlittelausflüge mit der Schule schwänzen konnte ich auch nicht. Doch als Erwachsene muss ich sagen: Gewisse Dinge sollte man nicht einmal Kindern zumuten.

Wenigstens hat mir Herr T. nach meinen heldenhaft ertragenen zwei Abfahrten einen Award verliehen. Sein Name soll unser Geheimnis bleiben. Aber er wird mich stets daran erinnern, dass ich nie mehr schlitteln will!
logo

Journal einer Kussbereiten

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Impressum

LeserInnen seit dem 28. Mai 2007

Technorati-Claim

Archiv

April 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 
 
 
 
 

Aktuelle Beiträge

Kommentar
Liebe Frau frogg, schauen Sie bitte bei WordPress...
Freni - 28. Nov, 20:21
Ein schreckliches Tal
Soglio im Bergell, Oktober 2013. Was habe ich Freunde...
diefrogg - 6. Okt, 20:27
Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04

Status

Online seit 7514 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 14. Apr, 12:45

Credits


10 Songs
an der tagblattstrasse
auf reisen
bei freunden
das bin ich
hören
im meniere-land
in den kinos
in den kneipen
in den laeden
in frogg hall
kaputter sozialstaat
kulinarische reisen
luzern, luzern
mein kleiner
offene Briefe
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren