Tabletten, Tabletten, Tabletten
Sie heisst Rebekka, und wir haben uns seit vielen Jahren nicht gesehen. Jetzt sitzen wir zusammen auf der Münster-Plattform in Bern. Es ist ein irrsinnig schöner Frühherbst-Tag. Ihre bildhübsche Vierjährige spielt selbstvergessen im Kies, da erzählt sie es mir hinter vorgehaltener Hand: Eines Tages konnte sie nicht mehr schlafen. "Wenn es Abend wurde, geriet ich in Panik. Im Bett lag ich da mit rasendem Puls. Mit der Zeit war ich total erschöpft. Manchmal schien mir die Aufgabe, ein Mittagessen zu kochen, monströs und unlösbar." Statt dessen sass sie da und weinte. Den ganzen Tag, wenn die Kinder es nicht merkten. Ihr Mann schickte sie schliesslich zum Psychiater. Der gab ihr das Übliche: Zoloft, Remeron, Temesta.
Mein Mund fiel auf. Rebekka war für mich immer die Verkörperung von Selbstkontrolle und Eleganz gewesen. An der Uni waren wir ein ungleiches Paar: Sie die Klasse-Frau, ich der Freak. Ich wusste nie, ob ich sie etwas oberflächlich finden oder furchtbar beneiden sollte. Sie heiratete einen etwas steifen, aber durchaus liebenswürdigen Berner Anwalt. Fand einen Job an einem Berner Gymnasium. Hatte zwei Töchter. Verschwand von der Bildfläche. Und jetzt das.
Wenige Tage später, ein Apéro unter Kastanienbäumen mit meiner Kollegin Franziska. Irgendwann kommen wir auf das Burnout zu sprechen, das sie vor einer Weile hatte. Sie ist freie Journalistin und verdient gut, wenn auch unregelmässig. Ihrem Mann hat die Krise in der Branche das Geschäft ruiniert. Der Sohn pubertierte. Das Burnout hatte sie. Sie bekam das Übliche: Remeron und Temesta.
Ich kann beim Thema gut mitreden. Während meiner Hörstürze im letzten Herbst schlief ich nächtelang nicht. Panik verfolgte mich 24 Stunden. Als ich wieder einmal im Spital auftauchte, sagte ich zum Assistenzarzt, der gerade Dienst hatte: "Am liebsten wäre es mir, wenn sie mich für fünf Tage ins Koma versetzen könnten." Er begriff und gab mir fünf Temesta mit auf den Weg, später ein Dauerrezept. Wahrscheinlich hat er mir das Leben gerettet. Mein Hausarzt gab mir Remeron dazu - weil Temesta süchtig macht. Im Moment nehme ich beides. Das Remeron in einer grossen, das Temesta nur noch in einer winzigen Dosis. Ich bin immer noch zuversichtlich, den Entzug irgendwann ganz zu schaffen.
Wenn ich die Fahrgäste in einem Zug anschaue, dann frage ich mich in letzter Zeit oft: Wie viele von diesen scheibar so normalen, so geschäftigen Leuten kommen nur mit Tabletten durch die Nacht?
Was ist früher mit solchen Leuten passiert?
Edit: Natürlich gehört dieser Song zu diesem Eintrag:
Ich habe glatt vergessen, was für ein flotter Song das ist!
Mein Mund fiel auf. Rebekka war für mich immer die Verkörperung von Selbstkontrolle und Eleganz gewesen. An der Uni waren wir ein ungleiches Paar: Sie die Klasse-Frau, ich der Freak. Ich wusste nie, ob ich sie etwas oberflächlich finden oder furchtbar beneiden sollte. Sie heiratete einen etwas steifen, aber durchaus liebenswürdigen Berner Anwalt. Fand einen Job an einem Berner Gymnasium. Hatte zwei Töchter. Verschwand von der Bildfläche. Und jetzt das.
Wenige Tage später, ein Apéro unter Kastanienbäumen mit meiner Kollegin Franziska. Irgendwann kommen wir auf das Burnout zu sprechen, das sie vor einer Weile hatte. Sie ist freie Journalistin und verdient gut, wenn auch unregelmässig. Ihrem Mann hat die Krise in der Branche das Geschäft ruiniert. Der Sohn pubertierte. Das Burnout hatte sie. Sie bekam das Übliche: Remeron und Temesta.
Ich kann beim Thema gut mitreden. Während meiner Hörstürze im letzten Herbst schlief ich nächtelang nicht. Panik verfolgte mich 24 Stunden. Als ich wieder einmal im Spital auftauchte, sagte ich zum Assistenzarzt, der gerade Dienst hatte: "Am liebsten wäre es mir, wenn sie mich für fünf Tage ins Koma versetzen könnten." Er begriff und gab mir fünf Temesta mit auf den Weg, später ein Dauerrezept. Wahrscheinlich hat er mir das Leben gerettet. Mein Hausarzt gab mir Remeron dazu - weil Temesta süchtig macht. Im Moment nehme ich beides. Das Remeron in einer grossen, das Temesta nur noch in einer winzigen Dosis. Ich bin immer noch zuversichtlich, den Entzug irgendwann ganz zu schaffen.
Wenn ich die Fahrgäste in einem Zug anschaue, dann frage ich mich in letzter Zeit oft: Wie viele von diesen scheibar so normalen, so geschäftigen Leuten kommen nur mit Tabletten durch die Nacht?
Was ist früher mit solchen Leuten passiert?
Edit: Natürlich gehört dieser Song zu diesem Eintrag:
Ich habe glatt vergessen, was für ein flotter Song das ist!
diefrogg - 13. Sep, 18:45
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