21
Jun
2014

1000 Franken

Ich bin wirklich vorsichtig im Bahnhof. Ich weiss, dass dort viel gestohlen wird. Ich achte gut auf mein Portmonee. Aber heute früh hat es mich erwischt: Ich stieg in einen Zug nach Olten und schaute im Waggon schnell in der Tasche nach meinem Geldbeutel. Er war weg. Alles aus- und wieder Einpacken änderte nichts daran. Er war weg.

Da wusste ich: Ich musste raus aus dem Zug, bevor er losfuhr. Meine Freundinnen in Olten konnte ich vergessen. Ich eilte zum Fundbüro, zur Bahnpolizei. Dann nach Hause, zu Fuss, denn ich hatte auch kein Busabo mehr. Ich rief bei der Bank an, um meine Karte zu sperren. Zwischenfrage an meine schwerhörigen Leser: Wie sperrt Ihr im Bedarfsfall Bankkarten, wenn Ihr nicht telefonieren könnt? Ich telefonierte mit dem linken Ohr, das ging gerade noch. Festnetz geht, Handy nicht.

Die Frau von der Bank sagte: "Sie kommen leider zu spät! Jemand hat bereits 1000 Franken von Ihrem Konto abgehoben."

Das hätte mich um den Rest meiner Fassung bringen sollen, statt dessen beruhigte es mich: Ich wusste nun, dass ich es mit Profis zu tun gehabt hatte und nicht einfach Opfer meiner - leider zunehmenden - Zerstreutheit geworden war.

Nach und nach rekonstruierte ich den Vorgang des Desasters: Ich hatte die Bahnhofhalle kurz nach 8.30 Uhr betreten und mich zum nächstbesten Fahrkarten-Automaten begeben. Vor dem Gerät standen - etwas verloren - zwei achtjährige Buben. Ich fragte sie, was sie hier machen würden - verstand aber nicht, was sie antworteten. Naja, einerlei. Sie sahen harmlos aus, liessen mich durch und blieben hinter mir stehen. Ich hielt sogar das Portmonee vor die Tastatur, als in meinen Code eintippte. Aber man muss ja selber sehen, welche Tasten man drückt, also... waren es die beiden Kinder, die mir auf die Finger guckten? Oder war da eine Kamera? Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass die Diebe an diesem Automaten zu meinem PIN-Code gekommen sein müssen.

Item. Ich hatte noch etwas Zeit und ging in die Migros, ein Fläschchen Wasser kaufen. Man soll ja viel trinken bei diesen Temperaturen. Ich weiss noch, wie ich zahlte und das Portmonee in meine viel zu volle Tasche zurückschubste und es dort für klettverschlossen und sicher hielt. Und wie ich mit einem beschwingten Gefühl im Herzen und mit einem Fläschchen Wasser in der freien Hand zum Zug spazierte. Kein Mensch kam mir zu nahe - glaubte ich.

Dabei muss mir zwischen Migros-Kasse und Zug jemand leichtfüssig wie ein Schatten den Geldbeutel aus der Tasche gezupft, sich damit von dannen gemacht und mich um den Gegenwert von mehreren Tagen Arbeit erleichtert haben.

Eins werde ich nie mehr vergessen: das coole, sommerliche Gefühl, das ich dabei hatte.

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steppenhund - 21. Jun, 23:19

Also ...

1. Mich haben in Berlin auch zwei vermutlich 9-jährige Mädchen ausgetrickst und mir mein Handy gestohlen.
2. In Rom habe ich erlebt, wie ein junges Mädchen von zwei Kindern bestohlen wurde. Geldbörse aus der Handtasche, die am Sessel daneben lag. Ebenfalls mit Ablenkungsmanöver.
3. Ich passe zur Zeit besonders auf Kinder auf und hoffe, dass ich eines einmal richtig erwische - mit einem Griff an die Hand, die gerade das gestohlene Gut in der Hand hält. Und es würde weh tun, sehr weh. Da bin ich auch bereit vor ein Gericht zu kommen, was aber vermutlich nicht passieren würde.
-
4. Was ich aber nicht verstehe: wenn ich mit dem Handy nicht die Bank anrufen kann, kann ich doch die Polizei bitten den Anruf zu tätigen. Vermutlich wäre es trotzdem zu spät gewesen. Aber es hätte Sinn gemacht. Dass Sie nicht daran denken, ist entschuldbar, Sie standen unter Schock. Doch auf die Schweizer Polizei wirft es absolut kein gutes Licht.
Insofern ist es ganz gut, dass die Schweizer Langsamkeit gestern eins von den Franzosen auf den Deckel gekriegt hat.

steppenhund - 21. Jun, 23:25

Das Muster sieht übrigens so aus:
1) zwei Kinder an einem Ort, an dem sie ohne Erwachsenen nichts zu suchen haben.
2) Kinder mit einem Stadtplan, den sie vermutlich selbst gar nicht lesen können.
3) ... nein sag ich nicht. Das wäre rassistisch.
-
Es ist Scheiße, wie sich die Akzeleration auch hinsichtlich des Betrugs und Diebstahls abgespielt hat. Es wäre wichtig, die Auftragsgeber zu finden. Und dann AUSWEISUNG, AUSWEISUNG und noch einmal AUSWEISUNG. Aus der Schweiz, aus Deutschland, aus Österreich.
Ich finde überhaupt, dass Ausländer, die eines Verbrechens überführt werden, ausgewiesen werden sollen. Bei Wiederholungsfall drastische Gefängnisstrafe und danach Ausweisung.
Ich werde so extrem wütend, wenn ich solche Fälle erlebe, miterlebe. Wenn es mir selbst passiert, beschuldige ich mich selbst, nicht besser aufgepasst zu haben. Aber wehe, ich habe einmal aufgepasst. Dann könnte es sehr weh tun. Auch wenn ich alt bin, meine Reaktionen mit Arm und Fingern sind aufgrund des Klavierspiels ziemlich schnell. Schneller als man es aufgrund meines Körperumfangs vermuten würde.
Ich höre besser auf zu schreiben.

diefrogg - 22. Jun, 18:11

Es ist nett, dass Sie...

sich für mich ärgern, Herr Steppenhund. Mit dem Wütendwerden ist das merkwürdig bei mir. Ich war nicht wütend, ich war eher einfach nur geschockt. Der Verlust des Geldes ärgert mich natürlich auch - aber am richtig fertiggemacht hat mich, dass ich ein Treffen verpasst habe, an dem teilzunehmen mir sehr viel gelegen hätte. Und die Feststellung, dass ich so wehrlos geworden bin. Ich frage mich in solchen Situationen dann immer, ob ich besser hätte reagieren können, wenn ich mehr gehört hätte.

Aber es passiert anderen ja auch.

Und, ja: Ich habe auch das Gefühl, dass die Sicherheitskräfte da ein bisschen resigniert haben. Eine Freundin von mir bestätigte heute diesen Eindruck. Es gelang ihr, einen Taschendieb zu halten (offenbar waren gestern ganze Scharen von ihnen in Luzern unterwegs). Aber der Sicherheitsdienst des Busunternehmens hat ihn dann wieder entkommen lassen.

Was jetzt den politischen Aspekt betrifft, so ist es wohl so: Wir leben hier ja in einem geradezu dekadenten Wohlstand. Das schafft Begehrlichkeiten und setzt eine Dynamik in Gang, gegen die wir als Einzelne sehr wenig in der Hand haben - und die Politik scheint auch keine guten Rezepte zu kennen. Ich weigere mich jedenfalls, wegen eines solchen Vorfalls politisch nach rechts zu rutschen.

Ich muss sogar sagen: Man kann diesen Leuten eine beeindruckende Professionalität nicht absprechen. Falls meine Kohle irgendwelche armen Kinder auch im Winter wärmt, dann kann ich damit leben. Nur wissen kann man das ja leider nicht.
steppenhund - 22. Jun, 18:42

Wissen Sie, ich bin so rechts, dass ich dorthin nicht abgleiten kann. Als Putinversteher wirft man mir allerdings "Linksheit" vor. Vielleicht habe ich die Kurve über die Extremwerte gekratzt. Aber Ironie beiseite, die Professionalität mag es geben, doch die lehne ich im Prinzip ab, wenn es um Vergehen oder Verbrechen geht. Sonst müsste man ja auch Göbbels loben, von dem sogar die heutigen Werbefritzen noch lernen.
Meine Ausweisungswünsche sind anders begründet. Wir leben in Gesellschaften, die ihren eigenen Ehrenkodex haben. Das beinhaltet auch eine Risikobewertung von Strafen, die drohen. Deswegen werden auch bestimmte Verbrechen nicht begangen, weil die Leute durchaus Angst vor Bestrafung haben. Das rechtfertigt auch die unzähligen Tatortserien und andere Kriminalserien, die alle darauf abzielen, den Menschen den Glauben zu geben, dass das Böse bestraft wird. (Warum wollten Sie eigentlich immer einen Kriminalroman schreiben?) Allerdings ist das Anlernen von kleinen Kindern dadurch bedingt, dass die Erwachsenen nichts von einer kindlichen Unschuld halten. Sie nützen die Kinder aus, die selbst nicht einmal einen Gedanken an Unrechtmäßigkeit verschwenden können. Und daher passen Sie nicht in die Gesellschaft. Es besteht nur eine geringe Chance innerhalb der gegebenen Umstände eine Resozialisierung zu erreichen. Daher sind die Personen dort besser aufgehoben, wo diese Art von Moral noch als anständig gilt, - oder vielleicht viel härter als bei uns bestraft wird.
diefrogg - 22. Jun, 20:09

Wie man einem

Putin-Versteher Linksheit vorwerfen kann, ist mir allerdings ein Rätsel ;)

Was Ihren Kommentar zum Thema "Professionalität von Kleinkriminellen" betrifft: An dem Argument ist etwas dran, auch wenn ich den Vergleich zwischen Goebbels und einer Horde Kleinkrimineller schlicht wegen der Schwere der Verbrechen nicht zulässig finde. Bevor ich weiss, wer mich bestohlen hat, will ich mich hier auch nicht über mutmassliche Täter auslassen.

Zu Ihrer Bemerkung darüber, dass Strafen abschrecken sollten: Ja, das ist wohl so. Allerdings erschreckt mich persönlich die Vorstellung, dass es Menschen gibt, die Androhung vor Strafe brauchen, um andere nicht zu schädigen.

Und dass Krimiserien die Menschen glauben machen soll, dass Verbrechen sich nicht lohnt, finde ich doch eine ziemlich lustige Vorstellung. Mich hat am Krimi-Genre immer mehr das Psychologische interessiert: Was bringt jemanden soweit, dass er sich über die elementarsten gesellschaftlichen Regeln hinwegsetzt? Der Prozess der Aufdeckung des Mordes ist für mich reine Dramaturgie, man kitzelt die Freude des Lesers am Geheimniss und an seiner Entschlüsselung.

In den allermeisten "Tatorten" ist übrigens gerade das Psychologische sehr schlecht umgesetzt: In drei von fünf Fällen morden Frauen - aus Eifersucht, aus fehlgeleiteter Mutterliebe, überhaupt aus fehlgeleiteter oder zurückgewiesener Liebe. Wenn ich sowas sehe, dann lerne ich sehr wenig darüber, was Menschen zum Verbrechen treibt - denn schwere Verbrechen werden sehr viel öfter von Männern als von Frauen begangen. Die "wahren" Täter dürfte also so ein Tatort sowieso nicht abschrecken.

Und zu den Kindern, die als Täter bei Taschendiebstählen eingesetzt werden: Ich weiss, dass es das gibt, ich habe es selber schon erlebt, vor vielen Jahren. Es ist symptomatisch für einen Lebensstil, in dem es unsere Vorstellung von Kindheit sowieso einfach nicht gibt. Ob das per se gut oder schlecht ist? Ich weiss es nicht. Es ist für uns bürgerliche Mittelständler sehr befremdlich, und auch ich habe diese (und andere Kinder, die ähnlich, aber nicht in einem kriminellen Umfeld, aufwuchsen) um ihren Mangel an Wahlfreiheiten bedauert. Aber es ist wie es ist: halt einfach nicht wie bei uns.

Aber, ja, es würde mich auch freuen, wenn die Polizei bei uns etwas mehr Einsatzfreude an den Tag legen würde, wenn ein Schwarm von Taschendieben über die Stadt herfällt. Die Täter ausschaffen kann sie mit unseren neuen Gesetzen ziemlich zügig. Nach schärferen Gesetzen muss man bei uns nicht mehr bellen, es gibt sie bereits.
steppenhund - 22. Jun, 22:01

Zwei Punkte

An dem Argument ist etwas dran, auch wenn ich den Vergleich zwischen Goebbels und einer Horde Kleinkrimineller schlicht wegen der Schwere der Verbrechen nicht zulässig finde.
Wäre die Mafia auch nicht vergleichbar? Schließlich handelt es sich um organisiertes Verbrechen. Da gibt es kaum eine Grenze nach oben. Es sind nicht zwei Kinder oder vier. Ich kann selber die Vorgangsweise beobachten, ob in Berlin oder in Rom. Und natürlich findet es auch in Wien und wo anders statt. Es ist schon bekannt, dass es Camps gibt, in denen die Kinder ausgebildet werden.

Zu Ihrer Bemerkung darüber, dass Strafen abschrecken sollten: Ja, das ist wohl so. Allerdings erschreckt mich persönlich die Vorstellung, dass es Menschen gibt, die Androhung vor Strafe brauchen, um andere nicht zu schädigen.
Die Frage ist, wie weit Menschen überhaupt eine eigene Moral und Ethik entwickeln können. Die Angst vor der Hölle hat bereits viele Verbrechen verhindert, aber auch Verbrechen erzeugt. Gerade heute habe ich einen netten Cartoon gesehen. In einer Raumkapsel befinden "Marsmenschen" gerade über den Planeten Erde. "Die führen Krieg um zu klären, welche Religion die friedlichste ist." Das drückt es aus. (Selbst wenn es meistens nur Geld geht.) Und was der Hundertjährige Krieg, Reformation und Gegenreformation bei uns war, erleben wir jetzt im Kampf von Sunniten gegen Shiiten.
bonanzaMARGOT - 24. Jun, 14:26

apropos strafe:
strafe schreckt nur ab, wenn auch wirklich ein bewusstsein für ungerechtigkeit vorhanden ist. also für das eigene fehlverhalten einer gemeinschaft oder einem individuum gegenüber. werden menschen erstmal straffällig sozusagen, erzeugt strafe eigentlich genau den gegenteiligen effekt, nämlich dass man sich zu einer "gruppe" zugehörig fühlt, von der gesellschaft durch strafe ausgesondert.
ich würde behaupten, dass strafe im endresultat für mehr weitere straftaten verantwortlich ist, als dass sie sie vermeidet.
bonanzaMARGOT - 24. Jun, 14:18

das tut weh. aber gegen solch ausgekochte gauner hat man kaum eine chance. ausser man ist übermäßig vorsichtig.
erschreckend finde ich, dass kinder ausgenutzt werden, um die ausgesuchten opfer arglos zu halten. na ja, eigentlich auch nichts neues, aber diese methode wird wohl immer ziehen.
mammamia, ich darf nicht drüber nachdenken, wie oft ich leichtsinnig mit dem geldbeutel oder an bankautomaten hantiere. auf der anderen seite habe ich keine lust, immer übervorsichtig zu sein. wahrscheinlich brauche ich auch mal eine erfahrung, wie du sie leider hattest.

diefrogg - 25. Jun, 14:31

Ja, die Übervorsicht...

Sie ist ein gefährlicher Spiessgeselle! Will man sie ein Leben lang durchhalten, so hält sie einen möglicherweise davon ab, viele Schönes zu erleben.

Nun ist es bei diesen Taschendieben so, dass die so gut sind, dass sie einen wohl auch durch Ablenkungsmanöver dazu bringen, sie ab und zu einfach zu vergessen.
trox - 10. Jul, 21:29

shit, shit, shit

ja, in Luzern wird viel geklaut. Mir mal ein Koffer ... daraus waren dann Rasierapparat und ein verschwitztes T-Shirt verschwunden, der Rest tauchte wieder auf. Rätselhaft.

Zum Geld: klären, ob da nicht die Bank sowieso haftet ... in DE wird das z.B. so diskutiert http://www.gutefrage.net/frage/kreditkarte-gestohlen-geld-abgehoben

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