21
Okt
2008

Wenn die Strasse bockt

Wir Menschen neigen dazu, Dinge für selbstverständlich zu halten, die gar nicht selbstverständlich sind. Die Fähigkeit zum aufrechten Gang zum Beispiel. Und ich meine jetzt nichts so gepflegtes wie den aufrechten Gang im metonymischen Sinne von Stolz oder evolutionär erworbener Zivilisiertheit. Ich meine den aufrechten Gang im wortwörtlichen Sinne. Ich meine: Solltet Ihr das Leben wieder einmal einfach fürchterlich finden, so setzt Euch hin und dankt dem lieben Gott. Dafür, dass Ihr aufrecht an der Bäckerei Moos in Luzern vorbeigehen könnt, ohne dabei überhaupt ans Gehen denken zu müssen.

Ich kann das nicht mehr. Ich werde fortan jedesmal, wenn ich an der Bäckerei Moos in Luzern gehe, daran denken müssen, wie die Frogg hier, genau hier, urplötzlich die Fähigkeit zum aufrechten Gang verlor. Wie ihr der Asphalt unter ihren Füssen ohne Vorwarnung und mit einem gewaltigen Ruck entgegenbockte. Wie sie beinahe auf die Stirne geknallt wäre. Wie sie nichts tun konnte als sich dem Asphalt möglich sanft entgegen plumpsen zu lassen. Wie sie schliesslich der Länge nach auf dem Trottoir lag. Wie die Häuser in ihrem Blickfeld sanft aber unbeirrbar um sie kreisten. Um es kurz zu machen: Ich hatte wieder mal eine Menière'sche Attacke.

Immerhin: Diesmal hatte ich geradezu unglaubliches Glück im Unglück. Denn was sich danach abspielte, liest sich wie ein Märchen aus Zeiten, als Menschen noch Zeit füreinander hatten und lieb zueinander waren. Denn vor der Bäckerei Moos stehen zwei Tischchen mit roten Plastitischtüchern. An einem dieser Tischchen sass gerade ein Briefträger und hielt seine Kaffeepause ab. Als die Frogg nun so dalag, sprang der Briefträger sofort herbei. Die Bäckersfrau eilte mit einem Glas Wasser aus dem Laden. Beide halfen mir aufstehen und setzten mich an eines der roten Tischchen. Dort war mir zwar weiter schwindlig. Aber ich konnte mein Antemin schlucken, vermied so einen Brechanfall und sah wenigstens nicht mehr so peinlich aus.

Dass die beiden mir halfen, ist nicht selbstverständlich. Das könnt Ihr mir glauben, denn ich habe einige Erfahrung im Zusammenbrechen auf der Strasse. Meistens bin ich dabei bei vollem Bewusstsein, und ich habe festgestellt. Wenn Du hilflos auf dem Boden liegst, dann machen die Leute einen grossen Bogen um Dich. Dann starren sie Dich so ängstlich an, als sässe ein todbringendes, giftgrünes Monster mit besonders boshaften kleinen Äuglein sprungbereit auf Deiner Brust.

Naja, item. Jedenfalls rief ich Herrn T. an, der mich abholen kam. Derweil ich wartete, bat die Frau Bäckerin mich in ihr Lokal. Sie tat es, obwohl auch sie das giftgrüne Monster auf meiner Brust sah und mir nicht recht über den Weg traute. Ich bemühte mich sehr, so zu tun, als sei alles wieder in Ordnung. Vielleicht zu sehr. Deshalb möchte ich hier noch schreiben, dass ich der Bäckersfrau dankbar bin. Und: Solltet Ihr einmal an der Bäckerei Moos in Luzern vorbeigehen: Haltet an und denkt daran, dass einem hier in der Not geholfen wird. Und dann geht hinein und kauft einen Nussgipfel oder ein Gipfeli oder ein Stück Käsekuchen.

Und noch etwas: Psychosomatische Theorien zu diesem Eintrag verbitte ich mir und werde sie gegebenenfalls sofort löschen.
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Journal einer Kussbereiten

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