20
Mai
2011

Elvis oder Beatles?

Warum ich "nur" Rock'n'Roll schreibe, fragte Frau Walküre neulich in einem Kommentar. Sie warf - mit Ironiezeichen versehen - die Frage auf, warum wir Rock'n'Roll manchmal ein bisschen geringschätzig behandeln. Frau Walküre, das ist keine Frage, die man mit Ironiezeichen versehen muss. Das ist eine ernste und äusserst vielschichtige Frage. Wenn ich darüber nachdenke, fällt mir immer diese Diskussion ein, die ich mit meiner Freundin Helga im Herbst 2010 hatte. Sie ist promovierte Musikwissenschaftlerin und war einmal Opern-Dramaturgin. Doch wenn es um Rock'n'roll geht, muss man die Fragen für sie einfach formulieren. "Elvis oder die Beatles?" lautete die Frage.

"Beatles!!!" rief Helga mit Nachdruck, "Ich meine: Dieses... wie hiess es nochmal... 'Sgt. Peppers'... das ist doch die Fortsetzung der klassischen Musik mit modernen Mitteln." Nichts gegen "Sgt. Peppers", oh nein. Aber sie sagte es in diesem kompetenten Ton, der stets meinen Widerspruch herausfordert. "Elvis!" sagte ich. "Ich meine: Diese Stimme!"

"Aber Mona, ich muss schon sagen: 'Love Me Tender ist, musikalisch betrachtet, kein besonders guter Song!"Hier war der Ton fast etwas tadelnd. Da verschlug es mir die Sprache, denn ich erkannte: Zu den wenigen Dingen, die ich Helga nie werde erklären können, gehört der Rock'n'Roll. Helga lebt musikmässig auf dem Planeten Beethoven. Ich nicht.

Ich meine, klar: "Love Me Tender" ist eine Schnulze. Nur jemand vom Planeten Beethoven könnte "Love Me Tender" als Meilenstein der Rockmusikgeschichte missverstehen. Klar wünsche ich mir, Elvis hätte mehr Songs wie Heartbreak Hotel gemacht. Aber wir erwarten doch von Elvis nicht, dass er die Musik Wagners fortschreibt! Wir erwarten, dass er seine Stimme erhebt und die Hüften schwingt, bis wir weich in den Knien werden!

Es gehört zu den grossen Mythen des 20. Jahrhunderts, dass die Schwarzen im Mississippi-Delta den Blues bekamen. Dass sie den Sex in die Musik brachten und den Begriff Sound mit Inhalt füllten. Es gehört auch zu den grossen Mythen des 20. Jahrhunderts dass Weisse den Blues, den Sound, den Sex stahlen und damit ein Heidengeld machten.

Ob der Rock'n'roll deswegen einen Platz in den Feuilletons verdient hat, darüber muss man ja heute nicht mehr streiten. Will ich auch nicht. Wenn es um Erzeugnisse der Kultur geht, bin ich eine überzeugte Anhängerin von Pierre Bourdieu. Bourdieu schreibt in etwa: Mit der Kultur, die wir konsumieren, demonstrieren und zementieren wir unseren sozialen Status. Er zeigt in einer Studie aus den sechziger Jahren sehr deutlich: Opernkonsumenten gehören zur Oberschicht. Mehr muss man dazu nicht sagen.

Eigentlich schade, dass ich mich in der Oper immer etwas gelangweilt habe. Vielleicht wäre mein Leben anders verlaufen, wenn es nicht so gewesen wäre.

Aber das lässt sich jetzt nicht mehr ändern.

Dafür gibt es ein paar Fragen, die ich gern einer Musikwissenschaftlerin gestellt hätte. Zum Beispiel:

Wie hat YouTube unsere Wahrnehmung von Musik verändert?
Warum kommt uns einiges, womit wir gross geworden sind, heute pubertär vor? Anderes aber noch viel grösser als damals?
Liegt es an meinen fortgeschrittenen Jahren, dass mir viel Musik dieses Jahrzehnts etwas beliebig, etwas müde vorkommt?

Naja, machts nichts. It's only rock'nroll.

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Journal einer Kussbereiten

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