13
Feb
2013

Dürre und düstere Wolken

Wir erinnern uns: Noch am 11. Mai 1944 berichtete Soldat Fred Feuerstein (42) gut gelaunt von einer Einkaufstour in Paris. Doch innert zwei Wochen veränderte sich seine Stimmung dramatisch. Was er am 28. Mai 1944 seiner Frau Erna schreibt, ist ein eindrückliches Dokument des Unbehagens: „Nun ist heute ein Pfingstsonntag hell und klar und heiss, dass man im Schatten dauernd schwitzt. Die wenigen Bauern, die noch Weiden haben, sind mitten im 'Heuet' drin. Es ist seit Tagen wahnsinnig trocken. Immer etwas Wind und klare Sonne, so dass nichts mehr wachsen kann vor Dürre.

Es gibt kein Gemüse mehr, das alte ist weg und das Neue sollte Regen, Regen haben. Die Civiles haben seit vier Wochen nun kein Brot. Die alten Kartoffeln sind ziemlich alle fertig und da fressen die Bauern halt die Eier selber. Es ist eine grosse Misere. Seit vielen Tagen hat man auch keinen Strom, also kein Radio, keinen Kocher, nichts. 'Scheisse'. Keine Limonade, kein Bier, weil die Maschinen nicht laufen ohne Strom. Trinkwasser gibt’s keines. Alles Zisternenwasser ist zu gefährlich. Wir sind wieder gegen Cholera gespritzt worden. Ich habe heute leichtes Fieber davon.

... Von wegen Urlaub hört man schon gar nichts. Es wird auf lange Sicht gesperrt bleiben. Die Transporte sind ja heute soo schwierig, der Thommy hat nun eine neue Taktik, indem er die Bahnanlagen vorwiegend in Arsch haut, um in ganz Europa die Misere zu fördern und unseren Nachschub zu stören. Aber glücklicherweise ist die Verkehrsdichte sehr, sehr gross, so dass auf Umwegen immer mal durchzukommen ist. Aber nach Hause käme ich eben schon nur langsamer wie früher.

Nun liegt ja schon seit Tagen eine Spannung auf Führung und Truppe, weil die „Hunde“ nicht kommen. Jeden Tag wird unsere Abwehr stärker, aber das in den Kleidern schlafen wird schon auch zu bunt. Ich kann nicht mehr einkaufen fahren. Die Kantine ist langsam leergekauft."

Am Schluss versucht er dann doch noch, wieder Normalität zu etablieren - aber es gelingt ihm nicht: "Die Badehauben habe ich noch nicht holen können, weil ich nicht nach Rennes hin konnte. Möglicherweise komme ich demnächst doch noch einmal auf Fahrt, wenn der Thommy nicht kommen sollte und wieder etwas lockerere Bestimmungen sein werden. … Wir haben neue Leute, Volksliste III erhalten, aber gute Kämpfer, die meisten mit Auszeichnungen, zum Teil Cassino-Kämpfer aus Italien. Wir müssen Leute abgegeben, auch keine schlechten Soldaten."

Acht Tage später wird sich die Spannung entladen - mit der Landung der Alliierten in der Normandie. Mehr darüber später.

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walküre - 14. Feb, 13:38

Danke für die Veröffentlichung dieser Briefe !

diefrogg - 14. Feb, 19:24

Danke für den...

Kommentar, Frau Walküre! Die Gratwanderung zwischen Glorifizierung und vielleicht naiver Kritik ist nicht ganz einfach.

Aber nachdem ich gestern den Film über Hannah Arendt gesehen habe, glaube ich: Man darf hinsehen - ich hoffe, man darf es auch dann, wenn man kein annähernd so grosser Geist ist wie die Arendt.
walküre - 14. Feb, 19:33

Die Gratwanderung, wie Sie es nennen, empfinde ich gar nicht als solche. Fred Feuerstein war sehr wahrscheinlich ein Soldat wie viele andere - zunächst begeistert von der Aussicht auf Verbesserung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage (und damit natürlich auch der eigenen), angetan von der Aussicht auf sichere Arbeit und allgemeiner Wertschätzung für diese Arbeit, später dann, an der Front und überhaupt, schnell mehr als ernüchtert. Zu spät ernüchtert.
diefrogg - 14. Feb, 21:42

Ja und nein,

Frau Walküre. Ich möchte hier nicht vorgreifen, aber so viel kann ich vielleicht schon sagen: Ja, Fred hoffte auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage - nicht zuletzt seiner eigenen. Er war gelernter Typograph und liess in der Schweiz eine gescheiterte Karriere als selbständig Erwerbender zurück. Sowas kann jedem passieren, und deshalb will ich ihn auch nicht verurteilen. Es waren schwierige Jahre. Und er strebte - wie viele Leute, die aus armen Familien stammten und deshalb einen technischen Beruf im Print-Bereich erlernten - eigentlich nach Höherem. Als ihm im damaligen Gross-Deutschland jemand Arbeit im Erziehungsbereich anbot, griff er zu. Das kann ich verstehen. Ehrgeiz ist eine mächtige Droge, auch für kleine Leute.

Sie hat leider auch eine bewusstseinsverändernde Wirkung. Ich werde in weiteren Beiträgen noch erläutern, wie sich das bei Fred zeigte. Aus Zitaten geht hervor, dass er die rassistische Herrschaftsideologie der Nazis durchaus verinnerlichte. Er glaubte, einen gerechten Krieg zu führen. Er glaubte, dass die Deutschen die besseren Menschen waren als zum Beispiel die Franzosen. Hier irrte er. Natürlich war er ernüchtert - weil es ihm und allen anderen beschissen ging. Aber ändert das etwas an seinem Glauben an die Ideologie? Dieser Frage werde ich noch nachgehen.
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