8
Okt
2008

Gespenstergeschichte

Ich gebe zu, Gespenstergeschichten sind etwas aus der Mode gekommen. Man hält es heutzutage eher mit Krimis und so. Aber neulich habe ich eine gehört, die mir einen kalten Schauer über den Rücken gejagt hat. Sie stammt von einem Bekannten, nennen wir ihn Flim. Ich muss sie jetzt einfach hier kolportieren. Du mögest es mir verzeihen, geschätzter Flim. Schliesslich sind Gespenstergeschichten für die Kolportage gedacht.

Diese hier trug sich in Schönenbuch zu. Für alle Nicht-Kenner von Schönenbuch: Das Dorf nicht weit von Basel ist ein idealer Ort für Gespenster, weil dort rund um den Ort herum die Schweiz einfach aufhört. Weil dahinter elsässisches Niemandsland beginnt, das nur ab und zu von einem Spazierweg durchschnitten wird. Weil dort vor allem im Herbst die ganze Landschaft von unsichtbaren Spinnweben überzogen scheint. Von einem zarten Schleier, der alles an diesen Feldern und Wäldern in einem weisslichen, verschwiegenen, total zauberhaften Licht erscheinen lässt.

Also item: In diesem Schönenbuch gibt es ein Restaurant in einem uralten Haus. Bekannte von Flim, ein Paar hatten es gekauft. Flim arbeitete manchmal dort. Sie hatten alle gehört, dass es dort spukte. Aber eben... Wer glaubt heutzutage noch an Gespenster. Bis... ja bis er, der neue Wirt eines Tages eines der Zimmer im oberen Stock des Hauses betrat - und dort plötzlich den unwiderstehlichen Drang verspürte, sich zu erhängen. Seine Frau konnte ihn gerade noch davon abhalten. Er war sonst kein suizidaler Typus, höchstens etwas verschlossen. Darum hat er auch nie mehr über den Vorfall erzählt. Nur so viel: Später erfuhren die beiden, dass sich in genau jenem Zimmer tatsächlich einmal jemand erhängt haben soll.

Und es kam noch gruseliger. Die beiden übernachteten auch gelegentlich in dem Haus. Eines Nachts, sie war allein dort, erwachte sie, weil ihr Bett geschüttelt wurde. Sie öffnete die Augen und sah einen kleinen Mann, der das Fussende ihres Bettes gepackt hatte und kräftig rüttelte.

"Hey, jetzt hör aber mal auf!" sagte sie.

Da hörte das Männchen auf, setzte sich auf ihren Bettrand und begann zu schimpfen. Ich meine, richtig lästern. Gift und Galle spucken. Über Gott und die Schlechtigkeit der Welt und jeden Chabis*, der ihm gerade einfiel. Wie so ein alter Motzgrind** wie man sie in der Schweiz früher manchmal im Bus traf. Die in allem und jedem Anlass fanden, ihrer Bitterkeit Luft zu verschaffen. Ich weiss nicht, wie lange das so ging. Die Frau im Bett sass jedenfalls mit aufgesperrten Augen da. Irgendwann sagte sie wieder: "Hey, jetzt hör aber auf!"

Da hörte er auf und verschwand. Einfach so.

Ein paar Tage später arbeitete Flim in dem Restaurant. Auch die Wirtin bediente im Lokal. Irgendwann sah Flim, dass sie kreidebleich war. "Was hast Du?" fragte er sie. Da nahm sie ihn beim Ärmel und wies auf einen Tisch in der Ecke. Dort sass ein älteres Paar. Er war klein und redete, ach was, schimpfte sich die Seele aus dem Leib. Schon längere Zeit.

"Das ist der Mann, der kürzlich nachts mein Bett geschüttelt hat", sagte die Wirtin.

* Kohl
** frogg'sche Wortschöpfung für "extremer Nörgler".
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