1
Aug
2011

Die Türkei - mal anders

Wer an der türkischen Küste unterwegs ist, landet immer wieder an heiteren Ferienorten. Man fühlt sich wie im Westen. Die Leute sind gut drauf, das Essen ist prima, die sanitären Anlagen mindestens passabel.

Gelegentlich - meist am Stadtrand - sieht man wacklige Holzhäuschen auf Stelzen. Oder zeltartige Bauten. Touristin Frogg fand sie stets charmant. Die Überreste einer Nomadenkultur, die selbst die Türken mit Nostalgie zu pflegen schienen. Schliesslich ist die Türkei eine Industrienation mit traumhaftem Wirtschaftswachstum. Dieses Land scheint seine armseligen Jahre hinter sich zu haben.

Als wir mit unserem rasenden Bäcker unterwegs waren, bekamen wir ein anderes Bild. Er nahm uns mit auf eine lange Fahrt durch abgelegenes Gebiet östlich von Kaş. Nur einige Gewächshäuser zeugten davon, dass die Moderne hier angekommen war. Einmal hielt er unerwartet zwischen ein paar Häusern. Tatsächlich stand hier einer dieser durchsichtigen Plastik-Kästen, in denen Türken Brot feilbieten.

Der Kasten schien das Zentrum dieses Dorfs zu sein. Denn neben ihm sassen vier oder fünf Männer reglos und blickten gegen Süden. Sie redeten wenig und bewegten sich auch kaum, als der Bäcker anhielt. Es war gegen Mittag. Die Männer hatten wohl keine Arbeit.

Auf der anderen Strassenseite sass eine ältere Frau vor ihrer Haustür auf dem Boden. Sie hatte eine Schüssel im Schoss und formte Teigbällchen. Gelegentlich stand sie auf und ging zu einem Wäsche-Zuber beim Gartentor. Sie stampfte ein bisschen im Waschwasser herum und ging dann wieder zu ihren Teigbällchen zurück. Auf der Strasse sassen zwei junge Hunde mit hungrigen, gelben Augen und kratzten sich ständig hinter den Ohren.

Von solchen Dörfern also waren die Söhne Anatoliens in Scharen nach Deutschland aufgebrochen. Und: Es gibt sie noch, diese Dörfer.

Wir kamen von einem anderen Planeten. Wir gehörten nicht hierher.

Das Schlimmste aber war: An der nächsten Strassenkreuzung standen zwei alte Männer und hielten den Bäcker an. Sie hatten gehofft, er würde sie in seinem Auto mitnehmen. Wir hatten ihnen die Fahrgelegenheit weggenommen.

Nächstes Mal, schwor ich mir, nächstes Mal leiste ich mir ein Taxi.

Wegen meiner Ohrengeschichte weiss ich nicht, ob es ein nächstes Mal geben wird. Ich weiss nur: Hier beende ich mein Türkei-Epos. Es war trotz allem eine gute Reise.

Aber es gibt ja auch von zu Hause Geschichten zu erzählen.

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