18
Jan
2014

Zärtlichkeit

Geschäftsessen in stilvollem Ambiente. Kollege Launig, Chef der anderen Abteilung, hat das alles organisiert und kümmert sich liebevoll um das Wohl der Gäste. "Gehts Dir gut Fröschli?" fragt er mich, als wir mit Essen und Wein wohl versorgt sind.

"Wunderbar", kann ich gerade noch sagen, bevor Wanda einwirft: "He, Sepp, wie nennst Du Monika?!" Ihre Stimme hat einen Anflug von Verblüfftheit, aus der auch Missbilligung werden könnte. Sie hat ein spitzes Gesicht mit einem Hunger drin, den kein gutes Essen je stillen wird.

"Er nennt mich Fröschli", sage ich lächelnd, "Das macht er seit 1995."

Plötzlich bin ich wieder in jenem Grossraumbüro, in dem ich meine ersten redaktionellen Arbeiten für eine dem Untergang geweihte Zeitung verrichtetete. Wenn ich aufblickte, sah ich den Rücken von Launig. Er wand sich auf seinem Bürostuhl, schnauzte ab und zu jemanden an oder warf aufstöhnend einen Gegenstand auf den Tisch. Er war dabei, eine seiner legendären Kolumnen zu gebären.

Seither habe ich in all den Jahren höchstens 20 Sätze mit ihm gewechselt. Er nannte mich immer Fröschli. Als ich noch jung und ehrgeizig war, habe ich mir ein- oder zweimal überlegt, wie ich es ihm austreiben könnte. Aber irgendwie kam die richtige Gelegenheit dann doch nie.

Jetzt erkenne ich es als Ausdruck einer Zärtlichkeit wie ich sie schon ein paarmal unter langjährigen Berufskollegen beobachtet habe - auch wenn sie sich nicht besonders nahe stehen. Sie beruht auf einem uralten Wissen, das sie über einander haben. Manchmal - aber nicht nur - kommt sie unter dem Einfluss einer moderaten Menge Alkohol sehr berührend zum Tragen.

Aber das kann ich Wanda nicht erklären. Und es liegt nicht einmal daran, dass sie keinen Wein trinkt.
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