31
Jul
2008

Psychosomatisch

Sehr geschätzte Frau Walküre

Von Ihnen und nur von Ihnen akzeptiere ich Mutmassungen über die psychosomatische Natur meines Ohrenleidens. Ich tue es, weil ich Sie als wohlmeinende Leserin kenne und überzeugt bin, dass Sie sie aus Anteilnahme äussern. Einer Anteilnahme, zu der sie ja niemand verpflichtet. Dass sie sie dennoch aufbrigen, weiss ich zu schätzen.

Im Allgemeinen aber gehe ich dieser Art von Mitgefühlsbekundungen anders um: Ich schütze mich vor ihnen und jenen, die sie von sich geben. Ich nenne solche Leute die Lottis dieser Welt und erzähle ihnen nichts, aber auch gar nichts Persönliches. Denn ich bin zur Überzeugung gelangt, dass psychosomatische Theorien im Allgemeinen eine Abwehr der Gesunden, der Beschränkten und der Herzlosen vor der Krankheit sind. Weil sie sich nicht vorstellen können (oder wollen), dass es Dinge gibt, über die eine Einzelner keine Macht hat. Oder, weil sie gerne helfen würden oder gar müssten, aber nicht wissen wie.
Oh, ich habe schon Ärzte zu psychosomatischen Theorien Zuflucht nehmen hören! Meinen ersten Ohrenarzt zum Beispiel. Erst diagnostizierte er mir (fälschlicherweise) einen Hörsturz. Dann riet er mir, künftig weniger herumzustressen (wobei er mir nicht erklären konnte, wie er das genau meinte). Dann gab er mir eine kleine Broschüre mit. Darin stand, Hörsturzpatienten seien häufig besonders ängstliche Menschen. Ja, prima! Natürlich ist die Frogg ein besonders ängstlicher Mensch. Das weiss ich seit Jahren. Aber dagegen konnte der Ohrenarzt auch nichts tun (die Psychotherapeutin übrigens auch nicht). Auch gegen das Ohrenleiden konnte der Ohrenarzt nichts tun! Immerhin fühlte er sich wahrscheinlich besser, nachdem er die Schuld daran meiner gestörten Persönlichkeit zugeschoben hatte.

Ich nenne das nicht helfen, ich nenne es dem Opfer einen Tritt in den Arsch geben.

Ich fand das widerlich. Ich wechselte den Arzt.

Ein guter Entscheid, finde ich heute noch. Denn, ja, ich war verängstigt, besonders damals, vor acht Jahren. Ich hatte Angst vor einem weiteren Hörsturz. Ich war erschöpft, weil ich vor Sorge und vom Tinnitus nicht schlafen konnte. Wunderts jemanden, dass ich mich extra gestresst fühlte und deshalb erst recht ideal präpariert für einen weiteren Hörsturz? Eben. Dass ich ausserdem keine Lust hatte, mich auch noch mit Persönlichkeitsdefiziten auseinander zu setzen, die mir jemand angedichtet hatte, der mich zweimal kurz in seiner Praxis gesehen hatte? Eben. Und genauso wie vor acht Jahren geht es mir auch im Moment.

Man lernt, sich selber zu schützen in solchen Lebenslagen.

Nur, damit das allen klar ist.

Ihnen, geschätzte Frau Walküre, danke ich für die Mitteilungen von neulich und bitte um Verständnis für meine vielleicht allzu heftige Reaktion. Sicher verstehen Sie, dass ich Dethlefsen zum jetzigen Zeitpunkt ungern lese.

Herzlich grüsst
diefrogg
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