29
Jan
2009

Besuch im Gefängnis

Wie fragt man im Gefängnis jemanden ob er ein... naja, äh... Insasse... sei? Oder heissen die Betroffenen des offenen Strafvollzuges gar nicht Insassen? Sondern Gefangene? Sträflinge? Häftlinge? Klienten?

Ja. Wie soll ich den älteren Mann vor mir fragen? Ich stehe da, in der Empfangshalle eines mittelgrossen Gefängnisses. Ich warte auf einen Vollzugsbeamten, der mir freundlicherweise erlaubt hatte, ihm ein paar Fragen zu stellen. Er hat sich verspätet. Ich stehe. Die Stühle sind weg, denn der Hallenboden wird gerade gereinigt. Der ältere Mann bearbeitet methodisch die ziegelroten Steinfliesen mit einer Reinigungsmaschine. Ein Putzprofi? Oder ein Gefangener*? Schliesslich stehe ich ihm im Weg. Da kümmert er sich um mich. Er bringt mich in einen Raum mit Stühlen und holt mir einen Kaffee aus dem Automaten. Der Deal ist sofort klar: Er kauft mir Kaffee, ich leihe ihm ein Ohr. Er putze ganz gerne, sagte er. "Mir ist wichtig, dass es sauber ist. Und die Zeit vergeht dabei."

"Sie sind also... ähm... einer von hier?" fragte die Frogg.

"Jaja"; sagt er, "aber wissen Sie: Mich kann man nicht strafen!" Er hätte sogar abhauen können, sagt er. "Ich habe einen Diplomatenpass." Aber eben. Das alles sei ganz in Ordnung. "Ich bin sowieso nur drin, weil Wichtigstadt so korrupt ist. Wichtigstadt ist die korrupteste Stadt der Schweiz! Ja, wussten Sie das nicht?!"

"Ach! So eine schöne Stadt! Korrupt soll die sein?!"

"Und wie!" Es folgen etwas wirre Ausführungen. "Und dann der Neid! Wissen Sie, meine Wohnung in Wichtigstadt war schöner die des schweizeweit bekannten Bankdirektors Z. Das haben mir alle gesagt. Nur wegen des Neids bin ich hier hereingekommen. 2001 bin ich hier hereingekommen, und vor zwei Monaten, unglaublich, zwei Monaten, bekomme ich einen Brief vom Gerichtspräsidenten! Darin schreibt er mir, was ich gemacht hätte, sei legal gewesen! Nach bald zehn Jahren!" Jetzt komme er noch diesen Frühling heraus. "Meine Frau, wissen Sie, die ist Deutsche und hat immer diese Talk Shows gemacht. Meine Frau, die hat sich zuerst furchtbar darüber aufgeregt, dass ich ins Gefängnis musste. Aber jetzt macht es ihr nichts mehr aus. Sie hat's auch begriffen. Alles wegen der Korruption! Alles wegen dem Neid!"

Es folgen weitere Ausführungen. "Und die UBS", prophezeit er, "die wird sich in Luft auflösen. Sie werden sehen! Die Schweiz hat doch kein Geld!"

Natürlich ist er wegen irgendwelcher Vermögensdelikte drin. Er habe eine Firma gehabt, mit der er international Regierungen finanziert habe. "Nur mit Deutschland, da machen wir keine Geschäfte mehr. Da haben doch die Araber das Sagen! Überall!"

Ungefähr an dieser Stelle kommt der Vollzugsbeamte F, mit dem ich verabredet bin. Ich verabschiede mich von dem Gefangenen mit Diplomatenpass. F. bittet heftig um Entschuldigung. "Kein Problem", sage ich, "Ich habe mich angenehm unterhalten!"

"Wirklich?" F. macht ein verdutztes Gesicht.

Ich nicke und schmunzle. Ich habe den Mann mit der Putzmaschine gemocht. Und ich habe während des Gesprächs beschlossen, einen Abschnitt in den zum Glück immer noch unpublizierten Lebensweisheiten der Filomena Frogg dick zu unterstreichen. Den hier: Alle behaupten immer, das wichtigste im Leben sei die Liebe. Das ist gar nicht wahr. Das Wichtigste im Leben der Allermeisten ist ihr Ansehen.

*So heissen sie, habe ich mir später erklären lassen. Oder "Insassen".

27
Jan
2009

Schlittelvergnügen

Winterlandschaften könnten so schön sein - wenn man darin nur nicht ständig Wintersport betreiben müsste.

Dass ich für das Skifahren eine tiefe Hassliebe hege, brauche ich hier nicht noch einmal auszuführen. Diesmal aber entdeckte ich eine noch grössere Zumutung als das Skilaufen: das Schlitteln. Und ich kann nicht einmal Herrn T. die Schuld dafür geben. Die Frogg selber kam eines Tages letzte Woche im tiefsten Schneetreiben auf Melchsee Frutt auf die Idee, mit Herrn T zwei Schlitten zu mieten. Wir wollten uns auf der eigens dafür bezeichneten Piste talwärts Richtung Stöckalp stürzen.

Der Vermieter warnte uns noch: Das Wetter sei nicht ideal. Zu viel Neuschnee. Aber bei der ersten Talreise (über weite Strecken mussten wir den Schlitten in abwärts ziehen) begannen mich Kindheitserinnerungen zu quälen und ich wusste plötzlich wieder: Ideales Schlittelwetter gibt es eigentlich gar nicht. Wenn gerade kein Neuschnee zu anstrengender Beinarbeit zwingt, so sind Schlittelpisten stets schnell vereist. Dann donnert die verängstigte Fahrerin auf einem schier unlenkbaren Gestell zu Tal und sieht in jeder Kurve nichts weiter als noch eine Gelegenheit, sich den Kopf blutig zu schlagen. Meistens aber hat man abwechselnd zu viel Eis und zu viel Neuschnee unter den Kufen, glaubt mir!

Oder unter dem Hinterteil, wenn wir gerade dabei sind. Denn ich muss gestehen: Mein Allerwertester ist fürs Schlitteln ganz und gar nicht gebaut. Als die Natur das frogg'sche Steissbein konstruierte, war sie gerade von einer ihrer Launen gepackt: Das Knöchelchen ist grösser als durchschnittliche Steissbeine und tritt am Rückenende leicht vor - wie der berühmt stumpfe Gegenstand. Im normalen Leben fällt es kaum auf. Doch bei Turnhallen-Grausamkeiten wie Rumpfbeugen und beim Schlitteln wird so ein Rückenende zur mörderischen Waffe.

Dummerweise liess ich mich von Herrn T. zu einer zweiten Talfahrt überreden. Diesmal lief der Schlitten besser. Fast zu gut, eigentlich. Danach blutete ich - wenn auch nicht am Kopf. Ehrlich.

Auch als Kind holte ich mir derlei Wunden. Ich hatte sie jedoch jeweils schnell wieder vergessen. Was hätte ich auch anderes tun sollen? Ändern liess es sich nicht. Und Schlittelausflüge mit der Schule schwänzen konnte ich auch nicht. Doch als Erwachsene muss ich sagen: Gewisse Dinge sollte man nicht einmal Kindern zumuten.

Wenigstens hat mir Herr T. nach meinen heldenhaft ertragenen zwei Abfahrten einen Award verliehen. Sein Name soll unser Geheimnis bleiben. Aber er wird mich stets daran erinnern, dass ich nie mehr schlitteln will!

25
Jan
2009

Schneehölle: Fotoroman

frutt 2009 008

Alphütte auf Melchsee Frutt nach dem ersten Schneesturm am 19. Januar.

frutt 2009 021

Während des zweiten Schneesturms am 21. Januar.

frutt 2009 023

Und während des Dritten, am 23. Januar.

frutt 2009 017

An Skifahren war unter solchen Bedingungen kaum je zu denken.

24
Jan
2009

Verdächtiges Rentier

frutt 2009 013

Du hast Recht behalten, liebe Veronika! Natürlich kann ich es nicht lassen, doch vom Rentier Cosmos zu berichten. Hier ein Bild von seinem im Gehege gebliebenen Gspänli auf Melchsee Frutt, aufgenommen am 19. Januar. Ich finde, es sieht seinem angeblich spurlos verschwundenen Kumpel verdächtig ähnlich.

16
Jan
2009

Auf zum Rentier Cosmos

Seit Weihnachten hält die Geschichte vom entlaufenen Rentier Cosmos die Schweizer Öffentlichkeit in Atem.


(Quelle: www.20min.ch)

Leider, muss ich sagen. Denn die Melchsee Frutt, auf der sie sich zuträgt, ist unser bevorzugter Skiferienort. Herr T. und ich schätzen ihn, weil er dezidiert uncool ist. Stets scheint er im Banne jener bläulichen Stille zu stehen, die aus dem zugefrorenen Melchsee zu ihm hochsteigt.

Am Abend muss man nicht darüber nachdenken, an welcher trendigen Bar man sich völldröhnen soll. Es gibt dort meines Wissens keine trendigen Bars. Es gibt nur die stets ausgedehnten und köstlichen Sportler-Abendessen in unserer Pension. Danach darf man sich getrost ins warme Bett legen. Mit oder ohne gutes Buch.

Melchsee Frutt ist ein traumhaft schöner Ort. Ich finde, er kann nichts weniger gebrauchen als einen Volksauflauf wegen eines freiheitsliebenden Rentiers.

Morgen fahren wir wieder hin. Am liebsten würde ich dort nicht das Rentier Cosmos sehen. Sondern seine hufgeschriebene Abschiedsnotz im Schnee: "Habe einen geheimen Fluchtweg ins Berner Oberland gefunden! Ätsch! Cosmos!"

Übrigens nehme ich meinen Laptop nicht mit. Und dort oben gibt es auch kein Internet-Café. Ihr lest also erst in einer Woche wieder von mir.
logo

Journal einer Kussbereiten

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Impressum

LeserInnen seit dem 28. Mai 2007

Technorati-Claim

Archiv

November 2025
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
 
 
 

Aktuelle Beiträge

Kommentar
Liebe Frau frogg, schauen Sie bitte bei WordPress...
Freni - 28. Nov, 20:21
Ein schreckliches Tal
Soglio im Bergell, Oktober 2013. Was habe ich Freunde...
diefrogg - 6. Okt, 20:27
Liebe Rosenherz
Danke für diesen Kommentar, eine sehr traurige Geschichte....
diefrogg - 11. Jan, 15:20
Ja, die selektive Wahrnehmung...
auch positives oder negatives Denken genannt. In den...
diefrogg - 9. Jan, 18:14
liebe frau frogg,
ein bisschen versuch ich es ja, mir alles widrige mit...
la-mamma - 5. Jan, 14:04

Status

Online seit 7717 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 25. Aug, 12:26

Credits


10 Songs
an der tagblattstrasse
auf reisen
bei freunden
das bin ich
hören
im meniere-land
in den kinos
in den kneipen
in den laeden
in frogg hall
kaputter sozialstaat
kulinarische reisen
luzern, luzern
mein kleiner
offene Briefe
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren