Flucht vor sich selber
Albert Nobbs ist mit Sicherheit der traurigste Film, den ich je gesehen habe. So tief bedrückt wie nach diesem Streifen habe ich das Kino noch nie verlassen. Und dennoch: Wer bereit ist, einen Abend lang zu leiden, um durch die Kunst die menschliche Seele besser zu verstehen, sollte ihn sich ansehen.
Wenn uns die griechischen Philosophen die Jahrhunderte herunter zurufen: Werde der Du bist, so tut Albert Nobbs genau das Gegenteil: Er ist und bleibt viel zu lange, was er nicht ist - und zeigt, wie tragisch das ist.
Denn Albert Nobbs ist eine Frau. Aber das darf niemand wissen, weil Nobbs (Glenn Close) sich eine Existenz als Mann aufgebaut hat: Er kellnert in einem versnobbten Hotel im Dublin des späten 19. Jahrunderts. Schon ein Fleck auf seiner Krawatte könnte diese Existenz zerstören und ihn ins Elend draussen stürzen. Was, wenn erst noch auskäme, dass er eine Frau ist!? So ist er penibel, still und stets bemüht, nicht gesehen zu werden.
Nun kann eine Frau, die sich als Mann ausgibt, durchaus glücklich werden. Das zeigt eine andere Frau im Film, die sich als Mann ganz offensichtlich sehr wohl fühlt. Doch die Lage von Albert ist viel schwieriger. Er hat seine Weiblichkeit nicht nur für eine berufliche Existenz weggeworfen: Vieles an seinem zutiefst verklemmtem Wesen legt nahe, dass er sie einfach nicht mehr ertragen hat. Kein Wunder, erfährt man: Er wurde als Vierzehnjährige von einer ganzen Männerrotte vergewaltigt.
So sitzen wir im Kinostuhl, und Alberts Angst macht uns ganz angespannt. In jeder unendlich langsam gefilmten Einstellung sehen wir diese Angst. Ausser ihr hat er nicht viel. Naja, er hat ein kleines Vermögen in seinem Personalzimmer versteckt. Und er hat - scheinbar - einen Traum. Er will einen kleinen Tabakladen kaufen. Und heiraten. Dabei bekommt er Hustenanfälle vom Rauchen. Und wie er der süssen Helen den Hof zu machen versucht, ist einfach nur qualvoll mitanzusehen.
Er ist besessen von seinem Geld - auch, weil es in seinem Leben nichts anderes gibt.
Natürlich endet das tragisch. Es kann gar nicht anders enden.
Nur erwarten wir als Kinogänger, dass uns der Film wenigstens einen Hoffnungsschimmer auf den Heimweg gibt. Dass er uns die bittere Pille mit einem Spritzer Sinn versüsst. Und auf seine eigene Art tut er das auch. Aber seid gewarnt: Es ist ein sehr kleiner, sehr zweifelhafter Spritzer für eine sehr bittere Pille.
Wenn uns die griechischen Philosophen die Jahrhunderte herunter zurufen: Werde der Du bist, so tut Albert Nobbs genau das Gegenteil: Er ist und bleibt viel zu lange, was er nicht ist - und zeigt, wie tragisch das ist.
Denn Albert Nobbs ist eine Frau. Aber das darf niemand wissen, weil Nobbs (Glenn Close) sich eine Existenz als Mann aufgebaut hat: Er kellnert in einem versnobbten Hotel im Dublin des späten 19. Jahrunderts. Schon ein Fleck auf seiner Krawatte könnte diese Existenz zerstören und ihn ins Elend draussen stürzen. Was, wenn erst noch auskäme, dass er eine Frau ist!? So ist er penibel, still und stets bemüht, nicht gesehen zu werden.
Nun kann eine Frau, die sich als Mann ausgibt, durchaus glücklich werden. Das zeigt eine andere Frau im Film, die sich als Mann ganz offensichtlich sehr wohl fühlt. Doch die Lage von Albert ist viel schwieriger. Er hat seine Weiblichkeit nicht nur für eine berufliche Existenz weggeworfen: Vieles an seinem zutiefst verklemmtem Wesen legt nahe, dass er sie einfach nicht mehr ertragen hat. Kein Wunder, erfährt man: Er wurde als Vierzehnjährige von einer ganzen Männerrotte vergewaltigt.
So sitzen wir im Kinostuhl, und Alberts Angst macht uns ganz angespannt. In jeder unendlich langsam gefilmten Einstellung sehen wir diese Angst. Ausser ihr hat er nicht viel. Naja, er hat ein kleines Vermögen in seinem Personalzimmer versteckt. Und er hat - scheinbar - einen Traum. Er will einen kleinen Tabakladen kaufen. Und heiraten. Dabei bekommt er Hustenanfälle vom Rauchen. Und wie er der süssen Helen den Hof zu machen versucht, ist einfach nur qualvoll mitanzusehen.
Er ist besessen von seinem Geld - auch, weil es in seinem Leben nichts anderes gibt.
Natürlich endet das tragisch. Es kann gar nicht anders enden.
Nur erwarten wir als Kinogänger, dass uns der Film wenigstens einen Hoffnungsschimmer auf den Heimweg gibt. Dass er uns die bittere Pille mit einem Spritzer Sinn versüsst. Und auf seine eigene Art tut er das auch. Aber seid gewarnt: Es ist ein sehr kleiner, sehr zweifelhafter Spritzer für eine sehr bittere Pille.
diefrogg - 2. Mai, 13:21
10 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
seifenblasenpusterin - 2. Mai, 14:55
Danke für die tolle Filmrezension... ich will diesen Film nun unbedingt sehen. Liebe Grüße :)
Teufels Advokatin - 2. Mai, 15:52
Ich habe den Film...
auch gesehen und das Kino danach ebenfalls mit einer leichten Depression verlassen. Ich fand Albert eine der traurigsten Filmgestalten, die mir je begegnet ist. Sein Unglück scheint mir aber nicht allein dadurch begründet, dass er sexuelle Gewalt erlitten hat. Auch sein Gegenpart - die "glückliche" Frau in Männerkleidern - ist vor einem gewalttätigen Mann geflohen und müsste ergo ebenfalls ein unglücklicher Wurm wie Albert sein. Ist er aber nicht. Mir scheint, das Leiden von Albert müsse seinen Ursprung viel früher haben. Es fühlt sich so an, als fehle es ihm an einer Art Urvertrauen. Als sei ihm seit frühester Kindheit nie erlaubt worden, er/sie selbst zu sein. Das kann durchaus mit seiner Kindheit als "Bastard" zu tun haben. Leider erfahren wir diesbezüglich wenig über die andere Männerfrau im Film.
rosawer - 3. Mai, 17:50
Auch ich muss mir eindeutig
diesen Film anschauen. Aber selbst bevor ich ihn gesehen habe, habe ich Einwände auch gegen die (offenbar) berechtigten Einwände von Teufelsadvokatin: Wenn wir Kinder aus derselben Familie anschauen, von denen wir (mal) annehmen können, dass sie ähnliche Erfahrungen beim Aufwachsen gemacht haben, sehen wir doch enorme Unterschiede, wie sie ihren Lebensweg bewältigen. Und so denke ich, dass Menschen unterschiedlich ausgestattet sind, unterschiedlich mit derselben oder einer ähnlichen Situation umgehen. Wesentlich für die Bewältigung des "Lebens" (wenn man das so dramatisch sagen will) scheint die Dichte und Intensität des sozialen Umfeldes zu sein. Studien zum Altern von Männern und Frauen zeigen das, bis hin zu Studien zur Fähigkeit von Überlebenden der KZ mit diesem Trauma zu leben. Fazit: Wer gute soziale Beziehungen haben kann, lebt besser. Mehr Spekulation dann, wenn ich den Film gesehen habe ...
diefrogg - 4. Mai, 12:47
Ob wir es "Urvertrauen"...
nennen wollen oder anders: Ich kann gut mit dem Einwand leben, dass noch andere Faktoren als sexuelle Gewalt Albert ins totale persönliche Abseits geführt haben - Zustände oder Erlebnisse in seiner Kindheit, Isolation, was immer.Wie ein ausgezeichneter Geschichtslehrer an meinem Gymnasium zu sagen pflegte: Ein bestimmtes Ereignis hat immer mehrere Ursachen.
Für mich besteht aber doch ein Unterschied in der Intensität der sexuellen Gewalt, die beide Frauen erlebt haben. Albert wurde Opfer einer mehrfachen Vergewaltigung. Das ist traumatisch, daran gibt es nichts zu deuten. Die andere Frau hatte einen häufig betrunkenen und gewalttätigen Ehemann. Es gelang ihr, aus dieser Ehe zu flüchten- was damals weit weit schwieriger war als heute. Es ist gut möglich, dass frau eine solche Flucht als Selbstbehauptung, gar als Triumph, deutet - was wiederum zur Stärkung ihrer Persönlichkeit beigetragen hätte.
Ein paar solche Studien würde ich übrigens gerne mal lesen, rosawer! Falls die irgendwo verlinkt sind...
Für mich besteht aber doch ein Unterschied in der Intensität der sexuellen Gewalt, die beide Frauen erlebt haben. Albert wurde Opfer einer mehrfachen Vergewaltigung. Das ist traumatisch, daran gibt es nichts zu deuten. Die andere Frau hatte einen häufig betrunkenen und gewalttätigen Ehemann. Es gelang ihr, aus dieser Ehe zu flüchten- was damals weit weit schwieriger war als heute. Es ist gut möglich, dass frau eine solche Flucht als Selbstbehauptung, gar als Triumph, deutet - was wiederum zur Stärkung ihrer Persönlichkeit beigetragen hätte.
Ein paar solche Studien würde ich übrigens gerne mal lesen, rosawer! Falls die irgendwo verlinkt sind...
acqua - 2. Mai, 21:59
Ich hatte gehofft, hier darüber zu lesen!
diefrogg - 3. Mai, 11:00
:)
Ich hoffe, Du hast Dich nicht geärgert, dass ich Dich in den Streifen gelockt habe.
acqua - 3. Mai, 12:06
Nein. Der war ja auch auf meiner tbs-Liste.
diefrogg - 3. Mai, 16:31
tbs?
Turnverband Bern-Seeland? Technische Betriebe Suhr? Tokyo Broadcasting System?
Falkin - 3. Mai, 18:03
...ich denke, dass ein Spiel mit Rollenbildern sicherlich befreiend und erhellend sein kann. Aber es ist traurig, wenn der Weg in eine schmerzfreie Freiheit Selbstverleugnung verlangt. Ist ein Leben dieserart überhaupt lebens-wert? ...und welche Gnade, dass ich die sein und werden darf, die ich bin/ sein will. Gedanken-Splitter notiert. - Jedenfalls ein herzliches Dankeschön, Frau Frogg, für diesen Film-Tipp, den ich mir anschauen werde. Nicht nur, weil ich Glenn Close sehr schätze!
diefrogg - 4. Mai, 12:51
Gerne!
Ich ich schätze Glenn Close sehr! Ich muss in solchen Momenten immer wieder damit angeben, dass ich sie anno 1992 einmal im Theater gesehen habe ;) "Der Tod und das Mädchen" in einer Broadway-Produktion!
Ja, ich finde der Film legt das potenziell tragische Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Selbstverleugnung sehr gut dar.
Ja, ich finde der Film legt das potenziell tragische Spannungsverhältnis zwischen Freiheit und Selbstverleugnung sehr gut dar.
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