11
Apr
2012

Glück

Glück ist etwas sehr Relatives, stellte ich auf unserer Tessin-Reise wieder einmal fest. Glück kann auch die Freude darüber sein, dass man aus einer ungemütlichen Lage geradezu unverschämt heil herauskommt.

Zum Beispiel: Am Ostersamstag kamen wir auf einem Spaziergang ins malerische Tessiner Dorf Aranno.

arosio 2012 014

Wie man auf dem Bild sieht, zog düsteres Gewölk herauf. Wir mussten entscheiden: Weitergehen oder auf das Postauto warten? "Auf das Postauto warten", sagte Frau Frogg. Nicht so sehr wegen des Gewölks. Das sah noch nicht sooo bedrohlich aus. Sondern wegen ihres Ohrenleidens. Sie wollte nicht mit einem Gewaltsmarsch einen Hörsturz riskieren. Ein glückhafter Entscheid, wie sich bald zeigen sollte. Wir fanden die - wegen Bauarbeiten verlegte - Postautohaltestelle. Und wir hatten zum erstenmal Schwein: Ein Postauto war in einer Viertelstunde fällig. Das ist nicht selbstverständlich. Manchmal fahren Postautos im Malcantone nur alle zwei Stunden.

Eben hatten wir uns neben dem Fahrplan aufgestellt, als wir erste Blitze sahen. Es tröpfelte. Wir sahen uns nach einem Unterstand um und siehe da: Neben der Haltestelle stand die Villa eines reichen Sacks. Dieser hatte seine Garage - gross genug für zwei Zivilpänzerli* - mit Vordach gebaut. Wir fragten diesmal nicht nach dem Recht von reichen Säcken, Villen im Tessin und zwei Zivilpänzerli zu besitzen. Wir begaben uns unter das Vordach. Denn schon begann es zu giessen. Wie aus Kübeln zu schütten. Zu hageln.

Die Hauptstrasse wurde zum Bach, dann zum Sturzbach. Erst flossen nur ein paar Tropfen in unsere Garagenecke. Dann ein ganzes Rinnsal. Dann standen wir mit den Schuhsohlen in einer schnell anschwellenden Hagelpfütze. Der kulturflaneur fotografierte. Frau Frogg, begeistert und panisch zugleich, begann sich nach Rettungswegen umzusehen. Sie fand die Treppe zur Villa des reichen Sacks.

Da kam das Postauto. Herr T. musste einen orangeweissen Töggel von der Strasse entfernen, damit es bis zu uns vorfahren konnte. Wir bestiegen das Gefährt, dessen Räder von Wasser umtost wurden. Wir hatten nur nasse Füsse. Die anderen Wanderer, die wir unterwegs gesehen hatten, mussten pflotschnass geworden sein.

* zu "Deutsch": Offroader oder Geländewagen

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acqua - 11. Apr, 11:12

Weisst du noch: Unser Unterstand in der Maden-Bucht?

diefrogg - 11. Apr, 11:30

Oh ja!!!

Ein alter Lastwagen-Container wars, wenn ich mich recht erinnere. Wie für uns hingestellt, genau da, wo uns der Regen erwischte. Innen nicht sooo appetitlich. Aber durchaus auch glückhaft!
trox - 11. Apr, 21:02

zivilpänzerli

nennt ihr die dinger also in. Ich kannte nur "Mamapanzer"

diefrogg - 12. Apr, 11:29

Ach, das ist interessant!

Ich hatte die Holländer für frauenfreundlicher gehalten! Auch bei uns findet man es merkwürdigerweise nur verwerflich und/oder lächerlich, wenn Frauen solche Dreckschleudern und Verkehrshindernisse fahren. Hingegen hält man es für halbwegs legitim, dass Männer mit solchen Potenzprothesen ihren sozialen Status und ihre Wehrbereitschaft zur Schau stellen. Dabei brauchen weder Frauen, noch Männer solche Autos. Es macht aber unter Umständen Sinn, dass Frauen grössere Autos fahren als Männer - weil Frauen öfter Kinder zur Schule bringen und Einkäufe herumschleppen. Den meisten Männern würde heute ein kleines Elektroauto mit Staufach für den Aktenkoffer vollauf genügen - ein paar wenige Ausnahmen gibt es im Muotatal, in den höheren Lagen des Entlebuchs und des Urnerlandes, wo der Vierradantrieb im Winter durchaus gebraucht wird.
trox - 13. Apr, 00:18

auch für einkäufe

ist ein kleines auto -- falls überhaupt ein auto -- völlig ausreichend. ein Smart fasst 6 kisten bier, und das ist sowohl gesundheitlich wie volumenmässig deutlich mehr als der wocheneinkauf einer kleinfamilie (und sogar einer grossfamilie). und warum kinder in die schule gefahren werden müssen, ist mir absolut unzugänglich.

zum elektroauto muss ich zur zeit sozusagen aus professioneller verpflichtung gute miene machen, wo doch die meisten elektroautos voll sinnlos sind: wir haben schon zwei, und kaufen nun noch ein elektroauto fürs gute gewissen. lach! ...eigentlich zum heulen. denn woher kommt der strom? -- aha, aus der steckdose (eingekauft von deutschen kohlekraftwerken oder in akws produziert, die sich die stromwirtschaft mit froher unterstützung aus bundesbern nun beim abschalten nochmals vergolden lässt). und die batterie? ... ehm ... man nennt das je nach einstellung sondermüll oder konfliktmaterial.
diefrogg - 13. Apr, 13:02

Was Kinder zur Schule...

fahren beterifft: Da teile ich im Prinzip Deine Meinung. Allerdings habe ich selber keine Kinder und masse mir deshalb kein Urteil an.

Von Öko-Autos scheinst Du ja ganz schön was zu verstehen! Wer hätte das gedacht?!

Ich persönlich habe inzwischen soweit möglich voll auf die Hardcore-Fussgängerei und öffentlichen Verkehr umgestellt. Und es fehlt mir an rein gar nichts, das muss hier einmal gesagt sein!
Teufels Advokatin - 12. Apr, 11:52

Nennt man das,

was Ihr hier erlebt habt, nicht eher "Schadenfreude" als "Glück"?

diefrogg - 13. Apr, 12:58

Nein, nein!

Ich empfand sogar aufrichtige Bewunderung für das Paar, das im selben Gewitter total durchnässt wurde, das aber überhaupt nicht so schlimm fand. Ich wäre an ihrer Stelle wieder einmal dem Kältetod nahe gewesen.

Aber zur Frage nach dem "Glück": Die englische Sprache unterscheidet zwischen einem glückhaftem Vorfall und "richigem" Glück. Jemand wir wir wäre auf Englisch "lucky" gewesen. Wer dagegen sein Lebensglück gefunden hat, wird als "happy" bezeichnet. Ich beginne mich zu fragen, ob beides nicht ein- und dasselbe ist.
sunsan2 - 12. Apr, 14:27

Jessassna Frau Frogg, welch ein Wort: "Potenzprothesen".....
... mir blieb der Mund offen stehen, gefolgt von einem wilden Gelächter :)....
Es bei Frauen nur verwerflich und lächerlich zu finden, finde ich, ist ein wenig milde ausgedrückt. Mir fällt allerdings kein passendes Wort dazu ein.
Ich habe ebenso meine Probleme mit solchen Umweltverschmutzern, was mir bei einer Lehrveranstaltung als ich so eine Frau mit so einem "Zivilpänzerli" anreisen sah und mein Erstaunen nicht Zügeln konnte, ein schlechtes Evaluierungsergebnis von derselben brachte. Ich habe sie doch nur gefragt, ob ihr die Umwelt nicht leid tut, wenn sie 14 Liter Benzin auf 100 Km braucht.

diefrogg - 13. Apr, 13:00

...und dafür

hast Du ein schlechtes Evaluierungsergebnis bekommen? Das bestätigt mich in der leisen Ahnung, dass Menschen manchmal auch dann unprofessionell sind, wenn sie intelligent genug sind, um das Wort "Evaluierung" zu verstehen.
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