Keine Aussteigerin
Neulich fiel mir der Stellenbund der NZZ am Sonntag in die Hände. Er trägt den stylischen Titel "Executive". Geradezu hausbacken dagegen der Name der Rubrik "Arbeitskraft" auf seiner Aufschlagseite. Ruth Schweikert hat dort einen Text über einen ehemaligen Mörder geschrieben. Er kocht Essen in einer Notunterkunft für Obdachlose. Kein Executive also, aber freundlich und immer gut gelaunt. Früher war er ein Mörder, aber dann hat er sich geläutert. Jetzt, sagt eine Kriminologin im Text, sei er "der glücklichste Mensch, den ich kenne."
Ich stelle mir die Executives und Möchtegern-Executives vor, die den Text beim Kaffee gelesen haben. Wie sie nachdenklich den Kopf gewiegt haben. "Ja, das einfache Leben", werden sie gedacht haben. "Wie begehrenswert!" Wenn die Gofen* stürmen**, die Hypothek drückt, und gegen Abend auch noch ein paar Stündchen Arbeit warten, wer möchte da nicht ein asketisches Leben führen! Ein Leben ohne Geldsorgen, einfach, weil kein Geld da ist. Ein Leben ganz für den Moment, ein gutes, sinnvolles Leben! Früher dachte ich jeweils solche Dinge, wenn ich solche Texte las.
Dieser Text aber heilte mich von einer Illusion. Ich ahnte: Der Mann wohnt in einem abgefucktes Zimmer direkt neben einem Hochbahn-Trassee. Um 4.30 Uhr morgens donnern die ersten Züge an seinem Schlafzimmer vorbei. Ob er selber mit der Bahn fahren kann, muss er sich jeweils zwei- bis dreimal überlegen. Denn Bahnfahren ist teuer. Er verrichtet Schwerarbeit in einer miserabel ausgerüsteten Küche. Er führt einen vorbildlichen, aber fast aussichtslosen Kampf gegen die Kakerlake. Er ist manchmal einsam, auch wenn das Alleinsein gelernt hat.
Plötzlich wusste ich: Ich bin keine Aussteigerin. Das einfache Leben halte ich mir lieber vom Leib, so lange ich kann. Der Text setzte bei Frau Frogg eine ganze Gedankenreihe frei. "Nein, ich will mir nicht jeden Monat überlegen, ob ich mir meine Wohnung noch leisten kann. Ich will ab und zu mit einer Freundin im Restaurant essen. Ich will mir ohne nachzudenken einen neuen Schirm kaufen können, wenn ich den alten irgendwo habe liegen lassen. Kurz: Ich bin keine Kandidatin für das einfache Leben."
Es kann sein, dass sich eine Lösung für meine wirtschaftlichen Probleme abzeichnet. Als ich es gestern erfuhr, vollführte ich aber merkwürdigerweise keinen Freudentanz. Sondern ich bekam zuerst einmal einen Angstzustand. Wahrscheinlich Ausdruck der Unsicherheiten der letzten Monate.
Richtig freuen tat ich mich erst heute.
Der Soundtrack des Tages (ignoriert einfach die Bärte, dann ist das ein schöner Song):
(mit einem Dankeschön an Herrn Schallplattenfreund).
*Gofen: Schweizerdeutsches Schimpfwort für Kinder
** "stürmen": Was Gofen am Sonntagmorgen mit Eltern tun: Ihre Aufmerksamkeit fordern
Ich stelle mir die Executives und Möchtegern-Executives vor, die den Text beim Kaffee gelesen haben. Wie sie nachdenklich den Kopf gewiegt haben. "Ja, das einfache Leben", werden sie gedacht haben. "Wie begehrenswert!" Wenn die Gofen* stürmen**, die Hypothek drückt, und gegen Abend auch noch ein paar Stündchen Arbeit warten, wer möchte da nicht ein asketisches Leben führen! Ein Leben ohne Geldsorgen, einfach, weil kein Geld da ist. Ein Leben ganz für den Moment, ein gutes, sinnvolles Leben! Früher dachte ich jeweils solche Dinge, wenn ich solche Texte las.
Dieser Text aber heilte mich von einer Illusion. Ich ahnte: Der Mann wohnt in einem abgefucktes Zimmer direkt neben einem Hochbahn-Trassee. Um 4.30 Uhr morgens donnern die ersten Züge an seinem Schlafzimmer vorbei. Ob er selber mit der Bahn fahren kann, muss er sich jeweils zwei- bis dreimal überlegen. Denn Bahnfahren ist teuer. Er verrichtet Schwerarbeit in einer miserabel ausgerüsteten Küche. Er führt einen vorbildlichen, aber fast aussichtslosen Kampf gegen die Kakerlake. Er ist manchmal einsam, auch wenn das Alleinsein gelernt hat.
Plötzlich wusste ich: Ich bin keine Aussteigerin. Das einfache Leben halte ich mir lieber vom Leib, so lange ich kann. Der Text setzte bei Frau Frogg eine ganze Gedankenreihe frei. "Nein, ich will mir nicht jeden Monat überlegen, ob ich mir meine Wohnung noch leisten kann. Ich will ab und zu mit einer Freundin im Restaurant essen. Ich will mir ohne nachzudenken einen neuen Schirm kaufen können, wenn ich den alten irgendwo habe liegen lassen. Kurz: Ich bin keine Kandidatin für das einfache Leben."
Es kann sein, dass sich eine Lösung für meine wirtschaftlichen Probleme abzeichnet. Als ich es gestern erfuhr, vollführte ich aber merkwürdigerweise keinen Freudentanz. Sondern ich bekam zuerst einmal einen Angstzustand. Wahrscheinlich Ausdruck der Unsicherheiten der letzten Monate.
Richtig freuen tat ich mich erst heute.
Der Soundtrack des Tages (ignoriert einfach die Bärte, dann ist das ein schöner Song):
(mit einem Dankeschön an Herrn Schallplattenfreund).
*Gofen: Schweizerdeutsches Schimpfwort für Kinder
** "stürmen": Was Gofen am Sonntagmorgen mit Eltern tun: Ihre Aufmerksamkeit fordern
diefrogg - 27. Mai, 21:48
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