Das Haus der Totenschädel
Ossario von Poschiavo - Beinhaus von Puschlav
Die katholischen Alpentäler der Schweiz haben - oder hatten früher - einen sehr lebendigen Totenkult. An strategischen Stellen in den Dörfern standen so genannte Beinhäuser, auch Ossuarien genannt. Darin waren - dekorativ aufgereiht - die Totenschädel der lokalen Ahnen zu besichtigen.
Noch in den achtziger Jahren fanden wir im Calancatal in einem Studienlager vor jedem Dorf ein Beinhaus. Es lag jeweils am Dorfrand, direkt an der Hauptstrasse. Wir waren fast noch Teenager und völlig fasziniert. Aus unseren Städten und Vororten waren solche Bauten längst verschwunden.
Man hatte früher vielerorts Beinhäuser, weil in den Friedhöfen der Platz nicht für alle reichte. So nach 25 Jahren grub man die Toten aus, reinigte ihre Gebeine und verbrachte sie ins Ossuarium. Dort konnten sie auf engerem Raum ruhen.
Warum man sie so gut sichtbar präsentierte, weiss ich allerdings auch nicht. In jenen abgelegenen Bergtälern sah es so aus, als wolle an den Fremden damit sagen: "Seht her! Schon so viele unserer Vorfahren haben mit ihren Grinden* den Bergen hier getrotzt! Uns könnt ihr nichts anhaben."
Das Puschlav ist zwar keine strikt katholische Gegend (dazu später mehr). Aber der Hauptort Poschiavo besitzt ein solches Beinhaus - oder Italienisch: ossario. Es steht gleich neben der katholischen Kirche, mitten im Dorf - und es ist ein kleines architektonisches Schmuckstück, 1732 erbaut.
Die Bilder zwischen den Schädeln erinnern die Betrachterin mit den barocküblichen Motiven an ihre eigene Sterblichkeit und an die moralische Endabrechnung im Jenseits. Oder - je nachdem: Daran, dass der Tod auch die Reichen holt - und dass es sich gar nicht lohnt, sich ein Stück von ihrem Wohlstand noch hienieden zu holen. Ein Beispiel:
Schliesst Ihr nur Eure Paläste
so fest Ihr wollt
Denn ich werde eintreten wollen
durch Öffnungen, die ihr gar nicht kennt.**
* "Grind": Saloppes schweizerdeutsches Wort für Kopf, auch für "grimmige Miene". Auch Fasnachtsmasken heissen "Grind".
** Bin nicht ganz sicher, ob der zweite Teil der Übersetzung stimmt und offen für Anregungen und Korrekturen
diefrogg - 25. Okt, 19:26
2 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
jueb - 26. Okt, 11:15
Ich überlege gerade, ob mich der Totenschädel eines Nahestehenden eventuell einmal trösten könnte. Komisch: ich halte es für möglich.
diefrogg - 28. Okt, 11:22
Da bin ich mir...
nicht so sicher. Zu sehen bekämen wir ja wahrscheinlich nur Totenschädel von Leuten, die lange vor uns gestorben sind - noch immer liegen wir ja 25 Jahre in der Erde, bevor man unsere Gebeine wieder herausholt. Die Rede wäre also meist von älteren Verwandten von uns. Ich muss gestehen: Mich persönlich würde es ein bisschen erschrecken, dem Schädel von Grossvater Frogg zu zu begegnen. Ich behalte ihn mir lieber so in Erinnerung, wie ich ihn kannte. Oder vielmehr: wie ich ihn mir vorstelle, denn ich kannte ihn nicht besonders gut und nur als kleines Kind.
Dann habe ich im Wesen sehr katholische Einstellung zum Tod. Ich finde, er gehört durchaus zum Leben - aber daran erinnert werden möchte ich lieber nur in klar abgegrenzten Situationen. Ich fände es zum Beispiel pietätlos, die Asche verstorbener Angehöriger auf meinem Büchergestell aufzubewahren.
Dann habe ich im Wesen sehr katholische Einstellung zum Tod. Ich finde, er gehört durchaus zum Leben - aber daran erinnert werden möchte ich lieber nur in klar abgegrenzten Situationen. Ich fände es zum Beispiel pietätlos, die Asche verstorbener Angehöriger auf meinem Büchergestell aufzubewahren.
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