Vier krisenfeste Engländer
Man kann es in letzter Zeit fast jeden Tag in einer deutschsprachigen Zeitung lesen: Grossbritannien ist dem Staatsbankrott gefährlich nahe. Ich habe schon so viel darüber gelesen, dass ich mir die Läden von Londons stolzer Oxford Street zur Hälfte zugebrettert vorstelle. Die neue Wohlfühl-Meile am Südufer der Themse ist vor dem frogg'schen geistigen Auge menschenleer und von Vandalen zerstört. Ich sehe sie vor mir, die Briten, wie sie in ihren Reihenhäuschen sitzen, zitternd vor Kälte, weil sie sie nicht mehr zu heizen vermögen.
Umso überraschter war ich, als ich neulich in einem Café in Luzern vier purlimunteren Engländern begegnete. Jeder hatte ein prächtiges Tortenstück vor sich. "Ach wissen Sie", sagte einer, "Wir haben das Glück, Rentner zu sein. Ausserdem haben wir beim Staat gearbeitet. Unsere Pensionen sind sicher. Naja, einigermassen", grinst er, als er meine skeptische Miene sieht.
Ich versuche die Realität und die Bilder aus meiner offenbar allzu lebhaften Phantasie wieder in Einklang zu bringen. Das gelingt mir erst, als mir ein uraltes Lehrstück aus meinem eigenen Geschichtenschatz einfällt. Es stammt aus dem Jahr 1986, als ich in England in einem Kinderheim arbeitete. So gegen Anfang Mai wurde uns dort allmählich klar, dass eben die Katastrophe von Tschernobyl stattgefunden hatte. Was das bedeutete, war uns weniger klar - zumal unser Blatt, die "Times", geradezu vorbildlich die Mengenangaben Becquerel und Mikrogramm vermischte: Genau so, dass ein durchschnittlich gebildeter Mensch unmöglich verstehen konnte, was da im trüben Frühlingshimmel über uns vor sich ging*.
Aber dann war da plötzlich etwas, was ich sehr genau verstand: Ich sass im Zug von Tunbridge Wells nach London Charing Cross. Im Abteil nebenan las einer Zeitung. Auf der letzten Seite stand gross der Titel "Radioactive Cloud Over Switzerland". Ich sass da und hätte ihm am liebsten die Zeitung aus der Hand gerissen. Später stieg er aus und liess sie liegen. Ich packte sie - und fand im Bericht nur das übliche Becquerel- und Mikrogramm-Kauderwelsch.
In Charing Cross stürmte ich aus dem Zug und zur erstbesten Telefonkabine. Wenig später hörte ich die purlimuntere Stimme meiner Mutter in der Schweiz. "Radioaktive Wolke? Welche radioaktive Wolke denn?!" fragte sie, "Bei uns steht in der Zeitung, IHR hättet eine radioaktive Wolke!"
Ja, so war das.
Und nachdem mir das wieder eingefallen ist, weiss ich nur eins noch nicht ganz sicher: Ob ich wissen möchte, was die Britischen Zeitungen im Moment über die Schweiz schreiben.
* So viel zum Thema "früher waren die Zeitungen einfach viel besser!". Aber das ist eine andere Geschichte.
Umso überraschter war ich, als ich neulich in einem Café in Luzern vier purlimunteren Engländern begegnete. Jeder hatte ein prächtiges Tortenstück vor sich. "Ach wissen Sie", sagte einer, "Wir haben das Glück, Rentner zu sein. Ausserdem haben wir beim Staat gearbeitet. Unsere Pensionen sind sicher. Naja, einigermassen", grinst er, als er meine skeptische Miene sieht.
Ich versuche die Realität und die Bilder aus meiner offenbar allzu lebhaften Phantasie wieder in Einklang zu bringen. Das gelingt mir erst, als mir ein uraltes Lehrstück aus meinem eigenen Geschichtenschatz einfällt. Es stammt aus dem Jahr 1986, als ich in England in einem Kinderheim arbeitete. So gegen Anfang Mai wurde uns dort allmählich klar, dass eben die Katastrophe von Tschernobyl stattgefunden hatte. Was das bedeutete, war uns weniger klar - zumal unser Blatt, die "Times", geradezu vorbildlich die Mengenangaben Becquerel und Mikrogramm vermischte: Genau so, dass ein durchschnittlich gebildeter Mensch unmöglich verstehen konnte, was da im trüben Frühlingshimmel über uns vor sich ging*.
Aber dann war da plötzlich etwas, was ich sehr genau verstand: Ich sass im Zug von Tunbridge Wells nach London Charing Cross. Im Abteil nebenan las einer Zeitung. Auf der letzten Seite stand gross der Titel "Radioactive Cloud Over Switzerland". Ich sass da und hätte ihm am liebsten die Zeitung aus der Hand gerissen. Später stieg er aus und liess sie liegen. Ich packte sie - und fand im Bericht nur das übliche Becquerel- und Mikrogramm-Kauderwelsch.
In Charing Cross stürmte ich aus dem Zug und zur erstbesten Telefonkabine. Wenig später hörte ich die purlimuntere Stimme meiner Mutter in der Schweiz. "Radioaktive Wolke? Welche radioaktive Wolke denn?!" fragte sie, "Bei uns steht in der Zeitung, IHR hättet eine radioaktive Wolke!"
Ja, so war das.
Und nachdem mir das wieder eingefallen ist, weiss ich nur eins noch nicht ganz sicher: Ob ich wissen möchte, was die Britischen Zeitungen im Moment über die Schweiz schreiben.
* So viel zum Thema "früher waren die Zeitungen einfach viel besser!". Aber das ist eine andere Geschichte.
diefrogg - 20. Feb, 09:56
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