Klassentreffen
Alan de Botton sagt hier, man solle Klassentreffen meiden - weil dort der Neid regiere. Weil dort jeder jeden nur an dem messe, was er karrieremässig erreicht hat.
Ich glaubte de Botton und fürchtete mich vor unserem Klassentreffen. All diese Ärzte und Juristen! Wie würde ich denen meinen Job erklären? Wie würde ich rechtfertigen, dass ich meine reichliche bemessene Freizeit mit Spaziergängen und Prokrastination am Computer verbringe. Und dass ich... ähm... lieber den billigeren Rioja als die schöne Flasche Amarone hätte.
Aber ich hatte vergessen, wie meine Klasse gewesen ist. Bei uns sind immer diejenigen am coolsten herübergekommen, die sich nicht gross um dieses ganze Doktortitel-Einfamilienhäuschen-Grossesauto-Kinderkriegen-Getue scherten. Und am Samstag stellte sich heraus: In dieser Hinsicht hatte sich nichts geändert. Hier war nicht das Erlangen von Besitz und Status ein Thema. Hier war es die Sorglosigkeit, die Eindruck machte. Ein paar Quotes gefällig?
Undine, Künstlerin und Übersetzerin (die ihren Sohn in Kolumbien zur Welt gebracht und viele Jahre dort gelebt hat): "Weisst Du, in Kolumbien sagt man: 'Jedes Kind kommt mit einem Laib Brot unter dem Arm zur Welt'."
Helene, Zeichenlehrerein, eben von einem halbjährigen, anscheinend in Müssiggang verbrachten Urlaub im Süden zurückgekehrt: "Ich musste einfach weg. In der Schweiz kannst Du nicht nicht arbeiten. Da gerätst Du unter einen solchen Druck... da habe ich gekündigt und bin weggefahren."
Theodor, Jurist mit einem Juristen-Job, hat die Normalität auf eine andere Art verweigert. Als Maturand war er ein wandelnder Hungerturm. Er schien sich von Zigaretten und Bier zu ernähren. Er ist, naja, wie soll ich sagen... etwas korpulent geworden. Und, weiss Gott: Er hat sich seinen zwischen Zynismus und Zärtlichkeit oszillierenden Humor bewahrt. Irgendwann an jenem Abend wurde mir klar, dass ich diesen Humor seit zweieinhalb Jahrzehnten vermisse.
Und: Ich kam mir fast ein wenig bieder vor.
Nein, ich will meine Kollegen von einst nicht idealisieren. Ich meine: Bei unseren Lehrern galten wir zwar als aussergewöhnlich liebenswürdige und intelligente Klasse. Sie steckten Schüler zu uns, die woanders gemobbt wurden. Bei uns wurde niemand gemobbt. Aber Spannungen gab es da durchaus. Nach der Matura war mir zumindest, als würde eine Art innerer Druck uns in alle Himmelsrichtungen schleudern. Naja, einige blieben befreundet. Aber gehörten wir je wirklich zusammen? Ich glaube nicht. Ich weiss nur: Am Ende des Abends war ich seltsam froh, wieder zu Herrn T. zurückkehren zu können.
Und doch: Es war ein schöner Abend. Theodor kam für den köstlichen Amarone in unserer Ecke auf.
Ich glaubte de Botton und fürchtete mich vor unserem Klassentreffen. All diese Ärzte und Juristen! Wie würde ich denen meinen Job erklären? Wie würde ich rechtfertigen, dass ich meine reichliche bemessene Freizeit mit Spaziergängen und Prokrastination am Computer verbringe. Und dass ich... ähm... lieber den billigeren Rioja als die schöne Flasche Amarone hätte.
Aber ich hatte vergessen, wie meine Klasse gewesen ist. Bei uns sind immer diejenigen am coolsten herübergekommen, die sich nicht gross um dieses ganze Doktortitel-Einfamilienhäuschen-Grossesauto-Kinderkriegen-Getue scherten. Und am Samstag stellte sich heraus: In dieser Hinsicht hatte sich nichts geändert. Hier war nicht das Erlangen von Besitz und Status ein Thema. Hier war es die Sorglosigkeit, die Eindruck machte. Ein paar Quotes gefällig?
Undine, Künstlerin und Übersetzerin (die ihren Sohn in Kolumbien zur Welt gebracht und viele Jahre dort gelebt hat): "Weisst Du, in Kolumbien sagt man: 'Jedes Kind kommt mit einem Laib Brot unter dem Arm zur Welt'."
Helene, Zeichenlehrerein, eben von einem halbjährigen, anscheinend in Müssiggang verbrachten Urlaub im Süden zurückgekehrt: "Ich musste einfach weg. In der Schweiz kannst Du nicht nicht arbeiten. Da gerätst Du unter einen solchen Druck... da habe ich gekündigt und bin weggefahren."
Theodor, Jurist mit einem Juristen-Job, hat die Normalität auf eine andere Art verweigert. Als Maturand war er ein wandelnder Hungerturm. Er schien sich von Zigaretten und Bier zu ernähren. Er ist, naja, wie soll ich sagen... etwas korpulent geworden. Und, weiss Gott: Er hat sich seinen zwischen Zynismus und Zärtlichkeit oszillierenden Humor bewahrt. Irgendwann an jenem Abend wurde mir klar, dass ich diesen Humor seit zweieinhalb Jahrzehnten vermisse.
Und: Ich kam mir fast ein wenig bieder vor.
Nein, ich will meine Kollegen von einst nicht idealisieren. Ich meine: Bei unseren Lehrern galten wir zwar als aussergewöhnlich liebenswürdige und intelligente Klasse. Sie steckten Schüler zu uns, die woanders gemobbt wurden. Bei uns wurde niemand gemobbt. Aber Spannungen gab es da durchaus. Nach der Matura war mir zumindest, als würde eine Art innerer Druck uns in alle Himmelsrichtungen schleudern. Naja, einige blieben befreundet. Aber gehörten wir je wirklich zusammen? Ich glaube nicht. Ich weiss nur: Am Ende des Abends war ich seltsam froh, wieder zu Herrn T. zurückkehren zu können.
Und doch: Es war ein schöner Abend. Theodor kam für den köstlichen Amarone in unserer Ecke auf.
diefrogg - 8. Nov, 20:56
11 Kommentare - Kommentar verfassen - 0 Trackbacks
acqua - 8. Nov, 22:07
Das Treffen hatte aber auch ein tolles OK. Das musste ja gut werden. :-)
diefrogg - 8. Nov, 22:15
Naja, am Schluss...
war es dann doch Felix, der am meisten gearbeitet hat. Das gehört hier doch noch erwähnt. Er hat sich um den ganzen formellen Kram gekümmert. Wenn ich das hätte tun müssen, dann hätte die Party wohl im Chaos geendet, bevor sie begann. Aber es war gutes Teamwork, das muss ich schon sagen! Den zweiten Doktor in unserem Dreierteam kennst Du ja: Der ist auch ein wirklich patenter Typ.
walküre - 9. Nov, 21:42
Finde ich schön, wie Sie dieses Klassentreffen beschreiben. ICH allerdings gehe (nach etlichen enttäuschenden Versuchen) auf keines mehr, weil es mir weh tut, zu sehen, wie grad die Freigeister, welchen unkonventionelle Lebensentwürfe schier auf den Leib geschrieben waren, völlig verspießert sind, und zwar geistig. Die Chemie ist nicht mehr da, leider. Aber für Sie, Frau Frogg, freue ich mich (und wünsche Ihnen, dass manche der Kontakte nicht auf Klassentreffen beschränkt sein mögen) !
Täuschblume - 10. Nov, 10:50
Dieser Theodor gefällt mir auch. Der scheint einen feingliedrigen Humor zu haben.
Nun muss ich dir was gestehen. Ich war noch nie an einem solchen Treffen.
Früher habe ich sie immer boikottiert, von wegen bieder und so.
Später kam dann eine Phase, da wäre ich schon gwundrig gewesen, aber eben ......
Und heute, na ja, seit 10 Jahren oder so, habe ich nie mehr etwas von einem Klassentreffen gehört,
und hingehen würde ich vielleicht, aber nur wenn der Ort nicht weiter weg ist, als es mein Taxifahrtenbudget erlaubt.
Nun muss ich dir was gestehen. Ich war noch nie an einem solchen Treffen.
Früher habe ich sie immer boikottiert, von wegen bieder und so.
Später kam dann eine Phase, da wäre ich schon gwundrig gewesen, aber eben ......
Und heute, na ja, seit 10 Jahren oder so, habe ich nie mehr etwas von einem Klassentreffen gehört,
und hingehen würde ich vielleicht, aber nur wenn der Ort nicht weiter weg ist, als es mein Taxifahrtenbudget erlaubt.
la-mamma - 10. Nov, 11:09
nach unserem letzten klassentreffen ist es mir so ähnlich gegangen - viel besser als erwartet ... ich hab mir das aber auch damit erklärt, dass man "in der mitte" des lebens auch schon einige brüche hinter sich hat - und die doch leicht vorhandene präpotenz der jugendlicheren jahre in vielen fällen abgebaut wurde ...
ConAlma - 10. Nov, 18:33
Wir hatten heuer auch wieder unser in Fünfjahresabständen abgehaltenes Klassentreffen - 35 Jahre nach der Matura kursierten zunächst die müden Scherze zum Älterwerden. Aber als dann die Runde schrumpfte und bei etlichen Flaschen Wein beieinander saß, war doch so schön sichtbar: das weder Entfernungen noch unterschiedliche Lebensentwürfe eine Rolle spielen, wenn es um alte Freundschaften geht. Unter Frauen. "Trefft ihr euch so oft?" fragte einer, weil die spürbare Harmonie nicht mit diesen seltenen Zusammenkommen erklärbar schien. Vielleicht aber doch der Nachhall der "bad girls gang" von damals ....
Und auch schön: der allgemeine Wunsch, in 3 Jahren schon wieder zusammenzukommen. Weil's gut tut.
Und auch schön: der allgemeine Wunsch, in 3 Jahren schon wieder zusammenzukommen. Weil's gut tut.
diefrogg - 10. Nov, 18:42
Oh, das....
ist aber wirklich schön! Nein, so wars bei uns nicht. Oder bei mir nicht... und das liegt nicht nur daran, dass ich nur noch ganz wenig Wein vertrage. Es liegt auch an einer anderen, ziemlich schmerzlichen Geschichte, an der ich auch selber schuld bin... aber damit will ich jetzt nicht anfangen.
ConAlma - 10. Nov, 18:47
oh das tut mir leid!
aber nicht jeder von uns verträgt wein noch wirklich: einem notorischer zuvieltrinker gelingt es jedes mal, a) bei tisch einzuschlafen und b) ein glas zu zerschmettern (riedel, versteht sich) und c) dabei auch noch elegant die bekleidung der umliegenden mit rotwein zu überschütten. und ist, da von hünenhafter statur, dann d) nur mehr mit mühe aus dem haus zu bekommen!
aber nicht jeder von uns verträgt wein noch wirklich: einem notorischer zuvieltrinker gelingt es jedes mal, a) bei tisch einzuschlafen und b) ein glas zu zerschmettern (riedel, versteht sich) und c) dabei auch noch elegant die bekleidung der umliegenden mit rotwein zu überschütten. und ist, da von hünenhafter statur, dann d) nur mehr mit mühe aus dem haus zu bekommen!
books and more - 10. Nov, 21:13
Ohne mich! Never! Oder höchstens in 20 Jahren, wenn ich reich und schön bin!
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