28
Mai
2008

Bruderherz

Müssen Geschwister verschieden sein? Müssen sie einander ergänzen? Stehen sie sogar in Konkurrenz zu einander? Man könnte es meinen, wenn man den Geschwistern Filomena und Andreas Frogg beim Gang durchs Leben zuschaut. Immer tat er genau das, was sie nicht tat. Oder umgekehrt. Dabei war das gar nicht so einfach. Denn beide waren wir ähnlich begabt: eher im Kopf als in den Händen. Mein kleiner Bruder Andreas hatte zudem noch etwas Talent in den Füssen. Aber Tschütteler* wollte er dann doch nicht werden.

Natürlich war für mich zunächst alles viel einfacher, schliesslich war ich drei Jahre älter. Ich war es, die jedes Neuland zuerst betreten durfte, ja musste. Als Primarschülerin etwa war Filomena frühbegabt, neugierig, ehrgeizig, kurz: in puncto Leistung nicht zu schlagen. Was blieb also Andreas anderes übrig, als stets einen vergnügten Minimalismus an den Tag zu legen?

Doch mit 20 mischte Filomena die Karten neu: Sie entschied sich für ein Studium in drei vollkommen unnützen Fächern: Englische Literaturen und Sprachwissenschaften und Deutsche Literatur. Vater Frogg hoffte noch, sie würde wenigstens Gymnasiallehrerin werden und anständig verdienen. Aber nix da. Bevor sie 40 war, interessierte die Frogg sich für so banale Dinge wie das Geldverdienen nicht im geringsten. Sie schlug sich erst als ewige Studentin und Bibliotheksassistentin durchs Leben. Dann als verkrachte Journalistin. Zudem wechselte sie viel zu oft die Liebhaber.

Da kam die Stunde von Andreas. Er entdeckte seinen Ehrgeiz. Hatte er mit 16 noch mit einem Studium der Philosophie geliebäugelt (auch so ein unnützes Fach), entschied er sich nach der Matura für die Ökonomie. An einer Top-Uni. Er nahm sogar eine Offizierskarriere in Angriff. Doch der Zeitgeist bewahrte ihn davor, sie allzu verbissen verfolgen zu müssen. Dafür erklomm er beruflich die Karriereleiter und hat es zu einem Posten gebracht, der Vater Frogg vor Stolz manchmal ganz verlegen werden lässt. Ausserdem heiratete er die zierliche und zielbewusste Stella aus dem Hause Ottokar und bekam zwei herzige Töchter.

Dann wurde ich 40. Nun schien es mir an der Zeit zu zeigen, dass ich es ja doch auch ein bisschen zu etwas gebracht hatte. Im Fall. Ich lud die vereinigten Familien Frogg und Walholz in ein Prachtshotel zum Essen ein. Natürlich war alles nicht ganz so kostspielig, wie es aussah. Aber die Gäste waren vom wahrhaft atemberaubenden Ausblick beeindruckt. So sehr, dass Grossmutter Walholz nach dem fünften Glas Wein mit etwas unsteter Stimme sagte: "Ich hätte nicht gedacht, dass Du das kannst, Moni!"

Wen wunderts nach all dem, dass Andreas bei der Feier seines 40. Geburtstags ganz anders vorging: Er wählte das Abenteuer und überraschte damit sogar seine Frau Stella. Er lud seine besten Freunde, Schwester Filomena und Herrn T. zu einer kurzen, aber steilen Bergwanderung ein. Gegessen und übernachtet wurde hier.


(Quelle: www.gaestehaus-lammet.ch)

In einem Massenlager mit alten Armeewolldecken (die, unter denen man mit dem Schweizerkreuz auf der Brust schläft). Und siehe da: Es funktionierte. Zwar schliefen die wenigstens besonders gut, denn für 40-Jährige wird ein Massenlager allmählich eine Zumutung. Aber auch am Morgen waren die Konversationen noch freundlich, und da und dort ertönte Gelächter an einem Tisch. Ein schönes Fest.

Ich hatte nur ein Problem: Mein rechtes Ohr. Blubbern und tröten, ihr wisst schon. Ich brauchte einen ganzen Tag und eine Nacht, bis es sich erholt hatte. Mein Bruder hat mich für einmal wirklich schachmatt gesetzt.


*"Tschütteler": Schweizerdeutsch für Fussballer.
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