Nur für Schweizer Leser
Dieser Beitrag ist Wasser auf die Mühlen jener meiner Leser, die hier gerne über die Schweiz stänkern. Deshalb habe ich lange gezögert, ihn zu schreiben. Aber ich tue es jetzt trotzdem. In erster Linie für meine Schweizer Leser. Denn sie (und ich) sind zurzeit aufgefordert, über die Zukunft unseres Landes nachzudenken - Stichwort "Masseneinwanderung".
Als ich die Autobiografie von Franca Magnani* las, ist mir das mehrmals durch den Kopf gegangen. Deshalb zitiere ich hier ein paar Passagen der späteren ARD-Korrespondentin über die Schweiz. Magnani kam mit ihren Eltern nach Zürich. Das war in den frühen dreissiger Jahren. Ihr Vater war Antifaschist und auf der Flucht vor Mussolini.
Schon der Hauptbahnhof mutete das Kind befremdlich an: "Die Ordnung war eindrucksvoll, und es war so still, dass ich ein Geräusch hören konnte, das mit nie zuvor aufgefallen war: das tack-tack-tack der Absätze beim Laufen. ... In Zürich herrschte ausser dem Lachen meines neuen Freundes und dem Klappern der Absätze die totale Stille. (S. 57-8)*
Später berichtet sie, dass eines Sonntags ein Polizist an der Tür klingelte - weil ihr Vater dabei war, einen Nagel einzuschlagen. "Arbeit am Sonntag ist 'verboten'", belehrte ihn der Wachtmann. "Ihre Nachbarn haben uns informiert, dass sie hämmern. Das ist Arbeit. Das stört. Nicht wegen der Geräusche ... . Wegen der religiösen Gefühle." (S- 60-1).
In der Schule "herrschte ehrfurchtsvoller Respekt vor dem 'Herrn Lehrer'. Was er sagte, was das Evangelium. Dieser unbestrittene Respekt verhinderte jede denkbare Diskussion zwischen uns Schülern: 'De Lehrer hät's gseit ...'" (S. 67-8). Das brachte alle zum Schweigen.
Ich muss festhalten: Die Schweiz hat sich sehr verändert. Manches hat sich geradezu ins Gegenteil verkehrt. Heute kann man auf Schweizer Bahnhöfen überall Leute belauschen, die sehr vernehmlich intimste Details aus ihrem Leben ins Handy schwafeln. Polizisten klagen darüber, dass sie von Nachtschwärmern beschimpft und tätlich angegriffen werden. Und Lehrpersonen darüber, dass ihnen die Eltern ihrer Schüler wegen jeder Kleinigkeit ins Handwerk pfuschen.
Dennoch: In die Schweiz, die Franca Magnani erlebt hat, will ich auf keinen Fall zurück. Wir brauchen frischen Wind - auch darum scheint es mir nicht ratsam, dass wir anfangen, uns abzuschotten.
* Franca Magnani: "Eine italienische Familie". Köln ; Kiepenheuer & Witsch, 1990.
Als ich die Autobiografie von Franca Magnani* las, ist mir das mehrmals durch den Kopf gegangen. Deshalb zitiere ich hier ein paar Passagen der späteren ARD-Korrespondentin über die Schweiz. Magnani kam mit ihren Eltern nach Zürich. Das war in den frühen dreissiger Jahren. Ihr Vater war Antifaschist und auf der Flucht vor Mussolini.
Schon der Hauptbahnhof mutete das Kind befremdlich an: "Die Ordnung war eindrucksvoll, und es war so still, dass ich ein Geräusch hören konnte, das mit nie zuvor aufgefallen war: das tack-tack-tack der Absätze beim Laufen. ... In Zürich herrschte ausser dem Lachen meines neuen Freundes und dem Klappern der Absätze die totale Stille. (S. 57-8)*
Später berichtet sie, dass eines Sonntags ein Polizist an der Tür klingelte - weil ihr Vater dabei war, einen Nagel einzuschlagen. "Arbeit am Sonntag ist 'verboten'", belehrte ihn der Wachtmann. "Ihre Nachbarn haben uns informiert, dass sie hämmern. Das ist Arbeit. Das stört. Nicht wegen der Geräusche ... . Wegen der religiösen Gefühle." (S- 60-1).
In der Schule "herrschte ehrfurchtsvoller Respekt vor dem 'Herrn Lehrer'. Was er sagte, was das Evangelium. Dieser unbestrittene Respekt verhinderte jede denkbare Diskussion zwischen uns Schülern: 'De Lehrer hät's gseit ...'" (S. 67-8). Das brachte alle zum Schweigen.
Ich muss festhalten: Die Schweiz hat sich sehr verändert. Manches hat sich geradezu ins Gegenteil verkehrt. Heute kann man auf Schweizer Bahnhöfen überall Leute belauschen, die sehr vernehmlich intimste Details aus ihrem Leben ins Handy schwafeln. Polizisten klagen darüber, dass sie von Nachtschwärmern beschimpft und tätlich angegriffen werden. Und Lehrpersonen darüber, dass ihnen die Eltern ihrer Schüler wegen jeder Kleinigkeit ins Handwerk pfuschen.
Dennoch: In die Schweiz, die Franca Magnani erlebt hat, will ich auf keinen Fall zurück. Wir brauchen frischen Wind - auch darum scheint es mir nicht ratsam, dass wir anfangen, uns abzuschotten.
* Franca Magnani: "Eine italienische Familie". Köln ; Kiepenheuer & Witsch, 1990.
diefrogg - 30. Nov, 16:05
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