29
Jul
2009

Jackson: zweimal gestorben

Er hiess Joe, und im Gymnasium waren wir in der gleichen Klasse. Manchmal waren wir auch ein paar Tage lang ich der gleichen Clique. Einmal sagte unser Englischlehrer, wir beide hätten keltische Vorfahren. Das sähe man an unseren Sommersprossen. Wir hingen in der gleichen Kneipe herum, im Café Cinema. Aber sonst waren wir verschiedene Kaliber. Er liebte Michael Jackson. Ich stand mehr auf Rockmusik britischer Machart. Led Zeppelin, Fleetwood Mac, U2. Michael Jackson's Songs mochte ich. Aber sie bedeuteten mir nichts

Ich war ein bisschen, nur ein bisschen esoterisch (später verging es mir). Er war kühl, ironisch und minimalistisch. Wenn ich ihn vor mir sehe, lächelt er jenes Lächeln, das ihn wie der Unschuldsengel aussehen liess, der er nie war. Er ist spindldürr, ganz in Schwarz und hat grünblaue Augen.

Als die Matura nahte, glaubten alle, er würde durchfallen. Er lernte nie. Er tat, als sei es ihm egal. Aber dann schaffte er sie mit Bravour. Der Ehrgeiz hatte ihn gepackt.

Er wurde unausstehlich. Er ging an eine Renommier-Uni, um internationales Recht zu studieren. Im Café Cinema erzählte er, er würde der Grösste sein. Und er zitierte unaufhörlich Songzeilen von Michael Jackson.

Er schien zu glauben, er sei Michael Jackson.

Dann hörte ich lange nichts von ihm. Später hiess es, er sei in der Psychiatrischen Klinik am Nordwestende des Kantons.

Viel später sah ich ihn noch ein paarmal. Inzwischen waren seine Ziele bescheidener. Er war wieder halbwegs normal. Halbwegs. Irgendwie kleinlaut. Das passte nicht zu ihm.

Dann laberte er wieder nur in Michael Jackson-Songzeilen. Verschwand.

Dann hörte ich, es sei tot. Er sei draussen am Nordende des Kantons aus der Klinik abgehauen und habe sich in der Nähe vor den Zug geworfen.

Wenn ich den Namen Michael Jackson höre, dann kann ich gar nicht anders als an ihn denken.

Rovinj trauert um Michael Jackson

Rovinj in Istrien am 26. Juni um 9.30 Uhr: Wir frühstücken auf der Terrasse unserer Pension. Aus dem Radio im Saal düdelt ein Song von Michael Jackson. Ein Mann geht mit lässigem Schritt über die Schwelle hinein zum Buffet. Halblaut singt er den Refrain mit: "...doesn't matter if you're black or white". Es klingt wie ein Kommentar zur greifbaren Verunsicherung, die er unter den Gästen ausgelöst hat.

Der Mann ist schwarz. Er sieht Lenny Kravitz ähnlich, und er würde ohnehin auffallen unter den meist deutschsprachigen Gästen hier. Kommt noch dazu, dass er eine beachtliche Präsenz hat. Jede seiner Bewegungen, die fette Sonnebrille, die Frisur sagt: "Seht mich an!" Er ist Tänzer, erfahren wir später. Doch im Moment scheint er eigentlich gar nicht angesehen werden zu wollen. Naja, möchte ich auch nicht, so zur Frühstückszeit, von lauter schlaftrunkenen Teutonen. Er fühlt sich unwohl. Wir uns auch.

12.30 Uhr: In der Altstadt von Rovinj.

Rovinj, Croatia

Aus einer Gasse höre ich einen weiteren Jackson-Song. Billy Jean, diesmal. "Das ist ja wie anno 98 in Talinn", denkt die Frogg. Damals hörte man in der ganzen Hauptstadt von Estland nichts anderes als Boney M. Das Baltikum schien sich Europa in die Arme zu werfen, indem es seine abgelegten Popsongs rezyklierte. Und hier nun auch dieser Sound aus der Vergangenheit! Nun ja, es war unser erster Tag in Kroatien. Ich wusste noch nicht, dass das Land vielleicht sonst nicht sehr viel hat. Aber ganz bestimmt eigenen Sound. Und einen sattelfesten Geschmack in puncto Popmusik.

13 Uhr Martina erklärt uns endlich, was wirklich passiert ist. Martina verkauft Bootstouren am Quai. Jedesmal, wenn wir vorbeigehen, plaudern wir ein bisschen. Sie trägt neonfarbenen Lidschatten und ist vom vielen Herumreden mit Touristen immer ganz aufgekratzt. "You know what? Michael Jackson has died", ruft sie uns zu und beginnt theatral zu heulen. Wir tauschen die üblichen Gemeinplätze aus... "Konzerte in London... zu viele Tabletten..." Ich kann ihr nicht erzählen, dass Michael Jackson für mich schon zum zweiten Mal gestorben ist.

Denn das ist eine andere Geschichte. Die erzähle ich vielleicht, nur vielleicht, ein andermal
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