24
Jul
2016

Türkische Freundin

A. hat dunkle Locken wie ich und spricht ein fröhliches, gebrochenes Englisch. Ich lernte sie vor Jahren irgendwo in der Türkei kennen. Schon damals arbeitete sie in einem Hotel ein einer Touristenstadt, hatte mit Kopftüchern nicht viel am Hut und trank gerne ein Gläschen. Eine Frau Mitte dreissig, ohne Mann, aber mit einer grossen Familie. Eine Frau, die viel arbeitet, gerne reist und das Leben geniessen will.

Wir sind all die Jahre in lockerem Kontakt geblieben. Vier Tage nach dem Putschversuch erkundigte ich mich, wie es ihr gehe. Die Antwort kam schnell und klang verzweifelt. "Mein Hotel wird sehr bald geschlossen", schreibt sie. "Wir hatten grosse Probleme, zuerst mit den Russen, dann die Anschläge in Istanbul. Ich weiss nicht, wie es weitergeht. Wir versuchen, irgendwie zu überleben."

Davor waren die Berichte aus der Türkei für mich durchaus beunruhigend, aber auch schemenhaft. Putschversuch, Einschränkung der Pressefreiheit, verhaftete Richter, Massendemonstrationen von Erdogan-Anhängern, eine handfeste Wirtschaftskrise - das alles übersteigt das durchschnittliche westliche Fassungsvermögen.

Aber seinen Job zu verlieren, mitten in einer Zeit, in der alle anderen auch ihren Job verlieren! Das ist schlimm, das kann ich nochvollziehen. Der Rest ist wohl mindestens so schlimm, ich ahne es nun plötzlich. "Ich empfinde tiefe Furcht, wenn ich an die kommenden Tage denke", schreibt A.

Ich wünschte, ich könnte etwas tun. Aber selbst wenn ich hier, auf einem sterbenden Blog mit zwei Dutzend Lesern, dem Schrecken eine Stimme zu geben versuche, ist das im Grunde heikel. Wir wissen ja, dass der zensurwütige Erdogan seinen Blick auch auf die westlichen Medien gerichtet hat. Mir kann er nichts anhaben. Aber A.?
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